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30 Jahre KZ-Gedenkstätte Sandhofen

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schwarz-weiß Fotografie von der Friedrichschule in Mannheim-Sandhofen, um 1909

Am 12. November 1990 wurde die KZ-Gedenkstätte Sandhofen im Untergeschoss der Gustav-Wiederkehr-Schule eingeweiht. Seit nunmehr 30 Jahren bilden die Dauerausstellung sowie die pädagogischen Angebote des Trägervereins einen zentralen Baustein der historisch-politischen Bildungsarbeit zum Nationalsozialismus in Mannheim und der Rhein-Neckar-Region.

1.070 Häftlinge, fast ausnahmslos polnische Männer und Jungen, die während des Warschauer Aufstands verhaftet und nach Dachau deportiert worden waren, wurden Ende September 1944 nach Mannheim verschleppt, um bei Daimler-Benz Zwangsarbeit zu leisten. Unter unmenschlichen Bedingungen waren die Gefangenen in der damaligen Friedrichschule untergebracht, die fortan als Außenlager des Konzentrationslagers Natzweiler (Elsass) fungierte.

Nach Kriegsende geriet die Geschichte des Konzentrationslagers in Vergessenheit. In einem Artikel des Sandhofer Lokal-Anzeigers zur Wiedereröffnung der Schule im Jahr 1949 wurde noch beiläufig, aber ohne Beschönigung erwähnt, dass das Gebäude im Zweiten Weltkrieg als "Arbeitsdienstlager, Gefangenenlager und schließlich KZ" genutzt worden war. Danach war das KZ Sandhofen genau 30 Jahre kein Thema in der Mannheimer Öffentlichkeit, bis der Stadtjugendring 1979 auf die einstige Existenz des Lagers aufmerksam wurde und sich in den folgenden Jahren für die Erinnerung an das KZ-Außenlagers engagierte. Wie in vielen anderen Orten wurde in den 1980er Jahren auch in Mannheim intensiv über die NS-Vergangenheit und den Umgang mit ihr gestritten. Dies umso mehr, nachdem der SJR zusammen mit der Deutsch-Polnischen Gesellschaft, dem DGB sowie anderen Organisationen und Einzelpersonen die Einrichtung einer Gedenkstätte am "authentischen Ort" forderte. Während die Initiator*innen und ihre Unterstützer*innen sich für Aufarbeitung, Erinnerung und Gedenken stark machten, wollten einige Bürger*innen die Einrichtung einer Gedenkstätte mit allen Mitteln verhindern. Erst die beharrliche Aufklärungsarbeit der Aktivist*innen sowie ein einstimmiger Gemeinderatsbeschluss im Oktober 1987 für die Einrichtung einer KZ-Gedenkstätte setzten der hitzigen Debatte ein Ende.

Das Stadtarchiv übernahm die wissenschaftliche Leitung des Projekts und erarbeitete gemeinsam mit dem Geschichtslehrer Dr. Peter Koppenhöfer, der viele Mannheimer Zeitzeug*innen interviewte und bald auch Überlebende in Polen ausfindig machen konnte, die inhaltliche Konzeption der Ausstellung. Die gestalterische Umsetzung erfolgte in Kooperation mit der Fachhochschule für Gestaltung, die einen internen Wettbewerb unter den Studierenden ausgeschrieben hatte, aus dem die beiden angehenden Gestalter Norbert Fanz und Peter Neumayer als Sieger hervorgingen. Alle Planungen erfolgten schließlich in enger Absprache mit dem von den Initiatoren gegründeten Arbeitskreis, aus dem 1991 der Trägerverein KZ-Gedenkstätte Sandhofen e.V. hervorging. Der Stadtjugendring und das Stadtarchiv (mittlerweile MARCHIVUM) sind bis heute qua Satzung Mitglieder des Vereins.


Einweihung der KZ-Gedenkstätte am 12. November 1990. OB Gerhard Widder bei seiner Ansprache in der vollbesetzten Turnhalle der Gustav-Wiederkehr-Schule.

Die 1990 gegründete KZ-Gedenkstätte Sandhofen war erst die zweite Gedenkstätte zur Erinnerung an ein Außenlager des KZ Natzweiler und eine der ersten Gedenkstätten in Baden-Württemberg überhaupt. Ein zentrales Anliegen war den Aktiven der Gedenkstätte von Beginn an die regelmäßige Begegnung mit Überlebenden und die Pflege der deutsch-polnischen Beziehungen. Seit 1989 konnten mehrmals ehemalige Häftlinge aus Warschau nach Mannheim eingeladen werden; 1997 und 2019 führte der Trägerverein Exkursionen nach Warschau durch.


Warschau-Exkursion 2019: Begegnung mit den Überlebenden Jerzy Wojciewski, Andrzej Branecki und Boleslaw Urbanski

Darüber hinaus war es dem Gedenkstättenverein schon früh sehr wichtig, sich mit anderen Gedenkstätten und Initiativen auszutauschen und zu vernetzten. Ein erstes Treffen südwestdeutscher Gedenkstätteninitiativen fand bereits 1994 in Mannheim statt; 1995 war die KZ-Gedenkstätte Sandhofen an der Gründung der "Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen in Baden-Württemberg" (LAGG) beteiligt. Zudem ist der Verein Mitglied des 2016 gegründeten "Verbund der Gedenkstätten im ehemaligen KZ-Komplex Natzweiler e.V.".

Der Schwerpunkt der Gedenkstätte liegt indes auf der historisch-politischen Bildungsarbeit am historischen Ort: Die Dauerausstellung in Sandhofen kann (im Normalfall, wenn keine Pandemie-bedingten Einschränkungen bestehen) jeden dritten Sonntag im Monat sowie zu einigen Sonderterminen besichtigt werden. Eintritt und Führung sind grundsätzlich frei. Für Gruppenbesuche können individuell Termine vereinbart werden. Vor allem Schulklassen nehmen dieses Angebot gerne an. Die KZ-Gedenkstätte zählt im Durchschnitt ca. 1.400 Besucher*innen jährlich; davon bis zu zwei Drittel Jugendliche, die die Ausstellung im Klassenverband besichtigen. Viele Schulen buchen außerdem den "Projekttag Gedenkstätte", der von den Kooperationspartner*innen des Netzwerks für Demokratie und Courage (NDC) seit vielen Jahren in der KZ-Gedenkstätte Sandhofen durchgeführt wird. Zu den pädagogischen Angeboten des Vereins gehört außerdem eine Geschichts-AG für Grundschüler*innen der 4. Klassenstufe, die seit 2014 an der Gustav-Wiederkehr-Schule angeboten wird.


Blick in die Daueraustellung der KZ-Gedenkstätte

Anlässlich des 30-jährigen Bestehens der KZ-Gedenkstätte Sandhofen hatte der Trägerverein eine Jubiläumsveranstaltung im MARCHIVUM geplant, die leider aufgrund der Pandemie entfallen muss. Stattdessen wird der Verein auf seiner Facebook-Seite ab 5. November für etwa vier Wochen täglich einen kurzen Beitrag veröffentlichen, der einen Blick zurück auf 30 Jahre KZ-Gedenkstätte wirft.

Weiterführende Literatur:

Marco Brenneisen, Das Konzentrationslager Mannheim-Sandhofen im Spiegel der Öffentlichkeit. Rezeptionsgeschichte eines KZ-Außenlagers, Marburg, 2011.
Marco Brenneisen, Schlussstriche und lokale Erinnerungskulturen. Die "zweite Geschichte" der südwestdeutschen Außenlager des KZ Natzweiler seit 1945, Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs Bd. 52, Stuttgart, 2020.

 

Schlussstriche und lokale Erinnerungskulturen - Die "zweite Geschichte" der südwestdeutschen Außenlager des KZ Natzweiler seit 1945 - Teil II

Zwischen 1943 und 1945 existierten auf dem Gebiet der heutigen Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz mehr als 40 Konzentrationslager, die dem KZ Natzweiler (Elsass) als Außenlager zugeordnet waren. Darunter auch das KZ Sandhofen, an das seit 1990 eine Gedenkstätte mit Dauerausstellung erinnert. Wie in Mannheim war die "Nachgeschichte" der meisten Außenlager gekennzeichnet von jahrzehntelangem Beschweigen und Verdrängen, ehe in den 1980er Jahren vielerorts Initiativen zur dauerhaften Erinnerung und Dokumentation der lokalen NS-Geschichte entstanden.

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