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Ein Mord im Jahr 1922 - und die frühe völkische Bewegung in Mannheim

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schwarz-weiß Foto: Eckhaus in H 1,14

Zu Recht weisen zahlreiche Publikationen auf die in der Stadt sehr aktive Arbeiterbewegung und vor allem auf den von der Arbeiterbewegung ausgehenden Widerstand während der NS-Zeit hin: Das "rote Mannheim" existierte. In Vergessenheit geraten ist darüber gelegentlich die Tatsache, dass es auch in Mannheim bereits deutlich vor 1933 völkische und antisemitische Strukturen gab, die umfangreicher und in der Bürgerschaft verwurzelter waren, als man es nach 1945 wahrhaben wollte.

Die komplette Studie kann am Ende des Beitrags heruntergeladen werden.

Als wir begannen, uns mit diesem Thema zu beschäftigen, stießen wir auf einen Mord im Jahr 1922. Damals wurde am 22. Mai der 62-jährige Kaufmann Sina Aronsfrau hinterrücks in seinen Geschäftsräumen in einem Haus am Marktplatz erschossen. Die Familie von Sina Aronsfrau, die ostjüdische Wurzeln hatte, war bereits 1901 von Galizien nach Mannheim gekommen und hatte hier ein erfolgreiches Geschäft aufgebaut. Der wohlhabende Geschäftsmann war mit einer Armeepistole erschossen worden, aber es war nichts geraubt worden, alle Wertsachen waren noch vorhanden.

Da drängte sich unweigerlich die Frage auf, welchen Grund es hätte geben können, den tiefreligiösen und sehr beliebten Geschäftsmann zu ermorden?

Wenige Wochen nach der Tat behaupteten Zeitgenossen, Sina Aronsfrau sei von Angehörigen einer völkischen paramilitärischen Gruppe, der Organisation Consul, ermordet worden, die u.a. die Anschläge auf Matthias Erzberger 1921 und Walter Rathenau zu verantworten hatten. Mitglieder dieser Organisation waren die Brüder Heinrich und Karl Tillessen, deren Onkel und Tanten fast alle noch in Mannheim lebten. Konnte das sein?

Das war der Beginn einer Recherche, in deren Verlauf akribisch Akten, Zeitungen und viele andere Unterlagen zu durchforsten waren, geleitet von der Ausgangsfrage: War es die Tat antisemitisch Verblendeter oder ein gescheiterter Raubversuch, der eskaliert war. Da die Mannheimer Ermittlungsakten und die Prozessakten der später verurteilten Täter nicht auffindbar sind, wurde es zur einer Detektivarbeit mit Höhen und Tiefen …

Bei der Spurensuche war - soweit das überhaupt möglich war - nicht nur das Umfeld, in dem die Familie des Ermordeten lebte, in Augenschein zu nehmen. Je mehr wir recherchierten, desto tiefer wurden die Einblicke in völkisch motivierte Vereine und Gruppen vor und zu Beginn der Weimarer Republik. Aber der Weg führte auch weit in die Vergangenheit zurück, da es auch in der Quadratestadt die bekannten Formen des latenten und offenen Antisemitismus im frühen 19. Jahrhundert gab, der kurz vor 1900 einen traurigen Höhepunkt erreichte, als in Mannheim öffentlich zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen wurde - rund 35 Jahre vor der sogenannten Machtübernahme.

Unübersehbar waren die Kontinuitätslinien, die vom Kaiserreich in die Weimarer Republik reichten und in das Mannheim, in dem Sina Aronsfrau ermordet wurde. Es tauchten Namen auf, die man in Mannheim bislang nicht unbedingt mit den rechten Kreisen in Verbindung gebracht hatte.

Bei den Recherchen ergaben sich außerdem neue, teils weitere Erkenntnisse zu rechtsradikalen Sprengstoffanschlägen im Jahr 1922, deren Ziele am 13. Mai 1922 ein jüdischer Lehrer in Heidelberg, am 3. Juli das Volkshaus in Mannheim und schließlich am 9. September die Mannheimer Börse waren. Neben diesen Aktionen gab es besonders in der ersten Hälfte desselben Jahres zahlreiche Aktivitäten der frühen Ortsgruppe der NSDAP, die sich über Ermittlungsakten belegen lassen.

All diese Ereignisse machen deutlich, wie aufgeheizt die politische Lage in der Stadt war. Die Republik mag sich nach dem Krisenjahr 1923 stabilisiert haben, ihre Gegner verschwanden auch in Mannheim nicht. Viele der damals Militanten sollten in der NS-Zeit Karriere machen.

Geplant war, die aufgedeckten Strukturen bis 1933 zu untersuchen; die Spurensuche endet aber mit Beginn des Jahres 1923, denn aus den ursprünglich geplanten 20 waren mittlerweile rund 200 Seiten geworden, wenngleich mit viel Bildmaterial. Für eine Darstellung des folgenden Jahrzehnts, die personellen Kontinuitäten und Strukturen nachgeht, die vielleicht auch den geringen Widerstand erklären, mit denen gerade bürgerliche Kreise den Untergang der Republik und die Verfolgung ihrer Nachbarn hinnahmen, wird man von einer ähnlichen Größenordnung ausgehen müssen.

So ist die vorliegende Studie als Aufruf zu verstehen, mutig - mit 'beiden Augen' - auf die braune Vergangenheit zu blicken.

Umtriebe und Parolen aus der frühen Zeit werden - besonders nach den Ereignissen der letzten Jahre - bekannt vorkommen. Umso mehr gilt es, dagegen zu setzen.

Wichtig war uns aber auch, das Schicksal von Sina Aronsfrau fast 100 Jahre nach dem Mord in das Bewusstsein der Stadt zu rücken - eines von sehr vielen…


Das einzige bekannte Bild von Sina Aronsfrau (Foto: Privatbesitz)


Das Eckhaus H 1, 14. Im 1. OG ist der Schriftzug H. Aronsfrau noch zu lesen (Hermann Aronsfrau war der Sohn von Sina Aronsfrau). Die Aufnahme stammt vermutlich aus den frühen 1930er Jahren. Das Haus steht heute noch. (Foto: MARCHIVUM)


General-Anzeiger Mannheim, 8.6.1922, Seite 6


Zerstörung durch einen Sprengstoffanschlag auf das Mannheimer Volkshaus (Foto: Nachlass Lothar Steinbach, MARCHIVUM, noch unverzeichnet)

Download

Studie "Betrachtungen und Quellenstudien zur frühen völkischen Bewegung in Mannheim bis 1922"

 

 

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Fritz Wichert - Mannheimer Kunstbewegung

1909 - mit gerade einmal 31 Jahren - wird der Kunsthistoriker Fritz Wichert Direktor der neugegründeten Mannheimer Kunsthalle; zwei Jahre nach seiner Promotion. Der 1878 in Mainz-Kastel geborene Wichert konzentriert sich bei seiner Sammeltätigkeit in Mannheim vorwiegend auf das 19. Jahrhundert; seine Vorliebe ist jedoch die französische Moderne.

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