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"die Frembden hieher zu ziehen"

Überschrift eines Flugblattes der Zeit, auf dem geschrieben steht: "Renovation und ferner weithe Extension der Mannheimer Privilegien"

Das dritte Kapitel des Bandes zur Migrationsgeschichte von Prof. Ulrich Nieß setzt mit der Zerstörung Mannheims im pfälzischen Erbfolgekrieg 1689 ein, die eine massive Abwanderung der Bevölkerung zur Folge hatte. Nördlich des Neckars lag der nächstgelegene Zufluchtsort, wo die Menschen in einfachsten Hütten mit schlechter Infrastruktur lebten. Dass Mannheim tatsächlich neugegründet werden konnte, lag vor allem am Frieden von Rijswijk, der 1697 geschlossen wurde.

Von nun an konnte sich Mannheim aus Asche und Trümmern erheben und letztlich 1720 zur Residenzstadt werden. Beim Prozess der Wiederbesiedelung setzte man auch diesmal, wie schon im vergangenen Jahrhundert, auf Zuwanderung. Diese unterschied sich von der vormaligen insofern, als dass die Zielgruppe der verschiedenen Lockmethoden vor allem aus dem nicht allzu weit entfernten Raum kam. So erhoffte man sich mit dem damals eher ungewöhnlichen Feiern des 100. Jubiläums der Stadt 1707 eine „Leistungsschau der neuen Bürgerschaft und ihrer Zünfte“ darbieten und so neue Bürger anlocken zu können. Ein bereits bekanntes Mittel war überdies die Steuerbefreiung für Migrant*innen. Zentrale Veranstaltungen der mehrtägigen Feierlichkeiten waren vor allem auf dem Marktplatz vor dem neu erbauten Rathaus in F1 zu finden.

Diese Bemühungen führten letztlich dazu, dass 1719 rund 5.300 Menschen in Mannheim lebten, was für damalige Verhältnisse durchaus als beachtlich gelten kann. Diese gliederten sich in 1000 Soldaten, 2600 Menschen mit Bürgerrechten, 600 Beisass*innen mit minderen Rechten, 600 Juden und 51 Mennoniten. Die fehlenden 500 sind dem „Gesinde“ zuzordnen. Insgesamt dürfte aber die Abwanderung gegenüber der Zuwanderung die dominante Migrationsform im Mannheim dieser Jahre gewesen sein.

Die Bevölkerung Mannheims war also durchaus kulturell und religiös heterogen und barg daher einiges an Konfliktpotential, was Stadtdirektor Johann Leonhard Lippe dazu brachte die Schwierigkeit des Regierens bei einer Rede 1706 zu betonen.

So waren die Zugewanderten auch keinesfalls alle gleich geachtet. Den überaus beliebten Italienern, von denen überliefert ist, dass sie gerade im Handwerk reichlich Beschäftigung fanden, standen Gruppen wie die Mennoniten, Pietisten oder Juden gegenüber, denen verschiedene Vorschriften gemacht wurden. So ist beispielsweise aus dem Jahr 1706 überliefert, dass maximal 20 mennonitische Familien in Mannheim leben durften und diese aufgrund ihres strikten Pazifismus, also der Weigerung am Kriegsdienst, eine Sonderabgabe für Schießpulver abverlangt wurde. Wenn sie schon nicht mitkämpften, sollten sie also wenigsten für den Krieg bezahlen. Die Pietisten, die als eine eigenartige Sekte angesehen wurden, waren hohem Assimilierungsdruck und Verfolgung ausgesetzt. Eine dritte, bedingt geduldete Gruppe war die der Juden. So unterschied man von Seiten der Stadtelite zwischen ausdrücklich erwünschten wohlhabenden Juden und sogenannten „Betteljuden“. Letztere versuchte man, genauso wie Sinti und generell arme Menschen, die man als „kriminelle Vagabunden“ ansah, ganz aus der Stadt heraus zu halten. Daran lag es auch, dass die ansässigen Juden insgesamt zur wohlhabenderen Schicht gehörten. Sie konnten es als sogar bis nach ganz oben schaffen, wie der Milizfaktor Lemle Moses beweist. Nichtsdestotrotz war auch die Anzahl der Juden in der Stadt auf maximal 200 Familien begrenzt und weil die Juden vor allem mit dem christlichen Umfeld Spannungen erlebte, waren sie weiteren Regeln unterworfen. So durften sie beispielsweise zu bestimmten Zeiten keinen Fisch kaufen, weil man den Preisanstieg des Fischs den insgesamt wohlhabenderen Juden anlastete und die Christenschar um ihr Freitags- bzw. Feiertagsmahl fürchtete. Auch sollten Juden keinen Damast oder Seide tragen, sondern schwarze Mäntel. Man wollte nicht, dass die Juden ihren Wohlstand zur Schau stellten, aber dass sie gleichzeitig erkennbar blieben.



Grafik zur Bevölkerungssituation 1719

Demnach kann „von einer auf Toleranz basierenden Stadtgesellschaft“ mit Blick auf die beschriebene Zeit nicht die Rede sein.

Den kompletten Aufsatz finden Sie in der Publikation Philipp Gassert, Ulrich Nieß, Harald Stockert (Hg.): Zusammenleben in Vielfalt. Zuwanderung nach Mannheim von 1607 bis heute. Veröffentlichungen zur Mannheimer Migrationsgeschichte. Bd.1. verlag regionalkultur. Mannheim 2021. ISBN 978-3-95505-311-6

Queer im Leben - Mannheims erster CSD

Der Christopher Street Day (CSD) ist mittlerweile eine feste Institution im Mannheimer Veranstaltungskalender. Doch wann war eigentlich der erste CSD in Mannheim? Dies zu beantworten ist gar nicht so einfach. Im Folgenden wird Christian Könnes Antwort aus "Queer im Leben – Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in Geschichte und Gegenwart der Rhein-Neckar-Region" nachvollzogen.

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