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Hass, Hetze, Mord. Das Attentat auf Matthias Erzberger vor 100 Jahren

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Ausschnitt aus einem farbigen Gemälde von Maurice Pillard Verneuil, das Waffenstillstandsverhandlungen in Compiègne zeigt. Eine Gruppe von Militär und sitzt um einen Tisch herum

Am 31. August 1921 fand in Mannheim vor dem Rosengarten eine Massendemonstration statt. 35.000 Menschen waren auf dem Friedrichsplatz zusammengekommen. Stadtrat Böttger von der SPD und der Geschäftsführer der USPD Dietrich sprachen von den Balkonen der Festhalle zur Menge und gaben ihrer Empörung über den Mord an einem wichtigen Wegbereiter deutschen Demokratie Ausdruck. Denn der katholische Zentrumspolitiker Matthias Erzberger war wenige Tage vorher im Schwarzwald Opfer rechter Terroristen geworden. Die Mannheimer Massenkundgebung war ein bewusster Protest demokratischer Kräfte gegen den politischen Terror von rechts und ein Bekenntnis zur Weimarer Demokratie.

Am Tag der Mannheimer Großdemonstration wurde der Ermordete im Biberach an der Riß feierlich beigesetzt. Mehr als 30.000 Menschen kamen in die 10.000-Einwohner Stadt in Oberschwaben, um Erzberger das letzte Geleit zu geben. Aus Berlin waren unter anderem Reichskanzler Joseph Wirth und Reichstagspräsident Paul Löbe angereist. Auch zahlreiche Politiker aus Baden hatten sich in Biberach eingefunden. Sogar der Offenburger USPD-Politiker Adolf Geck ließ es sich nicht nehmen, am Grab Erzbergers zu sprechen.

Die badische Polizei fahndete nach den Mördern Erzbergers, die ins Ausland flohen © Haus der Geschichte Baden-Württemberg

Mit Rücksicht auf die Beerdigung führte die Badische Zentrumspartei ihre Trauer- und Protestveranstaltungen erst nach der Beisetzung des Ermordeten durch. So versammelte sich das Mannheimer Zentrum am 1. September 1921 im Rosengarten, wandte sich scharf gegen den politischen Meuchelmord und sprach sich für Sicherheit, Recht und Ordnung aus. Weitere örtliche Trauerfeiern der Badischen Zentrumspartei fanden etwa in Karlsruhe, Konstanz, Breisach, Säckingen, Villingen, Offenburg oder Donaueschingen statt. Veranstaltungen wie diese, organisiert von SPD und USPD, Zentrumspartei und Gewerkschaften, fanden Ende August und Anfang September 1921 in vielen Gegenden Deutschlands statt. Sie erinnerten nicht nur an Matthias Erzberger als einen wichtiger Wegbereiter der deutschen Demokratie, der seine politischen Überzeugungen mit dem Leben bezahlte, sie waren auch ein Protest gegen todbringende Hetze der politischen Rechten und gegen Mord als politisches Mittel.

Die Hetze gegen Erzberger endete keineswegs mit dem gewaltsamen Tod des katholischen Politikers. Vielmehr fand der Terroranschlag in Teilen der deutschen Gesellschaft sehr positive Resonanz. In vielen Universitätsstädten löste die Nachricht von der Ermordung Matthias Erzbergers unter nationalistischen Studenten Jubel und Begeisterung aus. Studenten sangen auf der Straße: "Nun danket alle Gott, für diesen braven Mord. Den Erzhalunken, scharrt ihn ein, heilig soll uns der Mörder sein, die Fahne schwarz-weiß-rot." Die ostpreußische Oletzkoer Kreiszeitung schrieb: "Erzberger, der allein Schuldige an dem schmählichen Waffenstillstand, Erzberger, der Deutschland den Versailler Schandfrieden vermittelt hat, [...] hat den Lohn erhalten, der ihm als Vaterlandsverräter zukam." Und in München hetzte ein damals noch kaum bekannter Adolf Hitler auf einer NSDAP-Veranstaltung gegen den Ermordeten und verbreitete seine antisemitischen Hasstiraden zum Thema "Der Johannes des Judenstaates: Mathias [sic!] von Buttenhausen. Sein Werk und sein Geist." Diese Beispiele für Hetze gegen Erzberger ließen sich beliebig vermehren. Nicht ohne Grund bezeichnete der protestantische Theologe und Publizist Ernst Troeltzsch den Katholiken Erzberger als den meist gehassten Politiker seiner Zeit.

Wie es dazu kam, dass Matthias Erzberger zu Beginn der Weimarer Republik so verhasst war, lässt sich nur mit einem Blick auf Erzbergers politischen Lebensweg erklären. Denn Erzbergers politisches Wirken war auf engste mit Verwerfungen in der deutschen Gesellschaft verbunden, die die tiefere Ursache für den maßlosen Hass auf diesen katholischen Wegbereiter deutscher Demokratie waren.

Erzberger, 1875 auf der schwäbischen Alb in Münsingen-Buttenhausen geboren, aus einfachen Verhältnissen stammend, machte rasch politische Karriere. Nach einer Ausbildung als Volksschullehrer zunächst Journalist bei einer politischen Tageszeitung in Stuttgart und Multifunktionär im württembergischen Katholizismus mit zahlreichen Kontakten nach Bayern und Baden, wurde er 1903 für die Zentrumspartei in den Reichstag gewählt. Dort wurde Erzberger, obwohl jüngster Volksvertreter, rasch durch seine Kritik an der deutschen Kolonialpolitik bekannt. Für die politische Rechte hatte Erzberger damit die deutsche Nation verraten und Deutschlands Sendung als Weltmacht untergraben. Nationalistische Hetze war die Folge. Auf Erzbergers Forderungen nach mehr Rechten für den Reichstag antworten Kreise der wilhelminischen Eliten mit scharfem Widerspruch. Der Kaiser und der Reichskanzler sekundierten. Bildungsbürger gaben ihrer Verachtung gegenüber dem gelernten Volksschullehrer Erzberger Ausdruck, der zudem mit seinem Schwäbisch und seinem katholischen Glauben im preußisch-protestantischen Berlin auf Ablehnung stieß.

Die Waffenstillstandsverhandlungen in Compiègne aus Sicht des Künstlers Maurice Pillard Verneuil © Haus der Geschichte Baden-Württemberg

Im Ersten Weltkrieg wandelte sich Erzberger von einem Befürworter deutscher Annexionen zu einem Vorkämpfer für einen Verständigungsfrieden. Mit seinem Eintreten für eine Friedensresolution des Reichstags stellte er 1917 innenpolitisch die Machtfrage und versuchte dem Reichstag Mitbestimmungsmöglichkeiten über die grundsätzliche Ausrichtung der deutschen Außenpolitik im Krieg zu ermöglichen. Rechte Hassausbrüche und Überlegungen des Militärs, den Abgeordneten Erzberger zu inhaftieren, waren die Folge. Gegen massive Widerstände wurde Erzberger schließlich Minister in der letzten kaiserlichen Regierung unter Reichskanzler Max von Baden und unterzeichnete auf Anweisung des Militärs und der deutschen Regierung am 11. November 1918 den Waffenstillstand von Compiègne. Mit seiner Unterschrift endete im Westen der Ersten Weltkrieg.

Nach Berlin zurückgekehrt stellte sich Erzberger in den Dienst der neuen revolutionären Regierung, kämpfte für die Schaffung einer parlamentarischen Demokratie und für ein Bündnis seiner katholischen Zentrumspartei mit Liberalen und gemäßigten Sozialdemokraten. Erzberger trug entscheidend zur Annahme des Versailler Friedensvertrages bei, als die Weimarer Nationalversammlung 1919 vor der schwerwiegenden Entscheidung zwischen drohendem Einmarsch des gegnerischen Militärs oder Frieden zu äußerst harten Bedingungen stand. Erzbergers Ziel war es, die drohende Besetzung Deutschlands durch die Alliierten und die Zerschlagung der jungen Demokratie zu verhindern. Zudem baute er 1919/20 innerhalb von neun Monaten das deutsche Steuer- und Finanzwesen um, um der Weimarer Republik eine tragfähige finanzielle Grundlage zu schaffen. Dabei schuf er Strukturen, die bis heute Bestand haben.

Matthias Erzberger als Minister in Weimar, 1919 © Haus der Geschichte Baden-Württemberg

Seine Unterschrift unter den Waffenstillstand, sein Eintreten für die Unterzeichnung des Versailler Vertrags und seine Finanz- und Steuerpolitik machten Erzberger zu einem der verhasstesten Politiker der frühen Weimarer Republik. Maßlose Hetze von rechts und Attentatsversuche waren die Folge. Am 26. August 1921 ermordeten ihn Angehörige einer antirepublikanischen Geheimorganisation im Schwarzwald bei Bad Griesbach.

Anmerkung:
Dieser Beitrag ist die gekürzte Fassung eines Vortrags, der von dem Verfasser im August 2021 im MARCHIVUM gehalten wurde. Über das Schicksal Erzbergers informiert eine vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg geschaffene Dauerausstellung im Geburtshaus Erzbergers in Münsingen-Buttenhausen.

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