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Explosion in der Börse - die Anfänge der NSDAP in Mannheim

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Mannheimer Börse, 1902

Am 6. Februar 1921 berichtete der Völkische Beobachter von einer Versammlung des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbunds in Mannheim, bei welcher der Nationalsozialist Ernst Ulshöfer referierte. Aus dem Kreis der Anwesenden bildete sich spontan eine Ortsgruppe der NSDAP. Dieses Vorgehen war typisch für jene Zeit.

1920 hatte es die Partei geschafft, sich in München im völkischen Lager zu etablieren. Seither schickte sie gezielt Agitatoren in andere Städte, um für ihre Ziele zu werben. Ein Forum hierfür bot der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund, die größte und einflussreichste Organisation des völkischen Lagers, das mit antidemokratischen und antisemitischen Parolen in rechten Kreisen und hierbei besonders bei enttäuschten Frontsoldaten auf Gehör stieß.

Auch in Stuttgart hatte der Bund im April 1920 Kontakt mit der NSDAP in München aufgenommen und mit Adolf Hitler den bekanntesten Redner der Partei zu einer Versammlung eingeladen. Der damalige Trommler der NSDAP – Hitler sollte erst im Juli 1921 den Parteivorsitz übernehmen – erreichte mit seinem Auftritt die Gründung einer Stuttgarter Ortsgruppe.

Mit beteiligt war Ernst Ulshöfer, ein gebürtiger Heidelberger, der sich fortan als Agitator in Südwestdeutschland betätigte. Auf sein Wirken ging die Gründung von Ortsgruppen unter anderem in Heilbronn, Pforzheim oder auch Mannheim zurück, die so zu Zellkernen der NS-Bewegung in Württemberg und Baden wurden.

In Mannheim machte die neue Partei mit Radau-­Antisemitismus auf sich aufmerksam. Bis Sommer 1922 konnte die Mitgliederzahl auf 180 gesteigert werden, auch gelang es, mit Geschäftsstelle und eigener Bibliothek in T 6, 1 eine bescheidene Infrastruktur aufzubauen. Verantwortlich für diesen Aufschwung war wiederum Ernst Ulshöfer, der als Ortsgruppenleiter seine Kontakte nach München nutzte und prominente Parteiredner gewinnen konnte wie Gottfried Feder, einen führenden Ideologen der Partei, oder Julius Streicher, den späteren Herausgeber des NS-Hetzblatts „Der Stürmer“.

Zu einem Fiasko wurde die Veranstaltung mit Hermann Esser, dem Schriftleiter des Völkischen Beobachters: Kampfbereite Kommunisten hatten sich im Veranstaltungslokal eingefunden und sprengten die Versammlung. Nach dieser Erfahrung sollten – so die Anweisung Hitlers – die Säle künftig nicht mehr zu groß gewählt werden, um keinen Platz für den politischen Gegner zu bieten, auch sollte der Saalschutz ausgebaut werden.

Einen Rückschlag für die NSDAP bedeutete ihr Verbot in Baden in Vollzug des Republikschutzgesetzes vom Juli 1922, das der Gewalt von rechts Einhalt bieten sollte. Gewalt gehörte auch zu den Mitteln der Mannheimer Ortsgruppe, die mehrere stadtbekannte Schläger in ihren Reihen wusste. Zwar kam es hier zu keinen Mordattentaten; dennoch gingen die Mannheimer Nationalsozialisten alles andere als zimperlich vor, wie ein Handgranatenanschlag am 5. September 1922 auf die Börse zeigte.

Die Mannheimer Börse in E 4, 1902

Dabei entstand zwar kein Personen-, wohl aber größerer Sachschaden im Börsensaal. Der Täter Paul Jansen, ein arbeitsloser Rechtsanwaltsgehilfe, wurde gefasst – und gerade einmal zu neun Monaten Haft verurteilt. Als Komplize angeklagt war der Münchner SA-Mann Emil Maurice, der dem persönlichen Umfeld Hitlers angehörte. Nicht zuletzt dank des guten Leumunds, den ihm sein Führer in einer schriftlichen Zeugenaussage bescheinigte, kam er ebenfalls mit einer Strafe von wenigen Monaten davon.

Der Anschlag auf die Börse war die spektakulärste Aktion, mit der sich die Nationalsozialisten in Mannheim während des Parteiverbots bis 1925 hervortraten. Indes gab es immer wieder Bemühungen, Nachfolge- bzw. Tarnorganisationen der NSDAP zu gründen.

Paul Jansen scheiterte mit dem Versuch, die ehemaligen Parteigenossen in einer Lesegemeinde der Großdeutschen Zeitung – dem Nachfolgeblatt des verbotenen Völkischen Beobachters – zu sammeln. Der als badischer Hitler bezeichnete Jansen musste erneut für einige Monate ins Gefängnis. Andere suchten eine politische Heimat in Tarnorganisationen wie dem Wanderverein Edelweiß oder dem vom späteren badischen Gauleiter Robert Wagner gegründeten Schlageterbund, der in Mannheim eine ansehnliche Ortsgruppe hatte.

Eine NS-Tarnorganisation: die Mannheimer Ortsgruppe des Schlageterbunds, 1924

Bedeutungslos blieb die Nationalsozialistische Freiheitsbewegung, obwohl sie 1924 an der Reichstagswahl teilnahm. Da die Organisationen der rechten Szene gegeneinander konkurrierten und über keine Integrationsfigur verfügten, schien von den Nationalsozialisten keine Gefahr mehr für die Republik auszugehen. Erst die Freilassung Hitlers aus der Festungshaft in Landsberg Ende 1924 sollte der Partei neues Leben einhauchen.

 

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