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Wohnen in der Sternwarte

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Schwarz-Weiß-Foto der Familie Taglang zu Weihnachten 1921

Wohnen in der Sternwarte – herrliche Aussicht in alle Himmelsrichtungen, aber auch keine alltägliche Wohnung. Denn jedes kleine Ding – und vor allem das Heizmaterial – muss nach oben getragen werden. Komfortabler wurde es erst, als bei der großen Renovierung 1958 die Zentralheizung eingebaut wurde.

Als Hermann Taglang 1908 in die Sternwarte zieht, ist diese gerade gründlich renoviert worden. Taglang zieht in das heutige 4. OG, das zur Zeit der originären Nutzung der Sternwarte als Bibliothek einschließlich eines Gästezimmers genutzt wurde. Die Räume sind ähnlich aufgeteilt wie die ehemalige Wohnung des Astronomen im 1. OG.

Das Fotoalbum von Herman Taglang im MARCHIVUM gibt einige Hinweise, wie es in seiner Wohnung aussah: Es sind allerdings immer Repräsentationsfotos – die Familie zu Weihnachten um den Tannenbaum, Kinder und Eltern in Sonntagskleidern auf dem Balkon, nur leider keine Fotos von Küche, Schlafzimmer etc.

Aber es gibt einen Zustandsbericht über die Wohnungsabnahme vom 7.10.1924, als Hermann Taglang mit seiner Familie die Sternwarte bereits verlassen hat, und aus diesem lässt sich heute herauslesen, dass das Wohnen in der Sternwarte sicher anstrengend war. Da sind Öfen an anderen Plätzen als ursprünglich, die Räume der oberen Stockwerke werden als verwohnt und verrußt, die Tapezierung und die Anstriche als alt beschrieben. Im 4. OG wurde, sicher aus Platzgründen, vor der westlichen Balkontüre ein Schrank mit zwei Türen eingebaut, Fensterscheiben sind zerbrochen.

Im Januar 1925 pachtet und verwaltet Franz Schwender mit seiner Frau Emma den ganzen Turm und betreibt seine Buchhandlung im Eingangsbereich. Die Camera Obscura auf der Plattform kann besichtigt werden. Damit verdienen sich die Schwenders etwas Geld dazu. Sie wohnen ebenfalls im heutigen 4. OG. Familienfotos zeigen, dass man dort durchaus Platz für große Familienfeiern fand.

Die beiden Mädchen der Schwenders kommen 1926 und 1931 im Turm zur Welt. Als sie größer sind, haben sie in einem Zwischengeschoss über dem 2. OG ein kleines Schlafzimmer. Als die beiden Schwestern im April 2014 nach mehr als 50 Jahren noch einmal die Räume besuchen, erinnern sie sich: "Da stand das Klavier, dort die Elternbetten, daneben das Kinderbettchen, hier der Schrank. Familienleben auf knapp 60 Quadratmeter. Im Winter pfiff’s lausig kalt rein durch die Riesenfenster. Und das Kohleschleppen, da wurden die Arme lang! Aber dann auch der freie, unverstellte Blick auf den Friedrichspark mit dem Weiher und dem Tennisplatz – damals noch ein Paradies. Und ein VIP-Platz von der hohen Sternwarte aus auf die MERC-Spiele im alten Eisstadion oder die spektakulären Feuerwerke zu Silvester! [ ... ] Aber es kommen auch die Angstgefühle wieder hoch, das Zittern der Mauern in den Bombennächten, das Abwärtshetzen in den Gewölbekeller. [ …] Da zerbarsten alle Fenster, platzte auch noch die Wasserleitung, die wochenlang nicht repariert werden konnte. Jeden Tropfen musste man die endlose Schnecke hochtragen."

Foto: Privatbesitz

Auch aus den Erzählungen von Anneliese Schömbs, der Ehefrau von Franz Schömbs, kann man sich sehr gut vorstellen, wie aufwendig es war, nach 1947 im heutigen 5. OG zu leben. Alles musste nach oben getragen werden, ebenso die beiden kleinen Kinder, die 1948 und 1950 geboren wurden. Aber Franz Schömbs war nicht umsonst ein erfinderischer Geist. Er baute einen Flaschenaufzug, mit dem sich der Einkauf und die schweren Eimer mit der Kohle nach oben ziehen ließen. Die Schömbs sind einfach nur froh, in dem zerstörten Mannheim nach dem Krieg überhaupt eine Unterkunft für sich als Familie zu bekommen. Da wird nicht geklagt, sondern beim Einzug selbst mit Hand angelegt. Aus dem Atelier von Franz Schömbs in einer Baracke beim Schloss wird ein großer Wasserstein per Kran in das Atelier gehievt, als die Stadt die Plattform wieder instandsetzt.

Damit es genügend Platz fürs Arbeiten, Leben und Schlafen gibt, wird der große Absatz im Atelier mit einer Sperrholzwand verkleidet und eine Tür eingefügt. Über eine Leiter klettert man hinauf. In dem kleinen Zimmer, das so entstanden ist, schläft die Familie, damit Franz Schömbs den unteren Raum auch als Atelier nutzen kann. Das Zimmer gegenüber der Küche ist ein kleines Wohnzimmer. Auf jeden Fall war es ein wunderbarer Spielplatz. Die Töchter erinnern sich noch heute daran, dass sie auf der Plattform gespielt haben, und mit den Farben des Vaters durfte man auch immer experimentieren.

Beim Malen im Atelier

Nach der Renovierung des Turms wird 1958 bei den neuen Mietverträgen darauf Wert gelegt, dass die Künstler die Ateliers nur zum Arbeiten benutzen, also überlegt man sich im Vorfeld, dass sich das Problem des Wohnens am besten löst, indem man nur unverheirateten Künstlern die Ateliers vermietet. Trotzdem gibt es z.B. im Atelier von Gerd Dehof ein ausgeprägtes Familienleben mit Kindern und Frau.

Foto: Privatbesitz

Mehr Informationen zu den Künstlern und Künstlerinnen in der Alten Sternwarte gibt es in der Publikation: A4,6 – Künstlerinnen und Künstler in der Alten Sternwarte Mannheim, Wellhöfer Verlag, ISBN 978-3-95428-174-9, Preis 25 €

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