Klar ist, dass er am 30. Mai 1829 in Mannheim geboren wurde. Sein Vater betrieb am Marktplatz ein Wirtshaus. Johann Melchior Grohe wählte für sich jedoch einen ganz anderen Weg. Er absolvierte eine akademische Laufbahn an verschiedenen deutschen Universitäten und wandte sich der Literatur zu. Nach seinem Studium verschlug es den Weltenbummler in den 1850ern und -60ern nach Venedig, Neapel und sogar nach Ägypten, wo er vielleicht –man ist sich dessen nicht ganz sicher – zum Islam konvertierte.
Ausschnitt aus dem Familienbogen von Johann Jacob Grohe mit der Nennung seines 1829 geborenen Sohnes Melchior Grohe, "Literat". MARCHIVUM.
Er arbeitete mal hier, mal dort als freier Autor und Publizist und veröffentlichte unter anderem bei badischen Verlagen. Unter Zeitgenossen war er als Autor bekannt, wobei sein Talent umstritten war. Auch darf nicht verschwiegen werden, dass sich ein latenter Antisemitismus in seinen Werken finden lässt. Zweimal wurde er wegen Majestätsbeleidigung angeklagt und zu Gefängnisstrafen verurteilt: 1886 in Limburg und 1887 in Mannheim. Viele Jahre früher kam es zum Bruch mit seiner Familie, die „Schande“ von ihm befürchtete.
Mit Blick auf seine sexuelle Identität pflegte Grohe die Verwendung des Begriffs des „Urning“, der auf den Namen des altgriechischen Gottes Uranos bzw. dem eingeschlechtlich gezeugten Tochter Urania zurückgeht. Urania „ist die mutterlose Tochter des Uranos. […] Sie hat nicht Teil an weiblich, sondern an männlich allein. […] Wer von diesem Gott berauscht ist, wird hingezogen zu dem, was männlich ist“, schreibt 1864 Karl Heinrich Ulrich.
Nachdem Grohe 1880 die sexuellen Dienste eines italienischen Soldaten gegen Geld in Anspruch genommen hatte, wurde er in Graz beim Psychiater eingeliefert. Der Soldat hatte ihn denunziert. Dort bezeichnete er sich selbst als Mensch mit „conträrer Sexualempfindung“, einem damals geläufigen psychiatrischen Begriff. Aus dem Gutachten des Psychiaters geht ein frühes Interesse an männlichen Genitalien sowie die Neigung Frauenkleider zu tragen hervor. Auch über seine Vorstellungen von homosexuellen Sexualpraktiken gibt das Gutachten Auskunft.
Titelseite des Buches "Der Urning vor Gericht. Ein forensischer Dialog". Leipzig 1893. MDZ Münchener Digitalisierungszentrum, Digitale Bibliothek / BSB Bayerische Staatsbibliothek.
Grohe veröffentlichte 1893 den Text „Der Urning vor Gericht“. Die Forschung geht davon aus, dass die Hauptfigur Ferdinand die literarische Repräsentation Melchior Grohes ist. Darin enthalten sind Statements, die gewissermaßen als politisch gelten dürfen. So bezeichnet er die „Urninge“ als „rechtlos“ und als Opfer einer „jahrhundert alten, himmelschreienden Vergewaltigung“.
„Ihr könnt den Urning einsperren, quälen, töten – ändern könnt ihr ihn nicht!“, schließt er einen zentralen Dialog des Werkes, das er König Ludwig II. von Bayern und Prinz Georg von Preußen widmete.