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Rudi Baerwind

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Enfant terrible der Mannheimer Gesellschaft
Rudi Baerwind in seinem Atelier

Als der Künstler Rudi Baerwind am 12. November 1982 in seiner Geburtsstadt Mannheim verstirbt, heißt es in einem Nachruf des Mannheimer Morgen: „Man kann Baerwind nicht wie irgendeinem Künstler einen Nachruf widmen. Mit ihm ist etwas anderes und mehr fortgegangen als ein Maler, ein Galerist auch, ja mehr selbst als eine Person – Baerwind war im kulturellen Leben Mannheims ein unersetzbarer Faktor. Ein Original. Ein Kauz. Pan.“
In der Tat: Baerwind gilt schon zu Lebzeiten als Enfant terrible, das mit seinem eruptiven, expressiven Temperament und seiner exzessiven Lebensweise gleichermaßen fasziniert und schockiert.

Ernst Rudolf Baerwind wird am 11. Februar 1910 als viertes Kind des Ingenieurs Guido Baerwind und seiner Frau Marthe geboren und wächst in gutbürgerlichen Verhältnissen in der Oststadt auf. Die Familie wohnt zunächst in der Elisabethstraße und zieht 1916 in die Lachnerstraße. Nach seinem Abitur am humanistischen Karl-Friedrich-Gymnasium folgt er 1929 gegen den anfänglichen Widerstand der Eltern seinen künstlerischen Neigungen und beginnt ein Akademiestudium in Berlin und München. 1932 zieht es ihn nach Paris, wo er seine Studien bei Ferdinand Leger fortsetzt. Das weltoffene Paris lässt ihn fortan nicht mehr aus seinem Bann. Künftig wird er sowohl hier als auch in Mannheim seinen Wohnsitz haben.
Im Dritten Reich zerstören die Nationalsozialisten eines seiner Wandfresken und erklären ihn zum entarteten Künstler. Baerwind geht 1936 erneut nach Paris und setzt seine Studien fort. Ist er tagsüber mit dem Studium beschäftigt, so fertigt er nachts in Cafés auf dem Montmartre Portraits an, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Bereits 1937 stellt er in der Galerie Billiet aus. Es folgt ein Jahr später eine Ausstellung mit Francis Gruber und André Marchand. Mit Ausbruch des Krieges ist er zunächst als feindlicher Ausländer interniert, lebt dann nach Einmarsch der Deutschen wieder in Paris. Er wird allerdings 1942 an die Ostfront nach Russland geschickt, wo er in Gefangenschaft gerät, 1945 zu fliehen vermag und nach Mannheim zurückkehrt.
Wie viele andere steht auch er vor einem totalen Nichts. Dies und seine Kriegserlebnisse sind für ihn Anlass für einen radikalen Neuanfang. Ist sein Malstil zunächst eher realistisch, so entwickelt er sich nun in Richtung Surrealismus und Abstraktion. Ab Mitte der 1950er Jahre wechselt sein Stil zum Informel, genauer gesagt, zum Tachismus, dem er künftig treu bleibt.

Rudi Baerwind in seinem Atelier

Es folgen Ausstellungen in seinen Wahlheimaten Mannheim und Paris, auf seine Initiative stellen 1959 erstmals nach dem Krieg deutsche und französische Künstler zusammen in München und Paris aus.Ein Kritiker schreibt zu seinem 65. Geburtstag: „Baerwind ist immer Nonkonformist geblieben. Nonkonformismus aus Überzeugung und die unvergleichliche Art, Nonchalance an den Tag zu legen, sind seine Kennzeichen.“
Zu den zahlreichen Auszeichnungen gehören 1960 die Silbermedaille bei der internationalen Ausstellung in Paris Colomb mit den Portraits von Konrad Adenauer und Ludwig Erhard, 1970 der Prix National von Frankreich, die Ehrenmitgliedschaft der Accademia Internazionale di Roma, 1972 "der Grand Prix International" von Frankreich. 1975 die Schillerplakette der Stadt Mannheim und 1976 das Bundesverdienstkreuz am Bande.
Persönlich schwer trifft ihn die zweimalige mehrwöchige Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Mannheim in den 50er Jahren wegen des Vorwurfs „gleichgeschlechtlicher Unzucht“, hat Baerwind doch nie ein Hehl aus seiner Homosexualität gemacht. Verbittert schreibt er 1959 aus dem Gefängnis an seine gute Freundin Dorothea Mitzlaff: „Die Hexenjagt hört bei uns nicht auf. Vor 15 Jahren voraus noch die Juden. Heute will‘s auch keiner mehr gewesen sein.“

Brief aus der JVA an Dorothea Mitzlaff

Mit dem von ihm 1968 in Mannheim gegründeten experimentellen „Symposion der Künste“ als Ausstellung- und Begegnungsort erfüllt er sich einen weiteren Lebenstraum.
Eine Auftragsarbeit führt in den 1970er Jahren zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung vor dem Landgericht Mannheim. Die mündliche Verhandlung wird zu einem spektakulären Ereignis in der Geschichte der badischen Justiz: Gegner und Anhänger Baerwinds füllen den Saal. Die portraitierten Stammtischbrüder Baerwinds auf dem Gemälde „Die Nachtwächter vom Hemshof“ sind mit der Arbeit nicht zufrieden, da sie sich darauf nicht erkennen können. Sie verweigern die Auszahlung des Honorars, Baerwind gewinnt in erster Instanz, muss sich aber 1974 in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe geschlagen geben.
In Neuostheim erinnert der Rudi-Baerwind-Platz an einen großen Mannheimer Künstler. Noch zu Lebzeiten verfügt er testamentarisch die Gründung einer Rudi-Baerwind-Stifung, die ab 1985 den Rudi-Baerwind-Preis an junge Künstler verleiht. Anlässlich seines 70. Geburtstags veranstaltet die Mannheimer Kunsthalle eine große Werk-Retrospektive. Zu seinem 100. Geburtstag folgt 2010 eine Publikation zu Leben und Werk, und am Landgericht Mannheim wird der Nachtwächterprozess mit echten Richtern und Anwälten nachgespielt – dies unter Heranziehung der originalen Prozessakten und großer Begeisterung aller Beteiligten.
Der Nachlass beinhaltet Schriftgut, Fotos, Filme und einzelne Gegenstände wie Baerwinds Pfeife oder dessen Aschenbecher. Dokumentiert ist vornehmlich die berufliche Tätigkeit Baerwinds.

Ganz in Baerwind-Manier: Fresszettel als Kaufvertrag

Weiterhin gehören zum Nachlass Korrespondenzen mit Künstlern, eine Bestandsaufnahme seiner Werke, Kataloge, aber auch Dokumente zum „Nachtwächter“-Prozess oder zum „Symposion der Künste“. Die zahlreichen Fotos zeigen den Künstler bei der Arbeit, bei Ausstellungseröffnungen oder privat im Familien- und Freundeskreis.

Der Dokumentarfilm von Eberhard Fingado "Eigentlich wollte ich nur malen - Baerwind" wird 1970 mit dem Silberpreis der Internationalen Filmfestspiele in New York ausgezeichnet.

 

 

 

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