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1890 - 1914: "Ein Gewirr von Sprachen und Trachten"

Belegschaft der Ziegelei "Noll und Seitz" um 1910

„Ein Gewirr von Sprachen und Trachten“ überschreibt Dr. Anja Gillen ihr Kapitel über die Zuwanderung nach Mannheim in den Jahren 1890-1914, welches in der Publikation „Zusammenleben in Vielfalt“ veröffentlicht wurde. Dieses wollen wir im Folgenden näher in den Blick nehmen.

Im Deutschen Reich herrschte damals eine Phase starken wirtschaftlichen Aufschwungs. Industrialisierung und Urbanisierung lockten nicht nur ländliche Bewohner*innen in die Städte, sondern auch zahlreiche Zuwanderer aus dem Ausland. Erleichtert wurde dies durch ein moderateres Einwanderungsrecht. Die boomende Industriestadt Mannheim machte in dieser Zeit eine rasante Entwicklung. Lebten 1890 noch rund 79.000 Einwohner*innen in Mannheim, waren es 1914 bereits über 200.000. Dabei spielten Eingemeindungen und Geburtenüberschuss nur eine untergeordnete Rolle. Die aufstrebende Industrie lockte Massen von Arbeiter*innen nach Mannheim. Die meisten kamen aus Baden.

Ein Symbol für die Industriailsierung: Die "Zellstofffabrik Waldhof" um 1909, MARCHIVUM.

Neben den in Mannheim wohnenden Arbeiter*innen pendelten viele auch aus den umliegenden Gemeinden nach Mannheim (um 1900 gut ein Viertel der Fabrikarbeiterschaft).
Die größte Gruppe der zugezogenen Ausländer*innen stellten die Personen aus Österreich-Ungarn dar, gefolgt von der Schweiz, Italien, Russland und den Niederlanden. Die meisten waren in der Industrie, dem Baugewerbe und bei Saisonarbeiten beschäftigt. Die Zahl der konsularischen Vertretungen in Mannheim spiegelt diese Entwicklung wider. Ihre Zahl stieg von 13 im Jahr 1890 auf 23 im Jahr 1910.


Wohnsiedlung der "Süddeutschen Juteindustrie" in Sandhofen. Postkarte, 1904, MARCHIVUM

Einer genaueren Betrachtung unterzieht Gillen das Industriegebiet Sandhofen. In diesem Zusammenhang ist auch das Eingangszitat zu sehen: „An den eigentlichen Ort [Sandhofen] reihen sich ohne Zusammenhang die meist von Ausländern besiedelte Wohnkolonie der Juteindustrie mit etwa 1.300 Einwohnern, die Kolonie der AG Papyrus mit nahezu 300, die der Zellstofffabrik mit ungefähr 200 […] Einwohnern. Dem bunten Ortsbild gleicht das Volksbild. Ein Gewirr von Sprachen und Trachten.“ Von 1895 bis zur Eingemeindung nach Mannheim (1913) verdoppelte sich die Sandhofener Bevölkerung nicht zuletzt durch Zuzug. Das Zusammenleben und auch die damit verbundenen Probleme betrachtet Gillen ausführlich, bevor sie abschließend exemplarisch die italienische Zuwanderung in den Blick nimmt. Die Italiener*innen arbeiteten meist saisonal und kehrten regelmäßig in ihre Heimat zurück. Viele von ihnen fanden im Mannheimer Baugewerbe und in den Ziegeleien Beschäftigung. Zahlreiche Hinweise finden sich auch für eine besondere Gruppe von Fachkräften: die Gipsfigurenfabrikanten bzw. -händler aus Bagni di Lucca und Umgebung.
Abschließend stellt Gillen fest, dass die Arbeitskräfte, die oft von den Firmen angeworben wurden, insgesamt hochmobil waren. In Vereinen und der Kirche wurden ihnen soziale Unterstützung und die Möglichkeit der Vernetzung geboten. Die Arbeitsbedingungen waren oft hart und die Wohnbedingungen meist schwierig bis menschenunwürdig. Auch belasteten Anfeindungen der einheimischen Bevölkerung das Leben der Zugezogenen. Dennoch blieben manche Familien dauerhaft in der Region.


Anteile der aus Baden, sonstigen Staaten des Reiches bzw. dem Ausland stammenden Bevölkerung der Stadt Mannheim, 1890-1914 (nach Staatsangehörigkeit)


Reichsangehörige in der Stadt Mannheim, 1900 und 1907 (nach Gebürtigkeit)


Aus dem Ausland stammende Personen in Baden, 1890-1910 (nach Staatsangehörigkeit


Herkunft der ausländischen Bevölkerung in Mannheim, 1900 und 1907 (nach Gebürtigkeit)