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Hausmusik im Spiegel der Zeit. Ein Schülerprojekt zum Lehrplanthema "Musik und Politik"

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Hausmusik

Hausmusik – längst totgeglaubt und oft belächelt, erlebt in Zeiten von Corona ein Revival. Sei es vom Balkon herab oder online über YouTube. Musik verbindet die Menschen in der Quarantäne und wird dadurch "systemrelevant“.

Im Juni vergangenen Jahres lag die Aktualität, die Hausmusik in 2020 gewinnen sollte, noch in weiter Ferne. Damals fand das erste Treffen mit der Musiklehrerin Sheila Hondong, tätig am Carl-Bosch-Gymnasium in Ludwigshafen, statt. In Mannheim sollte im September 2020 der Bundeskongress Musikunterricht stattfinden und die Lehrerin plante, gemeinsam mit dem MARCHIVUM ein modifizierbares außerschulisches Angebot insbesondere für die MusiklehrerInnen in der Metropolregion Rhein-Neckar zu präsentieren. Das Thema, das natürlich im Kontext mit dem Lehrplan stehen sollte, war noch völlig offen. Hier war also der Bereich Bildung und Vermittlung im MARCHIVUM gefordert.

Voraussetzung sollte sein, dass das mehrteilige Modul sowohl für Jugendliche aus der Mittelstufe als auch der Oberstufe im Musikunterricht anwendbar ist. Ein Bestandteil des Moduls sollte in jedem Fall das Kennenlernen des MARCHIVUM sein. In mehreren Gesprächen haben sich zunächst zwei große Themen herauskristallisiert.

Erstens: Der Nachlass des Musikalienhändlers Emil Heckel aus Mannheim und seine Verbindung zu Richard Wagner.

Emil Heckel - ein Tausendsassa in jeder Hinsicht. Bekannt als bedingungsloser Unterstützer von Richard Wagner, Begründer des ersten Richard-Wagner-Vereins, Musikliebhaber, gewiefter Geschäftsmann und Mitglied des Mannheimer Hoftheaterkomitees.

Emil Heckel und Frau

Zweitens: Musik im Nationalsozialismus am Beispiel des Bestandes Reichsmusikkammer. Besonders spannend: Wilhelm Furtwängler, bekannt als Mannheimer Ehrenbürger war stellvertretender Leiter der Reichsmusikkammer.

Amtliche Mitteilungen der Reichsmusikkamer, 1.7.1938

Für welches der beiden Themen sollte die Entscheidung fallen?

Die Reichsmusikkammer war eine von sieben Einzelabteilungen der Reichskulturkammer. Anhand des Bestandes konnten überregionale Strukturen herausgearbeitet werden. Hingegen versprach der Nachlass von Emil Heckel ausgehend von dessen Biographie eine persönliche Nähe zur Musikgeschichte im 19. Jahrhundert.

Sollte eine Verbindung beider Themen miteinander möglich sein?

In den Akten des Bestandes Reichsmusikkammer fiel immer wieder der Begriff "Tag der Hausmusik". Auch das Haus Emil Heckels war ein Zentrum der Hausmusik. Hier trafen sich wichtige Personen der Mannheimer Gesellschaft. Nicht nur zum Musikhören.

Eintrittskarte zum Tag der Hausmusik, 1933

Das Thema war geboren: "Hausmusik in Mannheim zu Richard Wagners Zeiten und im Nationalsozialismus als Instrument der Macht".

Jetzt galt es, das Thema mit Leben zu füllen und einen Probedurchlauf zu starten. Geplant wurden zwei Nachmittage mit SchülerInnen der 10. Klasse des Gymnasiums. Im Unterricht würde Sheila Hondong vorab in die Tradition der Hausmusik im 19. Jahrhundert und die Musik in der NS-Zeit einführen. Im Mittelpunkt des ersten Nachmittags stand das Kennenlernen des MARCHIVUM mit seiner Geschichte und eine Einführung die Datenbankrecherche.

Datenbankrecherche im Lesesaal, Foto: Sheila Hondong

Ein Bildvergleich führte die SchülerInnen in das Thema Hausmusik im 19. Jahrhundert und in der NS-Zeit ein. Der Silhouettenfilm "Das gestohlene Herz" von Lotte Reiniger, wurde 1934 in Berlin zum Tag der Hausmusik uraufgeführt und später zu diesem Anlass auch in Mannheim gezeigt. Es ist die Geschichte einer kleinen Stadt, in der ein böser Geist alle Musikinstrumente verbannt. Er vermittelt den Jugendlichen die volkstümliche Kernbotschaft des Tags der Hausmusik "…aber die Musik bleibet bestehen".

Am folgenden Nachmittag war die eigenständige Arbeit der SchülerInnen in Gruppenarbeit gefragt. Sie beschäftigten sich mit Quellen zur Person Wilhelm Furtwänglers, der Organisation der Reichsmusikkammer und dem Tag der Hausmusik, wie er in Mannheim organisiert und begangen wurde.

Projektarbeit im Friedrich-Walter-Saal des MARCHIVUM, Foto: Sheila Hondong

Zum Thema Hausmusik im 19. Jahrhundert befassten sich die Jugendlichen mit der Person Emil Heckels und der geschickten Nutzung der Hausmusik etwa zur Unterstützung seines Idols Richard Wagner. Anschließend wurden die Ergebnisse der Gruppenarbeit präsentiert. Besonders beeindruckt hat die SchülerInnen offensichtlich der Einführungsfilm mit der Darstellung des Bösen in der Figur eines Juden - Musik nicht zur Unterhaltung, sondern zur Bestärkung der nationalsozialistischen Ideologie.

Standbild aus dem Film "Das gestohlene Herz", 1934

Anfängliche Bedenken, ob die zahlreichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der Gruppe einen Bezug zur regionalen Geschichte finden, zerstreuten sich rasch. Insbesondere bei der Führung durch den Bunker wurde immer wieder nach Details zur Situation der Menschen in der Kriegs- und Nachkriegszeit gefragt - ein erfreuliches Ergebnis, das zum Weitermachen motiviert. Voraussetzung sind eine engagierte Lehrerin und eine Archivpädagogin und ein facettenreiches Thema. Der Rest ergibt sich fast von selbst.

Übrigens: Der aus Corona-Gründen verlegte Workshop zum Bundeskongress Musikunterricht wird im September 2022 stattfinden. Das Modul Hausmusik möchte das MARCHIVUM zusammen mit Sheila Hondong sobald als möglich weiteren SchülerInnnen anbieten.

Weitere Infos für interessierte LehrerInnen unter: elke.schneider@mannheim.de

 

Demokratiebildung von Anfang an – das MARCHIVUM als Bildungspartner bei MAUS

"Demokratie lebt vom Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger, keine andere Herrschaftsform ist so auf Mitwirkung angewiesen und kann nicht früh genug Gegenstand von Bildung und Erziehung sein. …. Zudem erleben Schülerinnen und Schüler Demokratie unmittelbar in schulischer Mitwirkung. Schule hat die Aufgabe, junge Menschen zu selbstverantwortlichem und demokratischem Handeln in der Gesellschaft zu befähigen. Dazu gehört die Vermittlung von Kenntnissen über politische, historische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen und Entwicklungen."

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