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1918 - 1939: Von Ausländern "förmlich überschwemmt"

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Bezirksamt in L6, 1 von innen. Es ist leer, Schreibtische und Aktenregale sind zu sehen. Das Amt war zuständig für Einbürgerungen.

Der Text wurde von Dr. Harald Stockert verfasst, der zunächst feststellt, dass es in der Zeit der Weimarer Republik und auch in der frühen NS-Zeit teilweise beachtliche Zu- und Abwanderungsbewegungen gab. Insbesondere unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg wanderten rund 1 Million Menschen nach Deutschland ein. Ab Ende der 1920er Jahre gingen die Zahlen dann deutlich zurück.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gingen die europäischen Staaten zu einer protektionistischen und revisionistischen Zuwanderungspolitik über. Da der Arbeitsmarkt in Deutschland von zurückkehrenden Soldaten überschwemmt wurde, schienen ausländische Arbeitskräfte nicht mehr nötig zu sein. Durch den Versailler Vertrag waren im Osten und Westen des Reiches umfangreiche Gebiete abgetrennt worden. Um den Wohnungs- und Arbeitsmarkt nicht weiterhin zu belasten, steuerte die Regierung gegen die Zuwanderung der dort lebenden ehemaligen Reichsdeutschen.


Das Plakat zeigt die 1919 abzutretenden bzw. zur Volksabstimmung vorgesehenen Gebiete, MARCHIVUM

Auch in Mannheim, dem nach der Zentralisierung hoheitlicher Aufgaben auf dem Gebiet der Zuwanderung nur ausführende Aufgaben zufielen, war der Wohnungsmarkt durch Kriegsheimkehrer und Flüchtlinge sehr angespannt. Anfang 1919 schätze die Stadtverwaltung den Bedarf an neuen Wohnungen auf 3.600. Angesichts leerer Kassen ein hoffnungsloses Unterfangen. 25.000 Zuzugsanträge wurden allein 1919 abgelehnt.

Bis Ende 1920 kamen rund 120.000 Menschen aus Elsass-Lothringen über die Grenze. Geographisch bedingt zunächst nach Baden, wo die „Reichszentrale für die Übernahme der vertriebenen Elsaß-Lothringer“ gegründet wurde. Die nach Mannheim verteilten Elsass-Lothringer wurden vom „Roten Kreuz“ betreut, ein Flüchtlingsheim und Notunterkünfte wurden errichtet. Außerdem unterstütze die Stadt die neu gegründete „Siedlungsgenossenschaft der Elsaß-Lothringer“. 1920 schätzen die Behörden die Zahl der in Mannheim Unterzubringenden auf rund 3.000 Personen.


Werbung für die Abstimmung in Oberschlesien, Plakat, 1921, MARCHIVUM

Im Gegensatz zu den Elsass-Lothringern sind die Ostflüchtlinge in den Mannheimer Quellen kaum fassbar. Allerdings gab es eine Interessenvertretung der Flüchtlinge aus Schlesien sowie schlesische Vereine, die sich intensiv mit der anstehenden Volksabstimmung 1921 befassten.

Noch weniger willkommen als die Reichsdeutschen waren die sogenannten Volksdeutschen, die zwar deutsche Vorfahren hatten, aber eine andere Staatsangehörigkeit. Aufgrund des Inländervorrangs auf dem Arbeitsmarkt und des Wohnungsmangels wurden viele Einwanderungswillige ausgewiesen. Leider ist die Quellenlage für Mannheim durch Überlieferungsverluste lückenhaft. Genaue Zuwanderungszahlen sind daher für die Quadratestadt nicht vorhanden, auch nicht für die Zahl sogenannten „Ostjuden“.

Zumindest ist bekannt, dass zwischen 1918 und 1933 trotz restriktiver Gesetze 1.537 Einbürgerungen in Mannheim vorgenommen wurden, wobei die Zahlen ab 1921 drastisch zurückgingen.


Zuständig für Einwanderungen, Bezirksamt L 6,1, Foto, 1906, MARCHIVUM

Durch den Inländervorrang sollte Arbeitsmigration verhindert werden. Zugunsten der Kriegsheimkehrenden verloren zahlreiche Ausländer*innen wie auch deutsche weibliche Arbeitskräfte ihre Beschäftigung. Genau Zahlen fehlen auch hier für Mannheim. Es ist aber davon auszugehen, dass Mannheim dem allgemeinen Trend folgte. Beispielsweise nahm die Zahl der polnischen Namen in den Mannheimer Adressbüchern in den 1920er Jahren stark ab und das polnische Vereinsleben schlief weitgehend ein. Ausländer*innen wurden zunehmend misstrauisch betrachtet. Einige Personen konnten trotzdem Fuß fassen, insbesondere im Kulturbereich.

Mannheim war damit keineswegs „förmlich von Ausländern überschwemmt“, wie in Zeitungskommentaren tendenziös gemutmaßt wurde. Das Zitat von 1920 belegt vor allem eine stärker werdende Misstrauenskultur und Abwehrhaltung gegen Fremde in der Gesellschaft.

Die größte Abschottung erfolgte in der NS-Zeit. Bereits 1932 war die Zuwanderungspolitik so restriktiv, dass faktisch niemand mehr in Deutschland aufgenommen wurde. In der NS-Zeit wurde die unterdrückte Zuwanderung durch eine rassistische Ausweisungs- und Abschiebepolitik ergänzt. Zur Schaffung eines „rassisch homogenen Volkskörpers“ wurden insbesondere die „Ostjuden“ nicht eingebürgert bzw. ausgewiesen. Lediglich der steigende Bedarf an Arbeitskräften erlaubte eine saisonale Zuwanderung.

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