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"Ein Toter gleich zehn Minuten Gefängnis" - Der Lebensweg von Barbara Just-Dahlmann

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Barbara Just-Dahlmann, um 1990

Heute entführen uns unsere Nachlasswelten in das Reich der Staatsanwältin Barbara Just-Dahlmann.

Beeindruckend ist ihr Nachlass schon allein von der Menge her: Rund sieben laufende Meter füllen die Regale im Magazin des MARCHIVUM. Bevor sie 1996 ihren Nachlass an das damalige Stadtarchiv abgibt, versieht sie diverse Manuskripte und Schriftstücke noch mit erklärenden Randnotizen, was die Auswertung des Nachlasses umso aufschlussreicher macht.

Aber wer ist diese Frau, die ihr berufliches Lebensziel in einer bis dato eher von Männern dominierten Sparte sieht?

Auf ihre Berufswahl angesprochen, antwortet sie: "Ich glaube, weil dieser Beruf wie nur wenige andere die Chance gibt, mit dem "Leben" in Kontakt zu bleiben und überhaupt in Kontakt zu kommen. […] Mit arm und reich, mit jung und alt, mit "groß" und "klein", mit krank und gesund, mit Trauer und Heiterkeit, mit Leid und Freude und – immer mit Menschen."

Barbara Just-Dahlmann wird am 2. März 1922 in Posen geboren. Nach ihrem Jura-Studium in Breslau und Freiburg promoviert sie dort 1944 und ist zeitweise bei dem Rechtsphilosophen Erik Wolf als Assistentin tätig. 1948 legt sie ihr zweites Staatsexamen ab und arbeitet bis 1953 als Gerichtsassessorin beim Landgericht Freiburg u.a. in der Zivilkammer, der Strafkammer und der Restitutionskammer, bis 1954 dann als Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Freiburg.

Barbara Dahlmann als Rotkreuzschwester während des Zweiten Weltkriegs


Ab 1965 verlegt sie ihren beruflichen Mittelpunkt nach Mannheim. Hier ist sie zunächst bis 1969 als Erste Staatsanwältin, dann bis 1979 als Oberstaatsanwältin tätig, ab 1980 bis 1987 schließlich als Direktorin des Amtsgerichts Schwetzingen.

Aufgrund ihrer Sprachkenntnisse wird sie 1960 nach Ludwigsburg an die "Zentralstelle der Länderjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen" zur Übersetzung polnischer Dokumente und Zeugenaussagen abgeordnet. Die tiefen Einblicke in die von den Nationalsozialisten begangenen Verbrechen und Morde führen in den Folgejahren zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem milden Umgang der bundesdeutschen Justiz mit NS-Verbrechern. Allzu oft werden Täter als bloße Gehilfen und Befehlsempfänger abgeurteilt. Zusammen mit ihrem Mann – sie ist seit 1951 mit dem Landgerichtsrat Helmut Just verheiratet – ist es fortan ihr großes Anliegen, diese juristischen Missstände zu thematisieren und anzuprangern. Ihr aufsehenerregender Vortrag auf der Tagung der Evangelischen Akademie in Loccum im Jahr 1961 wirkt in Fachkreisen wie ein Paukenschlag. Bezeichnend für sie ist, dass sie mitnichten einen juristischen Fachvortrag hält, sondern in klaren Worten die milde Strafverfolgung von NS-Tätern scharf kritisiert.

Just-Dahlmann ist danach persönlichen Anfeindungen ausgesetzt, der damalige Justizminister Wolfgang Haußmann kündigt gar dienstrechtliche Konsequenzen an. Nichtdestotrotz führt sie ihren Zuhörer*innen in Vorträgen und Publikationen die Gräueltaten des nationalsozialistischen Regimes unermüdlich vor Augen. Sie scheut hierbei auch nicht vor drastischen Schilderungen zurück und ruft dazu auf, Vergangenheitsbewältigung eben nicht als Verdrängungsprozess zu begreifen. Im Gegenteil: Ein demokratischer Neuanfang sei nur möglich, wenn sich die schweigende Masse ihrer kollektiven Schuld stellt. "[…] und drittens finde ich erschütternd, dass wir diese Dinge nicht hören wollen, dass wir uns weigern, uns mit ihnen der Weise zu identifizieren, wie wir es mit den positiven Dingen unserer Vergangenheit gedankenlos immer wieder tun. Wir sprechen von "Unseren" Dichtern und Denkern. […] Dann aber müssen wir auch sagen: "Unsere SS, unsere Verbrechen…" Es geht nicht, dass wir nur sagen: unsere Verdienste, aber die Verbrechen der anderen."

1963 wird auf ihre Initiative und die ihres Mannes ein Rundschreiben an deutsche Universitäten verfasst, in dem um Stellungnahme zur gängigen Justiz gebeten wird.

Auszug aus dem Rundschreiben


Als Staatsanwältin begreift sich Just-Dahlmann mehr als nur reine Anklägerin. Hinter allen juristischen Fakten blickt sie auf Zusammenhänge und Kausalitäten, die zu einer Straftat führten und sieht hinter dem Angeklagten vor allem auch immer den Menschen. In ihrem "Tagebuch einer Staatsanwältin" beschreibt sie berührende Begegnungen mit verurteilten Straftätern oder Menschen, die durch das soziale Netz der Gesellschaft gefallen sind oder sich in menschlichen Ausnahmesituationen befinden. Oft bleibt sie mit den verurteilten Tätern in Kontakt.

Sie schreibt: "Die meisten "meiner" Angeklagten sehen in mir nicht ihren Feind. Jedenfalls bemühe ich mich, sie spüren zu lassen, daß ich es nicht bin, und 25 Jahre voller Reaktionen auf dieses Bemühen zeigen, daß es verstanden wird."

Barbara Just-Dahlmann, um 1970

Seit 1972 unternimmt sie zusammen mit ihrem Mann regelmäßige Reisen u.a. nach Israel. Für ihre steten Bemühungen um die Aussöhnung zwischen Israel und Deutschland wird sie mehrfach geehrt, u.a. 1989 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Ehrenamtlich ist sie aktiv als Bundesvorsitzende der Evangelischen Akademikerschaft in Deutschland und als Vorsitzende der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Mannheim sowie als Mitglied der Arbeitsgemeinschaft "Juden und Christen" beim Deutschen Evangelischen Kirchentag und des Kuratoriums der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Rhein-Neckar.

Barbara Just-Dahlmann verstirbt am 27. Juli 2005 in Mannheim.