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Wer hat an der Uhr gedreht? Die Einführung der Sommerzeit in Mannheim während des Ersten Weltkriegs

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Mannheimer Innenstadt

Am 30. April 1916 wurde erstmals eine saisonale Zeitumstellung im Deutschen Reich eingeführt. Sie währte als unliebsame Kriegsmaßnahme bis 1919. Die Bestimmungen zur Einführung der Zeitumstellung, ihre Durchführung und vor allem ihre Beibehaltung während der Kriegsjahre riefen allerlei Kontroversen im Deutschen Reich hervor. Die Stadt Mannheim bildete hierbei keine Ausnahme.

 

Am 6. April 1916 wurde folgende Bekanntmachung über die Vorverlegung der Stunden während der Zeit vom 1. Mai bis 30. September 1916 im Reichs-Gesetzblatt (Nr. 67, Jg. 1916) veröffentlicht: "Für die Zeit vom 1. Mai bis zum 30. September 1916 ist die gesetzliche Zeit in Deutschland die mittlere Sonnenzeit des dreißigsten Längengrades östlich von Greenwich. Der 1. Mai 1916 beginnt am 30. April 1916 nachmittags 11 Uhr nach der gegenwärtigen Zeitrechnung. Der 30. September endet eine Stunde nach Mitternacht im Sinne dieser Verordnung."

Im Jahre 1917 beginnt die Sommerzeit bereits am 16. April vormittags 2 Uhr und endet am 17. September vormittags 3 Uhr. Interessant ist die im Paragraph 3 verfasste Anordnung für die "doppelt erscheinende Stunde": "Von der am 17. September 1917 doppelt erscheinenden Stunde von 2 bis 3 Uhr vormittags wird die erste Stunde als 2 A, 2 A 1 Min. usw. bis 2 A 59 Min., die zweite als 2 B, 2 B 1 Min. usw. bis 2 B 59 Min. bezeichnet." Im Jahre 1918 beginnt die Sommerzeit am 15. April und endet am 16. September 1918 analog der Anordnung aus dem Jahr 1917.

Städtisches Gaswerk auf dem Luzenberg im Jahr 1912

Im Verlauf des Jahres war zu prüfen, ob die Einführung der Sommerzeit als Kriegsmaßregel und die bessere Ausnutzung des Tageslichts zu einer dauernden Einrichtung ausgestattet werden sollte oder nicht. Um die volkswirtschaftlichen und volkshygienischen Wirkungen abschätzen zu können, sollten Ersparnisse an Leuchtmitteln durch Erhebungen bei Gasanstalten und Elektrizitätswerken statistisch erfasst werden, damit Vor- und Nachteile beurteilt werden können.

Die Stadtwerke gaben auf den bis Juli 1916 gemachten Wahrnehmungen eine erste Hochrechnung über die Ersparnis des Gas- und Stromverbrauchs zu Beleuchtungszwecken. Die Ersparnis sollte ca. 100.000 Mark für die fünf Monate der Sommerzeit betragen. Hierbei handelte es sich um grobe Wahrscheinlichkeitszahlen, basierend auf dem Verbrauch des Vorjahres. Um eine genaue Ersparnis errechnen zu können, hätte man den Verbrauch jedes einzelnen der 70.000 Verbrauchern errechnen müssen. Die Ersparnis durch die Sommerzeit konnte jedoch nur auf künstliches Licht angewendet werden. Durch die Umstellung der Sommerzeit könne man das Sonnenlicht 153 Stunden länger ausnützen.

Landarbeiter aus Waldhof bei der Zigarettenpause im Jahr 1917

Während der Sommerzeit appellierte man an die patriotische Gesinnung der Bevölkerung, "dass alles vermieden wird, was, wie etwa Verlegung von Geschäfts- und Arbeitszeiten, die Wirkungen der Neuerung abzuschwächen oder durchzuheben geeignet wären."  Der Zweck dieser Bestimmung lag in der besseren Ausnutzung des Tageslichts und der Einsparung für Beleuchtungszwecke verfügbarer Rohstoffe und Erzeugnisse. Es wurde deutlich angemerkt, dass jeder, der diesen Zweck zu vereiteln versuche, seine vaterländischen Pflichten verletze!

Das Bürgermeisteramt Wallstadt berichtete, "dass die hiesigen Einwohner im allgemeinen wünschen, dass die Stundenverlegung nicht beibehalten wird und vom 1. Oktober d. Js. an wieder die frühere Zeit eintritt, da es weniger auf Lichtersparnis ankommt, weil in hiesiger Gemeinde wenig Geschäfte oder dergleichen vorhanden sind, die dies empfinden."

Kriegsgefangene bei landwirtschaftlichen Arbeiten an der Strohpresse, ca. 1916 bis 1918

Die badische Regierung veranlasste bei den verschiedenen Berufsvertretungen eine Umfrage, um die praktische Umsetzung der Sommerzeit zu prüfen. Augenscheinlich hatte die Einführung nur kriegs- und volkswirtschaftliche Vorteile. Vor allem aber war die Sommerzeit nicht mit dem Landwirtschaftsbetrieb vereinbar. Das stellvertretende Generalkommando des XIV. Armeekorps schrieb über die Lage im Großherzogtum Baden am 2. März 1917 an das Kriegsamt: "Was die Stimmung der ländlichen Bevölkerung betrifft, so darf die Erregung nicht unberücksichtigt bleiben, die jetzt schon wieder die für 1917 in Aussicht genommene Sommerzeit auf dem platten Lande hervorruft."

Nach der Veröffentlichung eines Artikels über die Sommerzeit im "Badischen Beobachter" erreichten unzählige Zuschriften die Redaktion, die "die Einführung der Sommerzeit geradezu als "Terrorismus" bezeichnet, gegen den die Bauern zur Notwehr entschlossen seien."  Die Frage der Wiedereinführung der Sommerzeit wurde auch auf der Vollversammlung der Handelskammer für den Kreis Mannheim am 20. Oktober 1916 diskutiert. Diese betraf vor allem die Kinder, die zeitiger zur Schule gehen müssten und dementsprechend unausgeschlafen wären. Für die arbeitende Bevölkerung wären die Verlängerung der Arbeitszeit, die natürlich der Kriegswirtschaft zugutekäme, und die resultierende Verkürzung der Nachtruhe sowie mögliche gesundheitliche Schädigungen von Nachteil.  Als Resultat wurden die Lebensumstände der Bevölkerung an die neue Sommerzeit angepasst, und im Jahre 1919 endete diese als unliebsam empfundene Kriegsmaßnahme mit deren Abschaffung.

Erst 1940 führte man die Sommerzeit erneut als Kriegsmaßnahme ein und behielt diese Regelung bis 1949 bei. Die jetzige Regelung zur Umstellung der Sommerzeit besteht nunmehr seit 1980.

 

 

 

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