Als "guten Nazi", der im Angesicht des Infernos seinem Gewissen folgt und Hitler die Gefolgschaft verweigert, hatte Oliver Hirschbiegel im Kinowelterfolg "Der Untergang" (2004) Albert Speer präsentiert. Damit schrieb er wie so viele Autoren und Filmemacher Speers Selbstbild medial fort. Einen ganz anderen Speer zeigte der Grimme-Preisträger Heinrich Breloer.
Als Drehbuchautor, Regisseur und Produzent realisierte er den mit einem üppigen Budget von 12 Millionen Euro ausgestatteten Fernsehfilm im Genre des Dokudramas, der längst zu Breloers Markenzeichen geworden ist. Spielszenen wechseln dabei mit historischen Filmaufnahmen, Expertenstatements und Zeitzeugeninterviews. So kommentieren drei Kinder Albert Speers die in zahlreichen Dokumentationen genutzten Farbfilme, die Eva Braun auf dem Berghof gedreht hatte.
Auf ihnen inszenieren sich die Eheleute Speer als nationalsozialistische Musterfamilie. Liebevoll tätscheln Hitler und dessen Entourage die adrett herausgeputzten Speer-Kinder. Sie berichten aber auch über das schwierige Verhältnis zu dem Vater, der für die Kinder größtenteils abwesend war – zunächst als rastloser Architekt und Minister und danach als Angeklagter und verurteilter Kriegsverbrecher.
Weitere wichtige Gesprächspartner Breloers waren der Autor und ehemalige FAZ-Herausgeber Joachim Fest und der Verleger Wolf Jobst Siedler. Als Redakteur und Verleger trugen sie maßgeblich zum Erfolg von Speers Memoiren bei, die seine zweite Karriere als gefragter Zeitzeuge aus Hitlers engstem Umfeld begründeten.
Renommierte Film- und Fernsehschauspieler gewann Breloer für die Produktion: Sebastian Koch, der zuvor in Jo Baiers Großproduktion "Stauffenberg" (2004) den Hitler-Attentäter gespielt hatte, verkörpert Albert Speer, Axel Milberg dessen Freund Rudolf Wolters, Dagmar Manzel Speers Ehefrau Gretel und Tobias Moretti Adolf Hitler. Bei Breloer erscheint Hitler nicht als ekstatischer Propagandist oder brüllender Choleriker; der Österreicher Moretti gibt ihn linkisch, aber mit bürgerlicher Etikette, gleichsam mit K.u.K.-Charme ausgestattet.
Der erste Teil "Germania – Der Wahn" dokumentiert den Aufstieg Speers im Nationalsozialismus. Nach dem Parteieintritt 1931 sucht er die Nähe zu führenden Funktionären wie Joseph Goebbels, der den jungen Architekten mit Aufträgen versorgt. Mit dem Ausbau des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg betraut, steigt er ab 1934 zum Lieblingsarchitekten Hitlers auf.
Tobias Moretti als Adolf Hitler und Sebastian Koch als Albert Speer vor dem Modell des Deutschen Stadions für das Reichsparteitagsgelände Nürnberg in "Speer und Er", 2005, © Bavaria Film GmbH
Rücksichtlos treibt Speer die Pläne für seine Monumentalbauten voran. Um Platz für Mieter zu gewinnen, deren Häuser im Zuge der Umgestaltung Berlins zur Welthauptstadt "Germania" abgerissen werden sollen, fordert er die Erfassung und Vertreibung der Berliner Juden. Sein Aufstiegswille und das enge Verhältnis zu Hitler führen Speer in der zweiten Kriegshälfte ins Zentrum der Macht.
Als Rüstungsminister treibt er ab 1942 ebenso energisch wie skrupellos den "totalen Krieg" voran. Auf sein Geheiß werden Millionen Menschen aus ganz Europa zur Zwangsarbeit verschleppt, müssen KZ-Häftlinge unter grauvollen Bedingungen Produktionsstätten in Stollen und Kavernen errichten. Breloer porträtiert Speer dabei als einen vom Ehrgeiz getriebenen Machtmenschen, der dem Erfolg alles unterordnet.
Das Gericht als Bühne
Dramaturgisches Zentrum und Höhepunkt des Films ist der zweite Teil "Nürnberg – Der Prozess", der zugleich die Gesamthandlung rahmt. Das Setting des Internationalen Militärtribunals mit seiner angloamerikanischen Prozessordnung, die Ankläger und Angeklagte als Antagonisten begreift, ermöglicht es, das Geschehen räumlich und zeitlich zu verdichten.
Der Schwurgerichtsaal, detailgetreu in den Münchner Bavaria-Studios nachgebaut, wird zur Bühne für den Auftritt so gegensätzlicher Charaktere wie Albert Speer und Hermann Göring, der die Legitimität des alliierten Gerichts grundsätzlich in Frage stellt. Eindrucksvoll spielt Sebastian Koch den angeklagten Speer, der sich mit bürgerlichen Manieren und einem taktisch motivierten Bekenntnis zur allgemeinen Verantwortung für sein Ressort geschickt von den Mitangeklagten abhebt. Dennoch entgeht Speer, von seinem Anwalt und ehemaligen Mitarbeitern bei der Verteidigung tatkräftig unterstützt, nur knapp dem Todesurteil der alliierten Richter.
Der letzte Teil "Spandau – Die Strafe" weitet den Fokus vom Innern des alliierten Kriegsverbrechergefängnisses, in dem die Gefangenen über ihre Rolle in der NS-Zeit und ihre Haltung zur Vergangenheit streiten, auf die bundesdeutsche Gesellschaft. In ihr machen die ehemaligen Mitarbeiter Speers illustre Karrieren als Architekten, Industrielle oder Ministerialbeamte. Eine der eindrucksvollsten Sequenzen zeigt, dass Männer wie Rudolf Wolters, Friedrich Tamms oder Cäsar Pinnau, die mit ihren Nachkriegsbauten den Wiederanschluss an die Moderne vollziehen und die westdeutsche Wohlstandsgesellschaft einrichten, zugleich in Erinnerungen an ihre große Zeit im Nationalsozialismus schwelgen. Ihrem ehemaligen Chef bleiben sie loyal verbunden, indem sie dessen Familie finanziell großzügig unterstützen. Breloers Film endet mit der Haftentlassung Speers aus dem Gefängnis in Spandau am 1. Oktober 1966.
Nachspiel
Was dann folgte, zeigt ein vierter Teil. Die "Nachspiel – Die Täuschung" betitelte Dokumentation kommt ohne eigene Spielszenen aus und konzentriert sich weitgehend auf Zeitzeugen und Experten. Sehr viel deutlicher als in den drei Filmteilen werden dabei Speers Lebenslügen benannt und seine zweite Karriere als vermeintlich erstrangiger Kronzeuge des Nationalsozialismus problematisiert.
Breloer weist nach, wie Speer sich dank der Hilfe von Fest und Siedler in seinen Memoiren wechselweise zum verführten Künstler, zum ideologiefernen Technokraten oder problemorientierten Manager stilisierte. Sein "Lebenstonband" (Breloer) besprach Speer in zahlreichen Fernseh- und Zeitungsinterviews, die seine Fabeln beständig reproduzierten.
Fest, Speer-Biograph und Drehbuchberater von "Der Untergang", und Siedler zeigen sich Breloer gegenüber verblüffend renitent in ihrer Ignoranz eindeutiger Belege von Speers Lügen und seiner Beteiligung an Ausbeutung, Deportationen und Versklavung. Die einflussreichen Großintellektuellen beklagen sich geradezu, von Speer getäuscht worden zu sein. Dabei nahmen sie, wie Millionen andere Deutsche auch, nur allzu gerne dessen Geschichten auf, lieferten sie doch ein willkommenes Entschuldungsangebot für die postnationalistische Gesellschaft.
Zu Breloers Speer-Projekt gehörten auch zwei Publikationen "Unterwegs zur Familie Speer. Begegnungen, Gespräche, Interviews" (2005) und "Die Akte Speer. Spuren eines Kriegsverbrechers" (2006). Gemeinsam mit dem Film nahmen sie wesentliche Erkenntnisse voraus, die Isabell Trommer in "Rechtfertigung und Entlastung. Albert Speer in der Bundesrepublik" (2016) oder Magnus Brechtken in "Speer – eine deutsche Karriere" (2017) präzisieren und vertiefen sollten.
In der Ausstellung "Albert Speer in der Bundesrepublik. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit" begegnen die Besucherinnen und Besucher Heinrich Breloer als einen der "wartenden Experten", der Auskunft gibt über seine Forschungen und Erkenntnisse. "Zuschauer mitnehmen auf die Reise" zu Albert Speer, so charakterisierte Heinrich Breloer seinen Anspruch an das Projekt "Speer und Er". Wer sich darauf einlässt, wird nicht enttäuscht werden.
Zum Experteninterview mit Heinrich Breloer, das auch in der Ausstellung im MARCHIVUM zu sehen ist.
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