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Paul Franz Giulini - Ein deutsch-italienischer Industriepionier

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Erstes Wohn- und Geschäftshaus der Familie Giulini in Mannheim, E 1, 5-6. Fotoaufnahme um 1902

Paul Franz Giulini war einer der erfolgreichsten Unternehmer der Frühindustrialisierung in Mannheim. Der in Norditalien geborene Giulini kam 1822 in die Quadratestadt und gründete noch im selben Jahr die erste chemische Fabrik Mannheims.

Von einer typischen migrantischen Erfolgsgeschichte nach dem Motto „vom Tellerwäscher zum Millionär“ kann hier jedoch nicht gesprochen werden. Denn seinen Aufstieg verdankt er eben gerade seiner Herkunft aus einer wohlhabenden und einflussreichen italienischen Handelsfamilie.


Paul Franz Giulini (1796 - 1876), StadtA Ludwigshafen


Geboren wurde er als Paolo Francesco Giulini 1796 in Torno an den südlichen Ufern des Comer Sees. Die Familie war in der Ortschaft als Textilfabrikanten schon seit dem 16. Jahrhundert ansässig. Typisch für die Sozialstruktur der italienischen Alpen zeichnete sich auch diese Familie durch ein starkes Sippenbewusstsein aus. Eng verwandt und verschwägert waren sie mit den im Ort ebenfalls ansässigen Handelsfamilien der Maggi, Grasselli, Mandelli und Ruspino. Diese Familien waren schon seit Jahrhunderten als Händler nördlich der Alpen tätig und besaßen dort ein weiterverzweigtes Netz von Handelsniederlassungen. Die Teilhaber dieser Handelsgesellschaften rekrutierten sich fast ausschließlich aus engen Verwandten und eingeheirateten Familienmitgliedern. In ihren auswärtigen Handelsniederlassungen handelten sie häufig mit Geschäftspartnern, die aus der gleichen Herkunftsregion stammten.
Auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten jahrhundertealte transalpine Handels- und Migrationstraditionen noch Bestand. Denn das Erlernen des familiären Geschäfts erfolgte traditionell nicht in der Heimat, sondern durch Arbeitsmigration in einer der Handelsniederlassungen. So wurde auch Paul Giulini im Jahre 1813 zu einer Niederlassung der Firma „Maggi, Grasselli & Comp.“ nach Tiengen bei Waldshut im südlichen Baden geschickt, die von seinem Vater von Torno aus geleitet wurde. Neun Jahre später wurde er zusammen mit seinem Bruder Johann Baptist Giulini nach Mannheim zur Aufrechterhaltung der dortigen Handelsniederlassung entsandt. Dort wurde ihm im selben Jahr das Bürgerrecht gewährt und er heiratete die Mannheimer Bürgerstochter Johanna Margaretha Lippert.


Moderne Aufnahme von Torno am Comer See. Quelle: Wikipedia.


In der Stadt konnten er sich auf ein bereits etabliertes verwandtschaftlich- und landsmannschaftliches Netzwerk verlassen. Denn seit 1816 war sein Onkel Anton Dominik Giulini als Associé der Firma „Maggi, Grasselli“ in Mannheim tätig gewesen. Darüber hinaus gab es noch eine ganze Reihe weiterer italienischer Handelsfamilien in der Stadt. Das Mannheimer Adressbuch aus dem Jahr 1823 enthält nicht weniger als 26 Einträge von Personen italienischen Namens, die im Handel tätig waren. Zu ihnen gehören einige der angesehensten Familien der Stadt, wie die Brentano, Artaria, Bettolo und D’Angelo. Sie alle stammten aus der Region um den Comer See. Die Handelsfamilien der Nino, Tunna, Bodani, Ciolina stammten hingegen aus dem Ossolatal und dessen Seitentälern – einer Region im Piemont östlich des Lago Maggiore. Bis etwa 1800 wurden die meisten Mitglieder dieser Familien noch in Italien geboren und zogen erst später meist aus geschäftlichen Gründen nach Mannheim.
Das Unternehmen der Giulini, deren Materialhandlung neben ausländischen Delikatessen  auch Farben und Chemikalien verkaufte, expandierte schon bald und weitete sich auf die Produktion ebensolcher chemischer Produkte aus. Im Oktober 1822 erwarben die Giulini den Grohehof im heutigen Wohlgelegen, um dort eine der ersten chemischen Produktionsstätten in ganz Süddeutschland zu errichten. Nach dieser Gründung schien sich die Familie Giulini mehr und mehr von der Firma „Maggi, Grasselli“ und den damit einhergehenden engen Verflechtungen von Verwandtschafts- und Geschäftsbeziehung, gelöst zu haben. So firmierte die Materialhandlung ab 1824 als „Gebrüder Giulini“. 1826 drängten sie durch Zivilklagen den letzten Geschäftspartner der alten Sippschaft, Johann Angelus Grasselli, aus dem Geschäft.


Erstes Wohn- und Geschäftshaus der Familie Giulini in Mannheim, E 1, 5-6. Fotoaufnahme um 1902, MARCHIVUM.


Ihr geschäftliches und gesellschaftliches Engagement richtete die Familie nun zentral auf Mannheim. So war Paul Giulini schon bald einer der angesehensten Bürger der Stadt, der sich stark in Kommunal- und der Landespolitik einbrachte. Die Nachkommen Paul Giulinis wurden nicht mehr in Italien geboren, wie es früher noch üblich gewesen wäre, sondern sind alle in Mannheim geboren und aufgewachsen. Sie verbanden sich geschäftlich und durch Heirat mit bedeutenden Mannheimer Unternehmerfamilien. Trotzdem blieb die Verbindung zu der Region, in der die Familie Giulini seit Jahrhunderten zur Oberschicht gehört hatte, weiterhin stark. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Paul Giulini 1836 in Lazzago bei Como einen herrschaftlichen Landsitz für die Familie erwarb. Hier sollte er auch im hohen Alter versterben und dessen Enkel Georg Otto Giulini (1936 in den italienischen Adelstand erhoben) leitete von dort aus die Geschäfte des mittlerweile europaweit agierenden Konzerns.

Dieser Blogbeitrag ist ein gekürzter Ausschnitt aus dem Aufsatz: Veyel, Eric: Zwischen Umbruch und Tradition. Einwanderung und Innovation im Mannheim der Frühindustrialisierung 1815-1860. In: Philipp Gassert, Ulrich Nieß, Harald Stockert (Hg.): Zusammenleben in Vielfalt. Zuwanderung nach Mannheim von 1607 bis heute (Veröffentlichungen zur Mannheimer Migrationsgeschichte. Bd.1) Mannheim 2021, S. 110-129.
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