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1914 – 1918: „Feindliche Ausländer*innen“

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Aufnahmestelle der "Zentrale für Kriegsfürsorge" in N 2, 11. 1916.

Es ist auch heute zu erleben, dass Kriegsgeschehen einen enormen Einfluss auf Migrationsbewegungen haben. Der Erste Weltkrieg stellt hiervon keine Ausnahme dar und ist somit als gesonderte Episode in den Band zur Mannheimer Migrationsgeschichte „Zusammenleben in Vielfalt“ aufgenommen worden.

Die Bevölkerungsstruktur Mannheims war ab 1914 durch Kriegsgefangene, Flüchtlinge und „Zwangsarbeiter*innen“ geprägt. Es vollzog sich binnen weniger Tage, dass Menschen, die eben noch den Status eines „ausländischen Staatsangehörigen“ hatten, auf einmal zu „feindlichen Ausländer*innen“ wurden. Gemäß den Freund-Feind-Konstellationen des Krieges waren dies zunächst vor allem Menschen aus Russland, Frankreich, Großbritannien, Serbien und Belgien. Die Betroffenen wurden nur wenige Tage nach Kriegsausbruch aufgefordert, das Großherzogtum Baden über Konstanz in die Schweiz zu verlassen. Wer dieser Aufforderung nicht schnell genug nachkam, war als Kriegsgefangener zu behandeln. Ein sehr prominentes Beispiel für diesen plötzlichen Umschwung bildet das hochrangig besetzte Schachturnier, das zeitgleich mit dem Kriegsausbruch im Mannheimer Schloss stattfand. Das Turnier wurde abgebrochen und ein großer Teil der betroffenen Spieler interniert – darunter auch die russische Schachlegende Alexander Aljechin.


Volksküche in R 5, 6-9. 1914. MARCHIVUM.

Doch auch für viele der ausländischen Arbeiter*innen, die nicht aus plötzlich verfeindeten Nationen stammten, nahm das Leben eine drastische Wendung. Mobilmachungen der Heimatländer, aber auch Werksschließungen in Mannheim waren dafür verantwortlich, dass sie das Land verlassen mussten oder auf Sozialleistungen angewiesen waren. Als nach wenigen weiteren Tagen im August 1914 die Grenzen geschlossen wurden, um Angehörige feindlicher Nationen daran zu hindern, in den Krieg einzutreten, stiegen die Zahlen der Bedürftigen rapide an. Lediglich Frauen und Kinder sowie Männer über 45 durften das Land nun noch verlassen. Mannheim galt in diesen frühen Kriegsmonaten als „Ausländer*innen-Sammelpunkt“.


Aufnahmestelle der "Zentrale für Kriegsfürsorge" in N 2, 11. 1916. MARCHIVUM.

Die nun im geschlossenen Baden bzw. Mannheim befindlichen Kriegsgefangenen wurden vielfach unter Zwang in der Industrie eingesetzt. Im Oktober 1915 hatten beispielsweise 46 Mannheimer Unternehmen einen Bedarf an derartigen Arbeitskräften angemeldet. Ein weiteres zentrales Merkmal des Umgangs mit den Kriegsgefangenen im Allgemeinen war, dass im Ersten Weltkrieg das erste große Lagersystem des 20. Jahrhunderts entstand. In Mannheim lag dieses am Rande der Neckarstadt auf dem alten Exerzierplatz am Ulmenweg. Im Jahr 1916 kam ein Kriegsgefangener auf zehn Mannheimer Einwohner, wobei die Russen und Franzosen die größten Gruppen bildeten.


Russische Kriegsgefangene als Arbeiter auf dem Werksgelände der Firma "Mohr & Federhaff". 1917. MARCHIVUM.

Doch auch Auslandsdeutsche bzw. Flüchtlinge kamen nach Baden bzw. Mannheim. So stellten für das Fürsorgesystem des Großherzogtums Baden eine weitere enorme Herausforderung dar. Hierfür nahm das Bezirksamt Mannheim wie schon für die Verteilung der „Ausländer*innen“ eine zentrale Rolle ein. Nach Mannheim kommen durfte, wer nachweisen konnte, dass er*sie verwandtschaftliche Beziehungen nach Mannheim hatte oder vor dem Krieg in Mannheim gelebt hatte.

Abschließend kann gesagt werden, dass es das Fehlen statistischen Materials für die Zeit der Kriegsdauer erheblich erschwert, ein genaues Bild der Migrationsbewegungen Mannheims zu zeichnen. Das Aktenmaterial, das hier Aufschluss geben könnte, ist in großen Teilen während des Zweiten Weltkrieges verloren gegangen. Staatliche Akten aus dem Generallandesarchiv in Karlsruhe bilden demnach den Grundstein für die Darstellung. Sie ermöglichen immerhin Momentaufnahmen. Klar ist jedenfalls, dass die Bevölkerungsstruktur durch Geflüchtete und Kriegsgefangene im Vergleich zu den Zeiten vor dem Krieg erheblich verändert wurde und fortan von ihnen geprägt wurde.

Weiteres ist im Beitrag von Doreen Kelimes zu lesen, der im Migrationsband „Zusammenleben in Vielfalt. Zuwanderung nach Mannheim von 1607 bis heute“ enthalten ist. Den Band selbst finden Sie in unserem Online-Shop.

 

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