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50 Jahre Cinema Quadrat und kommunale Filmarbeit in Mannheim

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    Das Royal-Kino am Tattersall, Mannheim, Nähe Bahnhof in den 60er Jahren

Es begann im Juli 1971 mit einer "Einladung zu einer Filmischen Aktivität in Mannheim",  initiiert von Fee Vaillant und Hanns Maier und adressiert an "Freunde und Teilnehmer der Internationalen Filmwoche". Erste Ideen für das, was kommen sollte und was es auch in der Praxis wurde, sind in diesem Aufruf schon vorformuliert: ein Mitgliederprinzip (Mitgliedsbeitrag im Jahr: 10 DM) und niedrige Eintrittspreise (ermäßigt: 2 DM, regulär: 3 DM).

Die Programmgestaltung sollte durch einen Auswahlausschuss erfolgen, logistische Hilfe, insbes. in der Öffentlichkeitsarbeit, bot das Büro der Internationalen Filmwoche im Rathaus. Die Vorführung von wöchentlich zwei Filmen im Royal-Kino war mit dem Kinobetreiber Dieter Spickert bereits vorbesprochen. Herr Spickert folgt nicht dem Beispiel der Kollegen in Frankfurt, die gegen die Einrichtung eines kommunalen Kinos in Frankfurt beim Verwaltungsgericht klagten, und verloren. Er beteiligt sich an der Initiative, was bis heute zu einem friedlichen Nebeneinander von gewerblichen Multiplexen, Programmkinos und Cinema Quadrat  führte.

In einer ersten Pressemeldung Anfang September wird das Konzept und der in einer demokratischen Abstimmung gefundene Name "CINEMA QUADRAT" sowie der Start am 13. Oktober 1971, nach der XX. Internationalen Filmwoche (04. - 09.10.71), der Öffentlichkeit vorgestellt. Bereits am 20. September fand eine erste Mitgliederversammlung des zunächst noch nicht eingetragenen Vereins mit Wahlen statt. Zum ersten und zur zweiten Vorsitzenden wurden Hanns Maier und Fee Vaillant gewählt. Es sollte dann noch bis ins Jahr 1977 dauern, bis der Verein es schaffte, ins Vereinsregister eingetragen und vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt zu werden.

Das erste Flugblatt mit dem Programm der ersten 6 Wochen und einem Aufruf an die Öffentlichkeit begann mit den Worten: "Graf Porno hat ausgespielt, Django, Frau Wirtin und der Lümmel von der letzten Bank reißen keinen mehr vom Stuhl. Deshalb gehen Sie nicht mehr ins Kino. Wir auch nicht! Das ändert sich ab 13. Oktober im Cinema Quadrat."

Das erste Flugblatt zur Ankündigung des ersten Programms von CQ

Zunächst nur zwei Vorstellungen pro Woche

Am Abend des 13. Oktober 1971, einem Mittwoch um 20:30 Uhr, fand dann im Kino Royal am Tattersall (heute Spielothek Admiral) die erste Vorstellung statt mit dem Gewinner des Großen Preises der XX. Internationalen Filmwoche, dem argentinischen Film "Der Weg zum Tod des alten Reales" von Gerardo Vallejo. Als Vorfilm wurde "Erwin" von Egon Mann, ein deutscher Kurzfilm, gezeigt. Die nächste Veranstaltung war dann am Samstag, dem 16.Oktober um 22:30 Uhr, ebenfalls ein Festival-Preisträger, nämlich "Anaparastassi" von Theo Angelopoulos, einem Griechen, von dem man in den nächsten Jahren noch viel hören sollte. Als Vorfilm lief: "Bolero de Amor" von Francesco Bertriu aus Spanien.


   
Das Royal-Kino am Tattersall, Mannheim, Nähe Bahnhof in den 60er Jahren
 
Mit diesen sehr gut besuchten Vorstellungen etablierte sich das Cinema Quadrat als erstes kommunales Kino (in der Presse aber meist noch "Filmclub" oder "Filminitiative" genannt) in Baden-Württemberg, das vierte in der alten Bundesrepublik mit zwei Vorstellungen pro Woche, mittwochs um 20:30 Uhr und samstags um 22:30 Uhr und als Mieter im gewerblichen Kino Royal. Die Miete betrug pro Vorstellung 190 DM. Seitens des Kulturamtes gab es einen ersten Zuschuss für 1971 von 3.500 DM.

Das Programm der ersten Wochen war noch von den Initiatoren der Filmwoche kuratiert worden. Es enthielt neben den Festivalpreisträgern viele neue deutsche Filme, die meist von den jungen Regisseuren selbst vorgestellt wurden. Aber Kasse und Einlass und bald auch das weitere Programm wurden von einem Mitarbeiter-Kreis gestaltet, der sich schnell zusammenfand und die Initiative mit Programmen und Leben füllte.

Kämpfe um Spielstätten und Gelder

Die ersten zwanzig Jahre waren durch die mehrfache Suche nach einem Abspielort und einem eigenen Kino und durch die alljährlichen Kämpfe um die Zuschüsse der Stadt geprägt. Nach knapp zwei Jahren als Gast im gewerblichen Kino am Bahnhof "Royal" folgte eine fast 10-jährige Gastrolle im "Studio im Werkhaus" des Nationaltheaters, wobei die zunächst positive Symbiose im Laufe der Jahre zunehmend einem Streit um Spielabende wich, weil das Theater das Studio zunehmend selbst bespielte.

1982 wurde dann endlich im "Kubus" in L7, 12 (damals Sitz des Kulturamtes, heute steht dort ein neuer Bau des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung ZEW) durch die Verbindung zweier Räume für das Cinema Quadrat ein eigenes Kino geschaffen. Der Wechsel war auch deshalb notwendig, weil die Vorführbedingungen im "Studio" (Ton und Bild) nicht mehr vertretbar waren. Eine Zuschauerin meinte zur Vorführung des Filmes "1789" von Ariane Mnouchkin, dass "im Film die Köpfe schon abgeschnitten waren, bevor die Revolution begonnen hatte!" In der Debatte um Zuschüsse hieß es u.a., dass man "einer Leiche keine Spritze mehr geben soll." Die Begründung, warum das Cinema Quadrat eine "Leiche" sei, basierte aber wiederum auf "fake news" (wie man das heute nennt, was es auch damals schon gab) zu den Zuschauerzahlen und Personalien.

In einer Gegendarstellung und in der Resonanz in der Presse und Öffentlichkeit zeigte sich dann aber sehr schnell, dass die "Leiche" noch sehr lebendig war. Trotzdem, verweigerte die CDU die Zustimmung bei der Bewilligung der Gelder, weil das Cinema Quadrat zwei Jahre zuvor - anlässlich der Kanzlerschaft von Franz Josef Strauß - den "Anachronistischen Zug", einen Film über ein politisches Theaterprojekt, gezeigt hatte.

Der "Kubus" mit dem ersten eigenen Kino von CQ im 1. OG

Der Kinosaal im "Kubus"

Vom Kubus zum Collini Center

Schon wenige Jahre später begann die Suche nach einem Kino erneut, weil der im Besitz der Stadt befindliche "Kubus" verkauft und abgerissen werden sollte. Es dauerte dann aber noch bis 1989, bis die Stadt im Foyer des Collini Centers ein neues, größeres und besser ausgestattetes Kino baute. Auch hier erfolgte wieder eine Umwidmung von Räumen, für die man keine "bessere" Verwendung hatte. Diesmal erhielt das Kino aber eine größere Leinwand, eine neue Bestuhlung und einen ersten Video-Beam.

Zuvor drohte aber wieder einmal das Aus, als von Teilen der Verwaltung die Ansicht vertreten wurde, dass man auf ein kommunales Kino verzichten könne, "da es ja gewerbliche und Programm-Kinos gebe". Die Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und DKP votierten dann aber doch für die Bereitstellung von 230.000 DM – die aber unbedingt reichen mussten.


Kinofoyer im Collini Center

Nach dem zweiten Kino-Bau innerhalb von 10 Jahren wurde es ruhiger, was die Kämpfe mit der Kulturverwaltung betrifft, denn die Existenzberechtigung eines kommunalen Kinos in Mannheim wurde vom Cinema Quadrat jährlich neu mit einem umfangreichen und sehr engagierten Programm belegt.
Die mit dem Bundesverband schon 1986 im "Kubus" begonnene Reihe mit filmkundlichen Symposien wurde kontinuierlich fortgesetzt und ab 2003 kamen dann noch Seminare mit den Psychoanalytikern "Im Dialog: Psychoanalyse und Filmtheorie" mit einer ebenso benannten Schriftenreihe dazu. Insgesamt erfüllte das Cinema Quadrat  mit Vorträgen, Einführungen und Seminaren und mit der Auswahl der Filme den Anspruch "Andere Filme anders zu zeigen".

Erneute Suche nach einer Spielstätte

Etwas mehr als 20 Jahre währte die Ruhe im Collini Center und konnte sich Kontinuität entwickeln, bis etwa Anfang der 10er Jahre deutlich wurde, dass auch Teile des Collini Centers saniert oder abgerissen werden müssen und das Cinema Quadrat mittelfristig wieder einmal nicht bleiben konnte.
2011, als ein Neubau der Kunsthalle diskutiert wurde, schlug das Cinema Quadrat vor, dort im Keller ein Kino einzurichten. Es sollte aber eine "Zwei-Saal-Lösung" werden, denn man hatte die Verdrängung aus der gemeinsamen Nutzung des Studios im Werkhaus durch das Nationaltheater noch in Erinnerung. Eine "Zwei-Saal-Lösung" bedeutete: ein Kino für das Cinema Quadrat und ein Vortragssaal für die Kunsthalle, die man zu besonderen Ereignissen zusammenschalten könnte, um einen Vortrag, einen Film, ein Panel bei großem Andrang in beiden Sälen gleichzeitig vorzuführen. Leider wurde dieser Vorschlag, von dem beide Kultureinrichtungen Vorteile gehabt hätten, zurückgewiesen, weil die neue Kunsthalle, vielfach größer als die alte, "nicht genügend Platz für ein zusätzliches Kino hätte".

Ein neues Kino in K1

Die Suche ging weiter, eine Vielzahl von Gebäuden wurde besichtigt und geprüft und für untauglich befunden. Richtig dringend wurde es, als der Gemeinderat dann beschloss, dass die technischen Ämter in einen Neubau im Glücksteinquartier umziehen werden, denn es war allen klar, dass das Cinema Quadrat nicht im Collini Center bleiben konnte, wenn die Stadt ausziehen werde. Durch einen glücklichen Zufall erfuhren wir aber dann im Frühjahr 2017, dass in K 1, im 3. OG des ehemaligen Möbelhauses Mömaxx (noch früher Karstadt), Räumlichkeiten zu mieten seien und darin eine Fläche von ca. 200qm mit 6m Deckenhöhe und ohne Säulen frei sei, in die man ein Kino einbauen konnte. 6m Deckenhöhe ermöglichte einen Kinosaal mit Abtreppung für jede Sitzreihe und eine fast 32qm große Leinwand - mehr als doppelt so groß wie im Collini Center. Das war der Jackpot und wir versuchten jetzt, alle Wünsche zu realisieren: Eine optimale digitale Projektion über einen 4K-Beamer hatte sich das Cinema Quadrat schon vorher beschafft, aber es sollte auch weiterhin die Möglichkeit geben, analog 35mm Filme vorzuführen. Eine Mehrkanal-Tonanlage sollte einen optimalen Sound liefern. Dazu kamen neue bequeme Kinositze mit Seiten- und Beinfreiheit und endlich eine Klimaanlage. Ein großes Foyer sollte der Kommunikation vor und nach dem Film dienen. Und es brauchte ein Büro und Lagerräume.

Die Kosten – etwas mehr als 400.000 € – konnte der Verein selbstverständlich nicht aufbringen. Er konnte lediglich durch umfangreiche Eigenleistungen, insbesondere auch bei der Planung und Bauaufsicht dazu beitragen, dass die Kosten so niedrig blieben und dass ein Drittel von der MfG Landesfilmförderung übernommen wurde. Die restlichen zwei Drittel musste die Stadt aufbringen. Und hier zeigte sich der Unterschied zu den Debatten vor dem Umbau des Kubus im Jahr 1981 und vor dem Kinobau im Collini Center 1989: Der Hauptausschuss bewilligte die Mittel mit einem einstimmigen Beschluss aller Fraktionen. Die Existenzberechtigung eines kommunalen Kinos wurde nicht mehr in Frage gestellt. Die Programmarbeit der letzten 48 Jahre hatte belegt, dass das Filmangebot von CQ das Kulturangebot der Stadt bereichert.

Am 30. 11. 2019 konnte das Kino in K 1, 2 (so die Adresse nach Quadratbenennung in der Innenstadt von Mannheim) bezogen werden – um dreieinhalb Monate später wegen Corona wieder zu machen zu müssen. Zum inzwischen 50-jährigen Geburtstag sieht es so aus, dass wir wieder feiern dürfen in einem großartigen Kino mit großer Leinwand, optimaler Vorführtechnik, analog wie digital, mit großem Foyer und einem schönen Innenhof im 3. OG, in dem wir während der beiden Pandemie-Sommer wenigstens Open-Air-Kino machen durften.

In der Rückschau lässt sich sagen, nach einem frühen Anfang und einem holprigen Weg über lange Jahre, wird die kommunale Filmarbeit vom Cinema Quadrat in Mannheim als notwendig und bereichernd von allen Institutionen und Parteien anerkannt und geschätzt.  Es ist ein gutes Gefühl, dies zum Jubiläum sagen zu dürfen und gesagt zu bekommen.

alles zum Thema: Cinema Quadrat, Stadtgeschichte

Hass, Hetze, Mord. Das Attentat auf Matthias Erzberger vor 100 Jahren

Am 31. August 1921 fand in Mannheim vor dem Rosengarten eine Massendemonstration statt. 35.000 Menschen waren auf dem Friedrichsplatz zusammengekommen. Stadtrat Böttger von der SPD und der Geschäftsführer der USPD Dietrich sprachen von den Balkonen der Festhalle zur Menge und gaben ihrer Empörung über den Mord an einem wichtigen Wegbereiter deutschen Demokratie Ausdruck. Denn der katholische Zentrumspolitiker Matthias Erzberger war wenige Tage vorher im Schwarzwald Opfer rechter Terroristen geworden. Die Mannheimer Massenkundgebung war ein bewusster Protest demokratischer Kräfte gegen den politischen Terror von rechts und ein Bekenntnis zur Weimarer Demokratie.

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