Breadcrumb-Navigation

Eine Mannheimer Gesellenurkunde als Momentaufnahme von 1804

Kategorien
Farbfoto der Gesellenurkunde

Auf verschlungenen Pfaden fand eine fast 220 Jahre alte Gesellenurkunde aus Mannheim ihren Weg in ein Antiquariat in Speyer und ist nun wieder nach Mannheim zurückgekommen. Mit diesem Beitrag stellt Andreas Schenk die Urkunde vor und gibt Einblick in die Geschichten, die sie über Mannheim und seine Menschen erzählt.

Das Panorama der Stadt

Das 42 auf 35 cm große Blatt mit Datum vom 28. August 1804 beeindruckt insbesondere durch die Stadtansicht. Es ist eine idyllische Szenerie, im Vordergrund das geschäftige Treiben auf dem Rhein, dahinter das Panorama Mannheims, wie es sich damals längs des Flussufers entwickelte.

Ausschnitt aus der Urkunde von 1804: Stadtansicht

Zum Vergleich: Stadtansicht mit Festung und Schiffsbrücke, etwa 1725, Reiss-Engelhorn-Museen

Das breit gelagerte Schloss, die majestätisch aufragende Jesuitenkirche und die turmförmige Sternwarte prägen die Ansicht, die zusätzlichen Reiz durch die Darstellung bekannter Gebäude entfaltet. In einigem Abstand von der Sternwarte erhebt sich der seinerzeit noch unvollendete Turm der Konkordienkirche, der erst 1893 seinen nach oben abgestuften Aufbau erhielt. Daneben ist auch das Alte Zeughaus in C 5 mit seinem mächtigen Satteldach deutlich zu erkennen.

Zum linken Bildrand hin ragen aus der Stadtlandschaft zwei weitere Türme, sie lassen sich der Bürgerhospitalkirche in E 6 und der im Zweiten Weltkrieg zerstörten alten Trinitatiskirche in G 4 zuordnen. Selbst das Rheintor, das bis zu seinem Abbruch im Jahr 1863 in der östlichen Verlängerung der Planken stand, lässt sich ausmachen, auf seinem Dach weht eine Fahne. Links daneben erstreckt sich das ebenfalls längst verschwundene reformierte Hospital in F 6.

Die Ansicht entspricht in vielen Details den Gegebenheiten der Zeit um 1800. Auf dem Schloss und dem Zeughaus sind sogar die Blitzableiter mit ihren charakteristischen fünf Spitzen abgebildet. Die eigentümliche Fähre, die von einem zum anderen Rheinufer übersetzt, ist eine Gierseilfähre, auch Fliegende Brücke genannt. Sie funktionierte nach einer aus den Niederlanden stammenden Erfindung aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Eine Fähre dieser Bauart diente bereits im 17. Jahrhundert als Verbindung zwischen beiden Flussufern. Im 18. Jahrhundert wurde sie durch eine Schiffsbrücke ersetzt, die aber im Winter 1794 durch starken Eisgang zerstört wurde.

Stadtidylle nach kriegerischen Zeiten

Ob der Künstler mit der abgebildeten Fähre von Mannheim über den Rhein fuhr, um das Panorama zu zeichnen? Dann jedenfalls war sein Ziel nicht Ludwigshafen, das ja erst Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet wurde, sondern das Gelände, auf dem die Rheinschanze lag. Dabei hatte das am linken Flussufer sitzende Vorwerk der Mannheimer Festungsanlage als militärischer Stützpunkt bereits ausgedient. In den Koalitionskriegen wurde es 1798 von französischen Truppen eingenommen und bis 1804 niedergerissen.

Das so friedlich anmutende Bild entstand also in einer Zeit, die noch von den Folgen des Kriegs geprägt war, der auch Mannheim schwer traf. Franzosen und Österreicher hatten die Stadt abwechselnd eingenommen. Eine Folge der beiden ersten Koalitionskriege war, dass Mannheim 1803 dem Großherzogtum Baden eingegliedert wurde. Folgerichtig zeigt die nur ein Jahr später entstandene Urkunde nicht das früher verwendete kurfürstliche, sondern das badische Wappen.

Der Umbruch um 1800 war nicht nur in politischer Hinsicht tiefgreifend, er veränderte auch das Stadtbild, wie der Vergleich mit älteren Ansichten Mannheims vor Augen führt. Im 18. Jahrhundert wurde die Stadt noch mit ihrem mächtigen Festungsgürtel dargestellt, während sie sich im Panorama von 1804 bereits zum Rhein öffnet. Das Ende der Bastionen und Wehrmauern hatte noch Kurfürst Karl Theodor besiegelt, der 1798 die Schleifung der Festung anordnete. Auf der Vedute ist der Abbruch weit vorangeschritten. Reste der Festungsmauern sind noch zu erahnen. Der Künstler schuf eine auch in dieser Hinsicht bemerkenswerte Momentaufnahme.

Der Künstler

Wer aber war dieser Künstler? Am unteren Bildrand findet sich die Signatur eines "F. Wolf" aus Mannheim, ergänzt durch die Abkürzung "Sculp.", die für das lateinische "sculpsit" – "hat es gestochen" steht. Der Genannte schuf also den Kupferstich, wobei er vermutlich auch die zeichnerische Vorlage lieferte. Dass er auf Schmuckurkunden dieser Art spezialisiert war, zeigen neben einem zweiten Gesellenbrief im MARCHIVUM mehrere im Generallandesarchiv Karlsruhe verwahrte Exemplare mit Bezug zu Heidelberg, Karlsruhe und Bretten.

Der Geselle

So sehr das Panorama Mannheims den Blick auf sich zieht, so interessant ist auch der Inhalt der Urkunde. Ihr Adressat ist ein Geselle der Mannheimer Zunft der Kamm-Macher, der "1 Jahr 6 Wochen in der Arbeit gestanden hat und sich solcher Zeit über treu fleißig wie es einem ehrlichen Gesellen gebühret verhalten hat". Sein Name ist Kasper Huber. Sein Alter ist mit 23 Jahren angegeben.

Gesellenurkunde für Kasper Huber, 1804. Foto Kathrin Schwab, MARCHIVUM

Wie der von Hand eingetragene Text weiter preisgibt, wurde der Geselle in Elgg in der Schweiz geboren, einem unweit von Winterthur gelegenen Ort im Kanton Zürich. Dass er aus der Schweiz stammte, verbindet ihn mit vielen anderen Zugereisten, die in der Quadratestadt ihr Glück suchten. Ob er als Kind mit seinen Eltern nach Mannheim kam oder er sich als junger Erwachsener allein auf den Weg in die Stadt an Rhein und Neckar machte, dies ist dem Gesellenbrief nicht zu entnehmen. Ebenso wenig bekannt ist, ob ihm der Beruf des Kamm-Machers in die Wiege gelegt wurde. Dies könnte durchaus sein. Denn sein Geburtsort hatte im 18. Jahrhundert nicht nur durch Bauhandwerker, Goldschmiede, Uhrmacher und Zinngießer, sondern auch durch Kamm-Macher große Bedeutung.

Seit dem Mittelalter war es üblich, dass Handwerksgesellen nach ihrer Prüfung auf Wanderschaft gingen, um an anderen Orten weitere Berufserfahrung zu sammeln. Auch Kasper Huber dürfte sich nach seiner Ausbildung auf die 'Walz' gemacht haben. Die Urkunde jedenfalls konnte ihm als Empfehlungsschreiben der Mannheimer Meister "des Ehrsamen Handwerks derer Kammacher" dienen, den Gesellen "nach Handwerks gebrauch überall zu fördern". Wie zur Kontrolle der Identität des Gesellen ist noch erwähnt, dass Huber "groß von Statur auch schwarzen Haaren ist".

Der Meister

Mit Siegeln und Unterschriften ist die Richtigkeit des Dokuments durch den "Meister, wo der Gesell gearbeitet" und die "Beschworene Meister", welche die Aufsicht über die Zunft innehatten, bestätigt. Bei den Unterschriften taucht ein Name zweimal auf: Johann Kraft Rub. Er war nicht nur der Lehrmeister des Gesellen, sondern auch einer der Zunftvorstände. Als er 1814 starb, wurde sein Nachlass in einer achtseitigen Verlassenschaftsakte geregelt, die bereits 2001 in die Sammlungen des MARCHIVUM gelangte. Offenbar hatte ihm sein Beruf einiges Vermögen eingebracht.

Nun also hat auch die von ihm unterzeichnete Gesellenurkunde ihren Platz im MARCHIVUM gefunden, um als bemerkenswertes Dokument der Stadtgeschichte für die Nachwelt erhalten zu bleiben.

Der Autor dankt Wolfgang Knapp für den Hinweis auf die Urkunde.

 

alles zum Thema: Archivschätze, Gesellenbrief

Transidente Menschen in der queeren Geschichte der Rhein-Neckar-Region

Transidente Personen identifizieren sich nicht mit ihrem angeborenen, biologischen Geschlecht, sondern fühlen sich dem Gegengeschlecht zugehörig. Anknüpfend an das vom MARCHIVUM herausgegebene Buch "Queer im Leben! Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in Geschichte und Gegenwart der Rhein-Neckar-Region", blicken wir heute in die Geschichte transidenter Menschen in der Region und stellen die Biografien von zwei trans Frauen mit ganz unterschiedlichen Schicksalen vor.

Ganzer Beitrag