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Vom Waldhof nach Warschau. Die Karriere des SS-Führers Arpad Wigand

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Wigand

Auschwitz, Treblinka, das Warschauer Ghetto – diese Schreckensorte der nationalsozialistischen Herrschaft in Polen prägte der auf dem Waldhof geborene SS-Führer Arpad Wigand. Zu den bekannten Mannheimer NS-Tätern gehört er dennoch nicht, und auch in der einschlägigen Literatur findet er nur selten Erwähnung.

Die in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Karriere Wigands wird derzeit am MARCHIVUM erforscht. Die Biografie soll gleichermaßen einen Beitrag zur Täterforschung und zur transnationalen Vergangenheitspolitik liefern, denn Wigand musste sich vor polnischen und deutschen Gerichten verantworten. Seine Nachkriegsbiographie ist zugleich exemplarisch für die Reintegration nationalsozialistischer Funktionsträger in die bundesdeutsche Gesellschaft.

Arpad Jakob Valentin Wigand wurde am 13. Januar 1906 auf dem Waldhof geboren. Er lässt sich damit jener "Kriegsjugendgeneration" zurechnen, deren frühe Sozialisationserfahrungen vom Ersten Weltkrieg und dessen unmittelbaren Folgen geprägt waren. Nach dem Tod des Vaters, eines Eisenbahnassistenten, zog die Familie 1911 ins Rheinland. Wigand absolvierte nach dem Abschluss der Mittelschule 1922 eine Ausbildung bei der Reichsbahn. Eine Übernahme in das Beamtenverhältnis beim größten deutschen Arbeitgeber scheiterte, weil dem Staatsunternehmen von der Reichsregierung ein rigider Sparkurs verordnet wurde. Bei der Drahtverband GmbH in Düsseldorf, einem Kartell der deutschen Stahlindustrie, arbeitete Wigand ab 1925 als kaufmännischer Angestellter.

Aufstieg in der SS

Unmittelbar nach dem Erreichen des passiven Wahlalters trat Wigand 1926 in die NSDAP ein. Nach dem gescheiterten Putsch im Münchner Bürgerbräukeller und dem anschließenden zweijährigen reichsweiten Verbot befand sich die Partei im Wiederaufbau. Die frühe Mitgliedschaft bescherte Wigand karrierefördernde Kontakte zu führenden Vertretern der NSDAP und privilegierte ihn später als "Alter Kämpfer". Der SS, damals noch ein paramilitärischer Verband mit weniger als 4000 Mitgliedern, schloss er sich 1930 an.

SS-Hauptsturmführer der Waffen-SS Arpad Wigand (links) als Regimentsadjutant des SS-Freiwilligen-Gebirgs-Jäger-Regiments 13 "Artur Phleps", 1944
Munin-Verlag GmbH

Nachdem er im Zuge der Weltwirtschaftskrise arbeitslos geworden war, erhielt Wigand 1931 eine Anstellung bei der SS. In den Folgejahren stieg er dort rasch auf und durchlief verschiedene Einheiten, so auch 1934 die 1. SS-Standarte in München, die als kasernierte und bewaffnete "Verfügungstruppe" Keimzelle der späteren Waffen-SS war. Mit der Versetzung zum Sicherheitsdienst (SD) 1937 wechselte Wigand in einen anderen Zweig des rasant expandierenden SS-Apparats. Neben der Gestapo entwickelte sich der SD zur Schaltzentrale bei der Beobachtung und Verfolgung politischer und weltanschaulicher Gegner des NS-Regimes. Als Inspekteur der Sicherheitspolizei (IdS) und des SD kam Wigand eine Schlüsselfunktion bei Neuausrichtung der Sicherheitsorgane zu. Auf regionaler Ebene sollten die IdS die staatliche zivile Polizei – Kripo und Gestapo – mit der Parteigliederung des SD zum "Staatsschutzkorps" verschmelzen.

In seinem Sozialprofil unterschied sich Wigand auffällig vom Führungspersonal des SD, das mehrheitlich aus Akademikern bestand. Als IdS im Wehrkreis Südost mit Sitz in Breslau suchte er nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen Ende 1939 einen geeigneten Ort für die Errichtung eines neuen Konzentrationslagers. Wigands Wahl fiel auf die Kaserne der polnischen Armee im oberschlesischen Oświęcim. Dort entstand im Frühsommer 1940 das Konzentrationslager Auschwitz.

Im Juli 1941 ernannte Heinrich Himmler Wigand zum SS- und Polizeiführer (SSPF) in Warschau. Als intermediäre Instanzen im Sicherheitsapparat waren die Dienststellen der SSPF typische Institutionen des nationalsozialistischen "Maßnahmenstaats" (Ernst Fraenkel). Sie bündelten auf regionaler Ebene die Befehlsgewalt über SS und Polizei und waren damit ein Instrument, um in den besetzten Gebieten die Herrschaft zu sichern und polizeiliche Sonderaufgaben zu exekutieren.

Als Wigand nach Warschau kam, lebten in dem von der Zivilverwaltung errichteten Ghetto fast eine halbe Million Juden auf knapp 4 Quadratkilometern. Im Winter 1941/42 starben aufgrund der systematischen Unterversorgung durch die Deutschen monatlich etwa 5.000 Ghettoinsassen. Um die Flucht aus dem abgeriegelten Gebiet zu unterbinden, wurden auf Befehl Wigands Juden, die aus dem Ghetto zu fliehen versuchten, erschossen.

Im Frühjahr 1942, als die Ermordung der polnischen Juden einsetzte, errichteten Dienststellen aus Wigands Verantwortungsbereich in Treblinka, etwa 80 Kilometer nordöstlich von Warschau, ein Vernichtungslager, in dem bis 1943 mehr als 800.000 Menschen vergast wurden. In Treblinka hatte Wigand bereits im Herbst 1941 ein Arbeitslager errichten lassen. Doch bevor im Juli 1942 die Deportation der Warschauer Juden in die Vernichtungsstätte Treblinka begann, wurde Wigand versetzt. Nach einem Besuch in Warschau ordnete Himmler ein Personalrevirement der SS- und Polizeiführung im besetzten Polen an. Wigand sollte bei der Waffen-SS Fronterfahrungen sammeln, um sich für höhere Aufgaben zu qualifizieren. Im Herbst 1942 kam er zur 7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division "Prinz Eugen", in der mehrheitlich "Volksdeutsche" aus dem Banat kämpften. Die 1941 aufgestellte Division war auf dem Balkan im Einsatz und dort für zahlreiche Kriegsverbrechen verantwortlich. Wigand, der als Regimentsadjutant und Bataillonskommandeur tätig war, geriet bei Kriegsende in Kärnten in britische Kriegsgefangenschaft.

Haft und Reintegration

Auf Antrag der polnischen Behörden lieferten die Briten Wigand 1947 aus. Das Appellationsgericht Warschau verurteilte ihn 1950 zunächst zu zehn Jahren Haft. In der Revisionsverhandlung des Obersten Gerichts wurde das Urteil auf 15 Jahre erhöht. Das Gericht, dem nur wenige Dokumente über Wigands Tätigkeit in Warschau vorlagen, stützte sein Urteil auf die hohe Stellung des Angeklagten im deutschen Besatzungsregime. Formal wurde er wegen der Mitgliedschaft in der SS verurteilt, die gemäß dem Urteil des Internationalen Militärtribunals von Nürnberg als verbrecherische Organisation galt.

Erkennungsdienstliche Aufnahme von Arpad Wigand nach der Auslieferung an Polen 1947. Diese Aufnahmen veröffentlichten polnische Zeitungen, um Zeugen für den Prozess gegen Wigand zu finden. Narodowe Archiwum Cyfrowe, 3/3/0/1/203

Im Rahmen einer Amnestie kam Wigand 1956 vorzeitig aus der Haft frei. Er kehrte nach Mannheim zurück, wo seine Frau, die ebenfalls in der Quadratestadt geboren wurde, und ihre drei gemeinsamen Kinder seit 1945 lebten. In einem Schreiben an den Oberbürgermeister Hans Reschke bat Wigand, der sich als Spätheimkehrer "aus polnischer Kriegsgefangenschaft" bezeichnete, um eine Stelle in der Stadtverwaltung. Dafür setzte sich auch der Ortsverein der HIAG ein, der Veteranenverband der Waffen-SS. Trotz Bedenken wegen mangelnder Qualifikationen erhielt Wigand eine Stelle im mittleren Dienst beim Personalamt.

Arpad Wigand, 1957

Seine Vergangenheit sollte ihn jedoch einholen. Das Ermittlungsverfahren, das 1961 aufgrund der Anzeige eines Mannheimers eingeleitet worden war, stellte die örtliche Staatanwaltschaft noch im selben Jahr ein, ohne den Beschuldigten vernommen zu haben. Als Zeuge sagte Wigand schon bald in zahlreichen Ermittlungs- und Strafverfahren aus, u.a. in den Ermittlungen zum Frankfurter Auschwitzprozess.

Erst nach seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben 1971 musste sich Wigand noch einmal vor Gericht verantworten. Seit 1975 ermittelte die Staatsanwaltschaft beim LG Hamburg, die zentral die Verbrechenskomplexe in Warschau bearbeitete, gegen ihn. In den Vernehmungen räumte Wigand ein, dass er "seit 1925 ein begeisterter Nationalsozialist war". Der Prozess vor dem LG Hamburg gegen Wigand und zwei weitere Angeklagte wurde im März 1981 eröffnete. Das Gericht verurteilte ihn im Dezember 1981 aufgrund von Dokumentenbeweisen wegen Beihilfe zum Mord in mindestens einhundert Fällen zu 12,5 Jahren Haft.

Aufsehen erregte das Verfahren, das das Hamburger Abendblatt als den "vermutlich letzten großen NS-Prozess" bezeichnete, weil Wigands Anwalt Jürgen Rieger, ein bekannter Neonazi, vor Gericht die nationalsozialistische Ghettoisierungspolitik als Seuchenprävention rechtfertigte. Das daraufhin gegen ihn angestrengte Urteil wegen Verunglimpfung und Beleidigung Toter hob der Bundesgerichtshof letztinstanzlich auf. Ein weiteres Ermittlungsverfahren, das die Staatsanwaltshaft beim LG Hamburg gegen Wigand wegen der Errichtung des Vernichtungslagers Treblinka führte, musste eingestellt werden.

Arpad Wigand verstarb am 26. Juli 1983 in Mannheim.

 

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