
Die Unterlagen der Eltern von Anna Luise Heimerich, geborene Schilling, beginnen im frühen 19. Jahrhundert. Dabei handelt es sich um Poesiesprüche, Briefe und Postkarten sowie verschiedene Notizbücher.
Besonders interessant ist die Korrespondenz von Anna Luise mit verschiedenen Adressaten. So etwa die Feldpostbriefe der Johanniterschwester Irma Vitzthum von Eckstaedt (Irma Adele Ilse Karola, Gräfin Vitzthum von Eckstädt) aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, die Briefe von Maria Bechhold, der Tochter des Frankfurter Sanitätsrats Theodor Neubürger. Aber auch die Briefe von Dr. Eugenie Steckelmacher, um die es im Folgenden gehen soll.
Anna Luise Schilling, um 1917. MARCHIVUM.
Eugenie Steckelmacher (*1890) promovierte 1914 in Heidelberg und heiratete 1915 Dr. Siegfried Steckelmacher. Ihr Fachgebiet war die Pädiatrie, also die Kinderheilkunde. Siegfried Steckelmacher wurde 1889 in Mannheim als Sohn des Stadtrabbiners, Moritz Steckelmacher, geboren und studierte Medizin in Heidelberg und Berlin. Eugenie eröffnete 1917 eine Praxis in Nürnberg und bekam mit Siegfried zwei Kinder, Wolfgang und Eva.
Moritz Steckelmacher, Mannheims Stadtrabbiner. MARCHIVUM.
Eugenie Steckelmacher schrieb in einem maschinengeschriebenen Brief vom 24.4.1933 an Anna Luise:
„Und daß der arme Hermann noch den Lungeninfarkt kriegen mußte – Eure armen Nerven!“
Hermann Heimerich hatte mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, als die Nationalsozialisten ihn als Oberbürgermeister von Mannheim in „Schutzhaft“ nahmen. Eugenie Steckelmacher drückt mit diesem Satz ihre Sorge um die Freunde aus. Doch der Brief der Kinderärztin spiegelt auch viele weitere Ängste dieser Zeit wider.
Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, der „Arierparagraph“, die Gleichschaltung in fast allen Lebensbereichen waren im nationalsozialistischen Deutschland erlassen und bereits zu Boykotten gegen jüdische Geschäfte und Praxen aufgerufen. Eine Zeit der Angst und Ungewissheit für Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland. So schrieb die Kinderärztin: „Uns reißt es immer noch bös hin und her. Nicht in Bezug auf praktische Entscheidungen, sondern gerade deshalb, daß man die immer noch nicht anpacken kann. Wir wissen nicht, ob man uns die Kassenpraxis nimmt, oder ob uns der Lazaretdienst [sic!] im Krieg »angerechnet« wird, nachdem leider weder Stex noch ich gefallen sind! (…) Weiter wissen wir nicht, ob Steinharts nun endlich ihre (…) Papiere zusammenkriegen; wenn nicht, ob dann ich den Ausreisesichtvermerk kriege um Wolfgang hinüberzubegleiten [sic!], denn dazu langt unser Heroismus doch nicht, um ihn mit Fremden zu schicken und wenn mir noch so oft die 13-14-jährigen Auswanderer vorgehalten werden, die es auch in unserer Familie gegeben hat.“
Eugenie Steckelmachers Zukunft und die ihrer Familie scheint ungewiss und doch sorgt sie sich auch um ihre Freunde in Mannheim. Als der Brief sich dem Ende neigt schreibt sie: „Ob wir uns wirklich einmal wieder sprechen? Das wagt man gar nicht zu fragen!“
Ehepaar Heimerich um 1923 mit Tochter Susanne. MARCHIVUM.
Die Steckelmachers wandern 1933 nach Palästina aus. Siegfried stirbt 1962, Eugenie 1971 in Moschaw Ramot HaShavim, der genossenschaftlichen Siedlung, die sie mit anderen deutschen Auswanderern in Israel gegründet hatten. Von dort schrieb Eugenie auch an Anna Luise mehrere Jahre noch Briefe – man blieb also in Kontakt. Auch diese Briefe sind für die Zeit von 1968-1971 im Nachtrag zum Nachlass von Hermann Heimerich überliefert.