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1980 - 2020: "City of Immigrants"

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"Klein-Istanbul" genannte Straßenzüge der westlichen Unterstadt. Links ein Gemüsehändler. Über die Straßen laufend eine Frau mit Kopftuch sowie Mutter mit Kind.

Aufmerksame Leser*innen unseres MARCHIVUM-Blogs wissen, dass wir dieses Jahr jeden Monat ein Kapitel des Bandes „Zusammenleben in Vielfalt“ zur Migrationsgeschichte der Quadratestadt vorgestellt haben. Nun kommen wir also in der Gegenwart an, „City of Immigrants“ lautet der Titel des Beitrags von Mitherausgeber Philipp Gassert, der den Zeitraum von 1980 bis 2020 in Augenschein nimmt.

Nachdem bereits 1974 eine „Institutionalisierung der Migrationspolitik“ durch die Installation eines „Beauftragten für ausländische Einwohner“ in Mannheim stattgefunden hatte, stellen die 1980er und 90er eine wichtige Übergangsphase der jüngeren Migrationsgeschichte dar. Durch rassistische Vorfälle wie Graffitis oder die Ausschreitungen auf der Schönau 1992 einerseits, aber auch das Aufkommen einer ersten Generation von „Bildungsinländer*innen“ mit migrantischen Wurzeln, die nach Mitbestimmung rufen, andererseits, rückt das Ziel der Integration stärker und stärker auf die Tagesordnung der Politik.
So zeigt beispielsweise das Jahr 1989 mit der „Ausländerfrage“ als Themenschwerpunkt der Europawahl die Relevanz des Themas. Und die im selben Jahr verabschiedete „Mannheimer Erklärung für Toleranz und Offenheit“ zählt fortan als identitätsstiftendes Dokument der Stadtverwaltung. Des Weiteren beginnt man von offizieller Seite das Selbstbild der Stadt um eine geschichtspolitische Dimension zu erweitern, indem man sich positiv auf das „Mannheimer Experiment“ bezieht. Mit dieser Neubesetzung des Themas und dem Schwung einer neuen Generation von Migrantenkindern folgt ein
Anwachsen von Akteuren und eine Professionalisierung auf dem Gebiet der Migrationspolitik.


"Mannheimer Erklärung". MARCHIVUM.

Man verändert auch insofern seine Sicht auf das Thema, als dass man erkennt, dass Integration eine Daueraufgabe ist und nicht erwartet werden kann, dass das Thema einen sauberen Abschluss findet. Die Richtigkeit dieser Annahme zeigt sich beispielsweise daran, dass ähnliche Debatten über „Ghettoisierung“, „Verslumung“ oder eben das große Schlagwort der „Integration“ damals wie heute geführt werden. Dies scheint mit dem Zuzug immer neuer Migrantengruppen zusammenzuhängen. Waren die dominanten Gruppen im ausgehenden 20. Jahrhundert noch „die Türken“ und „die Italiener“, drehen sich seit der EU-Osterweiterung die Debatten um „die Bulgaren“ und „die Rumänen“.
Politisch geschaffene und historisch gewachsene Problemkonstellationen in Stadtvierteln wurden und werden damals wie heute mitunter in ähnlicher Weise auf die jeweiligen Migrantengruppen und deren Lebensart zurückgeführt. Laut Gassert sei jedoch der „Klassencharakter“ der Einwanderung die eigentliche Erklärung für die Phänomene von „Ghettoisierung“ und „Verslumung“. Demnach seien Migrantengruppen in den allermeisten Fällen durch ihre sozioökonomische Stellung dazu gezwungen, in bereits problematische Stadtbezirke zu ziehen.
Als integrative Kräfte sind dagegen vor allem zivilgesellschaftliche Akteure, Gewerkschaften und Kirchen zu nennen. Feste wie der „Tag des ausländischen Mitbürgers“ oder die „interkulturellen Wochen“ zeigen, obwohl sie mitunter eine problematische Exotisierung und oftmals eine Reduzierung v.a. auf das Essen vornehmen, die positive Besetzung von Vielfalt und „Buntheit“. Dabei versucht man seither desintegrierende, oftmals politische oder auch religiöse, Themen auszuklammern.


Yavuz-Sultan-Selim-Moschee mit benachbarter Liebfrauenkirche. MARCHIVUM.

Den Bau der Yavuz-Sultan-Selim-Moschee 1993-1995 nennt Gassert einen „Testfall für das Integrationsvermögen und die Toleranzbereitschaft der Mannheimer Stadtgesellschaft“. Einen weiteren Meilenstein erreicht die bundesdeutsche Gesellschaft als sie Ende der 1990er die doppelte Staatsbürgerschaft einführt. Für Mannheim ist darüber hinaus noch das Jahr 1999 zu nennen, in dem die Stadt einen Migrationsbeirat erhält.
Neben den regulären Themen um das Thema „Ausländer“ bot und bietet jedoch die Arbeit im Bereich der Asylpolitik das meiste Konfliktpotential. Der hieraus entstandene Diskurs geht wie bei keinem anderen an die grundsätzlichen Fragen zu Deutschland als Einwanderungsland und wird von den Parlamenten bis zur Straße auf verschiedenen Ebenen – auch in Mannheim – ausgetragen. Als eindrücklichste Erinnerung haben sich die bereits erwähnten Schönau-Krawalle mit den anschließenden Solidaritätsdemonstrationen ins Mannheimer Gedächtnis eingebrannt. In der „Flüchtlingskrise“ von 2015 blieb Mannheim von gravierenderen Vorfällen verschont. Vielmehr machte die Zivilgesellschaft mit „Mannheim sagt JA!“ Schlagzeilen als tolerante Stadt. Weiter entschied der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 9. Juli 2019, sich dem Apell diverser Städte zur Lösung der Situation der Flüchtenden im Mittelmeer zu lösen und signalisierte Bereitschaft zur freiwilligen Aufnahme von Geflüchteten.


"Klein-Istanbul" genannte Straßenzüge der westlichen Unterstadt. MARCHIVUM.


Dies und verschiedene Äußerungen des Oberbürgermeisters Dr. Peter Kurz vermitteln den Eindruck, dass Mannheim und seine Einwohner in der Mehrheit stolz darauf sind, eine „City of Immigrants“ zu sein und auf diesem Feld gar eine Vorreiterrolle einnehmen. Debatten über den „Sarotti-Mohr“, Straßennamen oder postkoloniale Perspektiven haben laut Gassert zwar ihre Berechtigung, seien jedoch vor allem Thema in kleinen intellektuellen Kreisen. Die migrationspolitischen Herausforderungen, die Mannheim kontinuierlich beschäftigen seien von diesen allerdings oft „meilenweit“ entfernt.

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