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Vom "blühenden Gedeihen" von Reich und Stadt: Philipp Diffené (1833-1903)

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schwarz-weiß Fotografie der Diffené-Brücke in Mannheim, um 1900

Die Ehrenbürgerwürde, die man ihm anlässlich seines 70. Geburtstags verleihen wollte, konnte Philipp Diffené nicht mehr entgegennehmen: Er verstarb am 4. Januar 1903, einen Tag vor Überreichung der Urkunde. Damit ist Diffené der einzige Mannheimer Ehrenbürger, dem diese Würdigung postum zuteil wurde.

Prominenz war zuhauf erschienen, die Grenadierkapelle spielte einen schwermütigen Choral, und der Militärverein salutierte, als man Diffené zu Grabe trug. Oberbürgermeister Beck nannte ihn in seiner Grabrede den ersten Bürger der Stadt und einen hervorragenden Repräsentanten des Mannheimer Kaufmannsstandes. Schließlich hatte der Verstorbene über viele Jahre der Mannheimer Handelskammer vorgestanden. Die prominente Rolle, die er im Mannheimer Wirtschaftsleben spielte, aber auch sein Einsatz für den Bau des hiesigen Industriehafens dürften bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde von ausschlaggebender Bedeutung gewesen sein.

Philipp Diffené, um 1900

Indes erstreckte sich Diffenés Wirken zugleich auf den politischen Bereich. So sammelte er im Bürgerausschuss der Stadt seit 1871 politische Erfahrungen und fungierte späterhin als Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung. Seine politische Heimat fand Diffené in der konservativ geprägten Nationalliberalen Partei, was seiner sozialen Herkunft durchaus entsprach; gehörte seine Familie doch seit langem der Mannheimer Oberschicht an. Bereits der Großvater hatte sich in der Stadt einen Namen gemacht, war als Weinwirt tätig und zugleich politisch aktiv. Durch Philipps Vater Heinrich Christian Diffené (1804-1869) erhielt der Name in der Stadt dann vollends einen bekannten Klang. Der Wein- und Tabakhändler hatte nämlich zugleich von 1852 bis 1861 das Amt des Mannheimer Oberbürgermeisters inne. Philipp Diffené trat zwar in die Fußstapfen seines Vaters und übernahm die Tabakhandlung "Sauerbeck und Diffené", deren Teilhaber er bis 1901 blieb. Im politischen Bereich sollte er jedoch über den kommunalpolitischen Bereich hinausstreben und von 1886 bis 1890 Mannheim im Deutschen Reichstag repräsentieren.

Diffenés Wirken fiel in eine wirtschaftliche Aufschwungphase, in die Gründerjahre nach dem von Deutschland "gewonnenen" Krieg gegen Frankreich 1870/71. Jetzt flossen der deutschen Wirtschaft jene Gelder zurück, die sie in Kriegsanleihen investiert hatte, und bildeten den Grundstock für manche vielversprechende industrielle Unternehmung. Als Mann der Wirtschaft und zugleich Politik hatte Diffené in diesen Zeiten des Auf- und Umbruchs stets das ökonomische Wohlergehen Mannheims im Blick. Dementsprechend setzte er sich in besonderem Maße für einen industriellen Innovationsschub ein, der bis zum heutigen Tag den städtebaulichen Grund- und Aufriss prägt: Mit Nachdruck befürwortete Diffené den Bau des Mannheimer Industriehafens, und zwar unter Ausnutzung des ehemaligen Rheinverlaufs (Altrhein) nach Fertigstellung des Friesenheimer Durchstichs. Dies war umso wichtiger, als Mannheim in eine kritische Phase seiner wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit eingetreten war. Denn die Kommune bekam zunehmend die Konkurrenz der anderen Oberrheinhäfen zu spüren, sodass es sinnvoll war, das Handelszentrum zusätzlich zu einem Industriezentrum am Oberrhein auszubauen. Und der 1907 offiziell eingeweihte Industriehafen erfüllte die in ihn gesetzten Erwartungen vollauf: Rasch siedelten sich dort Unternehmen an, vor allem solche der Mühlenindustrie, so dass das Areal bis zum heutigen Tag zentraler Funktionsteil der Mannheimer Hafenanlagen ist.

Mit der Industrialisierung gingen allerdings auch soziale Verwerfungen einher, in deren Folge die Sozialdemokratie reichsweit zu einer bedeutenden politischen Größe heranwuchs. Aus Sicht Diffenés hatten die Sozialdemokraten allerdings einzig "die Schwächung und schließliche Zertrümmerung des mit deutschem Herzblut wieder errungenen Nationalstaates" zum Ziel – soweit seine Äußerung im Reichstagswahlkampf 1890. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums warf der "Mannheimer Anzeiger" Diffené vor: Er habe ob seiner Verherrlichung vom "blühenden Gedeihen" des Reiches wohl vergessen, einen Blick auf den Mannheimer Marktplatz zu werfen. Dort nämlich äußere sich der von Diffené so rosafarben geschilderte Wohlstand im zunehmenden Konsum von billigem Pferdefleisch; denn das teurere Rind- und Schweinefleisch könne sich der "einfache Mann" schlicht nicht leisten.

Die Diffené-Brücke, um 1910

Wie es sich im Einzelnen auch verhielt: Sein sozialdemokratischer Kontrahent August Dreesbach (1840-1906) zog 1890 in der Wählergunst an ihm vorbei und nahm statt seiner im Reichstag Platz. Diffené verzichtete darauf, sich der politischen Auseinandersetzung ein weiteres Mal zu stellen. Vermutlich war er mit der Bilanz seines bisherigen Wirkens versöhnt; die Mannheimer Stadtoberen waren es allemal. Dies bezeugten sie mit der Ehrenbürgerwürde und unterstrichen es zusätzlich mit einer Brücken- und Straßenbenennung: Die 1901/02 über den Industriehafen geschlagene Schwenkbrücke und der Straßenzug, in dem sie liegt, wurden unmittelbar nach Diffenés Ableben nach ihm benannt. Die erste Diffenébrücke ist heute durch eine moderne Brückenkonstruktion ersetzt. Das Grab Diffenés findet sich auf dem Mannheimer Hauptfriedhof.

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Migration nach und aus Mannheim - Von der Festungsgründung 1606 bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges

Liebe Blog-Leser*innen,
am 20. Oktober 2021 konnten wir bereits den von Philipp Gassert, Ulrich Nieß und Harald Stockert herausgegebenen ersten Band der „Veröffentlichungen zur Mannheimer Migrationsgeschichte“ im Friedrich-Walter-Saal des MARCHIVUM vorstellen. Um Ihnen diese wichtige Publikation näher zu bringen, sollen nun in den folgenden Monaten die einzelnen Kapitel dieses Sammelbandes durch Zusammenfassungen vorgestellt werden. Das erste Kapitel unseres Sammelbandes zur Migrationsgeschichte Mannheims wird von Prof. Dr. Hermann Wiegand vorgelegt. Der Vorsitzende des Mannheimer Altertumsvereins nimmt dabei die Jahre „von der Festungsgründung 1606 bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges“ in Augenschein.

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