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Dokumentation der Migrationsgeschichte: Aus dem Interview mit Frau Binaey Taneri (Teil 1)

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Bild von Frau Tanieri

Im Auftrag des Gemeinderats wurde unser Projekt „Dokumentation der Migrationsgeschichte“ ins Leben gerufen. Aufgabe des MARCHIVUM ist es nun, historisch relevante Materialien zur Mannheimer Migrationsgeschichte zu sammeln und sicher aufzubewahren, um einen wichtigen Teil unserer Gesellschaft sichtbar zu machen. Elementarer Bestandteil der Überlieferung sollen neben physischem Material migrantischer Institutionen auch die Eindrücke der Migrant*innen selbst sein, die in Interviews festgehalten werden. Frau Binaey Taneri, eine angehende Lehrerin an einer Mannheimer Schule, hat sich mit uns über ihren Lebensweg und ihre Erfahrungen ausgetauscht. Um einen Einblick in das Projekt zu geben, möchten wir Teile dieses Gesprächs in zwei Schüben auf unserem Blog veröffentlichen:

Hallo Frau Taneri, bei Ihnen sind Vater und Onkel ausgewandert, warum?
Mein Onkel war anfangs sehr skeptisch, weil er auch noch studiert hat und zu Ende studieren wollte. Aber dieses Gefühl von Leuten, die schon mal ausgewandert sind und erzählen, was es für Möglichkeiten gibt, dass sie freundlich aufgenommen wurden und dass man hier gut arbeiten kann, [haben für ihn wohl den Ausschlag gegeben].

Wie gestaltete sich die Arbeitssuche vor Ort?
Dadurch, dass mein Vater eben in einer Arbeiterfamilie großgeworden ist, war harte Arbeit für ihn nicht unüblich. All diese Arbeiten, die leichter zugänglich waren, die haben sie [mein Vater und Onkel] dann gemacht. Also sie haben es quasi so aufgesaugt und mitgelebt, und haben das dann weitergeführt.

Wie wurden Ihr Vater und Ihr Onkel empfangen?
Es gab sehr viel Hilfe von den Nachbarn, bei denen sie gewohnt haben, aber ich muss doch zugeben, dass eben die meiste Hilfe von der eigenen Verwandtschaft, von den eigenen Landsleuten kam, weil dort einfach die Sympathie und die Empathie da war und die nachvollziehen konnten, was diese Menschen eigentlich durchmachen.

Wie sah es am Anfang mit der Sprache aus?
Mein Vater sagt heute immer noch, mit Hand und Fuß haben die sich verständigt, einfach, weil es nicht anders ging. Ansonsten war die Sprache die einzige Barriere, die wirklich da war.
Mein Schwiegervater erzählt: „Binaey, weißt du, als ich herkam, da haben die Leute mich ausgelacht, dass ich Englisch konnte. ‚Du mit deinem Englisch. Du, lass das. Hier spricht man Deutsch. In Deutschland spricht man Deutsch.‘“ Und Jahre später, jetzt schauen wir uns [die Gesellschaft heute] an.

Welche Erinnerungen haben Sie als Kind?
An meine Kindergartenzeit hab‘ ich in Erinnerung, dass wir supertolle Erzieherinnen hatten, die wirklich sehr gerne ihren Beruf gemacht haben. Ich hatte tolle Lehrpersonen, tolle Lehrkräfte, die wirklich sehr unterstützend waren. Was mich auch dazu letztendlich geführt hat selber Lehrerin werden zu wollen.

Wie gestalteten sich die Kontakte in der Schulzeit?
Wenn ich für mich spreche, waren meine Kontakte mehr zu deutschen Kindern. Ich wollte immer die deutsche Kultur kennenlernen. Und für mich war das ein bisschen so ein Punkt von „Wenn du wirklich hierhergehören möchtest, musst du wissen, wie diese Kultur funktioniert. Ansonsten geht es nicht.“

Gab es Situationen, wo Sie gemerkt haben, die Menschen stempeln Sie als eine Person mit einem sogenannten Migrationshintergrund ab?
Ich habe nicht darauf geachtet, ob ich jetzt irgendwie als Kurdin wahrgenommen werde oder als Mädchen mit Migrationshintergrund. Ich habe nicht darauf geachtet. Das Einzige, was für mich wichtig war, und das ist bis heute noch so, dass die Bildung einer der Faktoren, die einzige Möglichkeit war, wirklich integriert zu sein.

Sie haben studiert. Sie werden Lehrerin. Hat Ihre Familie dazu beigetragen, dass Sie wirklich diesen Bildungsweg durchgehen?
Mein Vater erzählt immer: „Stell dir vor, du bist in der Schule und du lernst gerade und plötzlich kommt ´ne Bombe über dir runter und da fliegen Raketen über dir weg.“ Er hat sich immer für seine Kinder gewünscht, dass sie die Schule fertigmachen, und zwar gut fertigmachen, weil er es nie konnte. Für mich war es klar, vor allem als Frau bei uns in der Kultur, in der Gesellschaft war es wichtig, dass die Frau, das Mädchen schon einen Bildungsstandard hat, ein Bildungsniveau hat, das sich sehen lassen kann. "Unsere Tochter, die macht einen Bildungsweg und sie geht studieren. Sie wird es schaffen."

Wie kann man den Austausch und den Aufbau des Netzwerks in Schulen besser gestalten?
Man sollte wirklich dafür sorgen, dass die Menschen zusammenkommen, sei es bei Elterntreffen, Elterncafé. Das Zusammenkommen, diese erste Fremdheit, das muss man überwinden und dann zu schauen: Wo können die Menschen zusammenkommen? Bei welchen Themen? Und wenn das geschafft ist, dann kommen die Menschen sich auch näher.
Dadurch, dass Kinder eine große Zahl an Jahren an der Schule verbringen, sollte das schon die Schule machen. Ich glaube, dass bei solchen Zusammentreffen in der Schule, wenn man an der Schule als Elternbeirat arbeitet, dass man auch den Eltern mit Migrationshintergrund erklärt: Wenn sie wirklich wahrgenommen werden wollen, dann müssen sie sich auch einbringen. Das heißt, sie müssen aber auch zu Elterncafés gehen. Sie müssen auch zu diesem Elternbeirat oder sie müssen sich irgendwie einbringen können. Sonst haben sie keine Chance, Kontakte aufzubauen.

Und bei den Kindern?
Die Schülerschaft an sich, die Kinder, die haben kein Problem damit. Die kommen klar miteinander, weil sie weniger diesen Unterschied daraus machen, als dass sie mehr die Gemeinsamkeit daraus raussuchen. Die sagen: „Hm, du bist ´n cooler Typ“ oder „Du bist ´n cooles Mädchen. Ich mag dich. Komm, lass uns Freunde werden.“ Das ist einfacher bei den Schülern als bei den Eltern.

Wir sprechen heutzutage sehr viel über Migrationshintergrund. Es gibt mittlerweile auch den Begriff Migrationsbiografie, Migrationserfahrung, Migrationsgeschichte. Was halten Sie von diesen Begriffen?
Er [Mein Mann] selber hat aber keine Migrationsgeschichte, in dem Sinne, dass man sagt, dass er selber aus einem Land hierher migriert ist. Er ist ja hier geboren. Er ist hier zum Kindergarten gegangen, Grundschule et cetera, alles hier durchgemacht. Sozialisiert ist er hier. Es ist leider damit verbunden, dass wenn die Eltern, also wenn die direkte Verwandtschaft, wenn sie Migrationshintergrund haben, bist du auch automatisch Migrant. Und ich glaube, da muss man vorsichtig sein. Ich würde mich nicht mit Migrationsgeschichte oder Migrationserfahrung abstempeln wollen. Es heißt dann immer: „Ja, Frau Taneri, Sie haben doch Migrationshintergrund. Erzählen Sie mal.“ Aber inwiefern kann ich noch erzählen, was ich damals aus meiner Kindheit im Irak mitbekommen habe? Gar nichts. Ich kann nichts erzählen.
So, ich glaube, diesen Begriff an sich kann man nicht komplett auflösen. Ich würde mir aber nur wünschen, dass die Assoziationen damit verwischt werden würden. Dass sie sich vielleicht ändert, dass es nicht unbedingt heißen muss: Wenn man dann Migrationshintergrund hört, dass dann nicht sofort die Assoziation damit ist: Oh, das ist was Schlechtes.
Warum muss man denn da von Migrationshintergrund sprechen?

Wie kann man denn diese Assoziation abschaffen? Sollte das seitens der Politik und Medien kommen?
Ich denke, da hat die Politik eine sehr große Rolle. Es wird ja quasi alles vom Bund vorgegeben. Es kommt dann runter bis ins Bundesland, in die Städte, in die Bürgerämter. Und ich würde mir einfach mal wünschen, dass man von unten guckt und nicht mehr von oben. Dass man guckt, welche Menschen leben eigentlich hier. Wer fühlt sich denn angesprochen als Migrationshintergrund. Und wer sind die anderen Menschen, die man nicht als Migrationshintergrund bezeichnet.
Weil leider, leider die Medien das schon sehr runterziehen.

Fortsetzung folgt...

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Vom Ende der Pressevielfalt in Mannheim: Die "Nazifizierung" des Mannheimer Zeitungswesens

Noch zu Beginn der dreißiger Jahre gibt es in Mannheim sieben große Tageszeitungen. Von rechts bis links sind dabei alle politischen Richtungen vertreten. Mit der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten im Jahr 1933 findet jedoch die vielgestaltige Mannheimer Presselandschaft innerhalb kurzer Zeit ein Ende. Die Zeitungen werden von den neuen Machthabern durch politische Hetze bekämpft, verboten oder halten dem wirtschaftlichen Druck nicht stand. 1939 bleiben nur noch das Hakenkreuzbanner und die Neue Mannheimer Zeitung übrig. Gegen Kriegsende 1944 werden auch diese beiden Zeitungen „auf Kriegsdauer“ zusammengelegt.

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Dokumentation der Migrationsgeschichte: Aus dem Interview mit Frau Binaey Taneri (Teil 2)

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