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"... und muß nun notgedrungen im Bunker hausen" - Alltagsleben im Nachkriegs-Mannheim

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schwarz-weiß Fotografie von drei Kindern, die auf dem Boden knien und nach Kohleresten suchen, 1949

Wer die Not der Nachkriegsjahre verstehen will, hat die Folgen des von den Nationalsozialisten verschuldeten 2. Weltkriegs zu betrachten. Die Parole des totalen Kriegs hatte noch, bis zum bitteren Ende, militärisch sinnlose Aktionen legitimiert, vermeintlich mit dem Ziel, den Vormarsch der Alliierten zu stoppen, mindestens zu verzögern, um noch ein paar Tage Zeit für den Rückzug zu gewinnen.

In Mannheim hatte sich die Stadtverwaltungsspitze um Oberbürgermeister Renninger bereits vor dem Einmarsch der Amerikaner in Richtung Sinsheim abgesetzt. Allemal verheerend waren für die Nachkriegsjahre die letzten Aktionen des alten Apparats, sie erschwerten erheblich den Neuanfang. So hatte die Wehrmacht am 20. März die Rheinbrücke Mannheim-Ludwigshafen bzw. am 25. März die Neckarbrücken gesprengt. Aber rascher als erwartet waren die amerikanischen Verbände vorgerückt, die Flüsse stellten für die gut gerüstete US-Army letztlich kein ernstliches Hindernis dar. Der Krieg war für Mannheim am Gründonnerstag, den 29. März 1945 zu Ende. Eine Trümmer- und Ruinenlandschaft war das weithin sichtbare Ergebnis.

Die ersten Monate ab April 1945 schienen noch halbwegs erträglich: 1.147 Kalorien als Tagesration billigte die Besatzungsmacht dem durchschnittlichen Mannheimer zu. Ende November gab es eine Sonderzuteilung von 100g Brot und die Aussicht auf ein halbes Pfund Zucker zu Weihnachten. Das löste Freude aus, zumal die Zuteilung, nunmehr auf 1.550 Kalorien erhöht, während des Winters 1945/46, der recht milde Temperaturen auswies, gehalten werden konnte. Wer jedoch geglaubt hatte, das Schlimmste wäre bei der Lebensmittelversorgung nun überstanden, der wurde alsbald eines Besseren belehrt.

Nach Kohleresten suchende Kinder, um 1949

Eine krisenhafte Zuspitzung der Lage durchlebte die Mannheimer Einwohnerschaft im Hungerwinter 1946/47, dem, infolge einer Dürre, ein ebenso harter Sommer 1947 folgte. Schon im Frühjahr 1946 waren kaum noch Kartoffeltransporte in der gesamten amerikanischen Zone zu verzeichnen gewesen. Es blieb keine andere Wahl, als die Zuteilungsration überall zu senken. Kleine Gemüsebeete oder Tabakanpflanzungen wurden allenthalben betrieben, auf freiem Firmengelände, aber auch in der Anlage des Friedrichsplatzes wurden Gemüsebeete angelegt. Jeder Flecken Erde, der irgendwie zur Verfügung stand, wurde zur Selbstversorgung genutzt.

Hamsterfahrten zu den umliegenden Bauernhöfen in den Odenwald, ins hessische Ried oder in die nordbadischen Anbaugebiete, Kohle- und Kartoffelklau von fahrenden Zügen, oft durch Kinder ausgeführt, weil die weniger Bestrafung zu befürchten hatten, und daneben der Schwarzmarkt - von dem verständlicherweise nur wenige fotografische Schnappschüsse existieren - diktierten oftmals den Lebensalltag. Ungeachtet aller drakonischen Strafandrohungen durch die Ordnungsmacht war der Schwarzmarkt existent bis zur Währungsreform. Der Sommer 1947 zehrte erbarmungslos an den nun seit Jahren nur unterversorgten Körpern der Mannheimer Bevölkerung. Immer dürftiger wurden die Rationen.

Lag die Säuglingssterblichkeit 1939 bei 5,8 %, 1944 schon bei 22 %, schnellte sie im ersten Halbjahr 1945 auf den unglaublich Wert von 39,3 % hoch. Ende 1946 waren 750 Mannheimer Kinder an aktiver Tuberkulose erkrankt, jedes zweite Schulkind wurde von den Behörden als erholungsbedürftig eingestuft, hätte eigentlich einen Aufenthalt auf dem Land, raus aus den beengten Wohnverhältnissen verdient. Und ein Drittel der Jungen sowie ein Viertel aller Mädchen galten damals als dringend zusatzspeisungsbedürftig. Vielleicht war es das Schicksal der Kinder, das mit zur Wende in der amerikanischen Besatzungspolitik beitrug, weg von der Bestrafung, hin zur aktiven Hilfe.

Den Hunger der Kinder linderte wirkungsvoll ab 27. Mai 1947 dann das „Hoover-Programm“, das durch amerikanische Spenden fast komplett finanzierte Mittagessen für die Schulkinder. Das Programm wurde vor allem durch die Mannheimer Notgemeinschaft organisiert, einen Zusammenschluss städtischer und freier karitativer Stellen.

Hoover-Speisung, 1949

Zu Hause erwarteten die Kinder oft genug extrem enge Verhältnisse, ein Leben in uns heute menschenunwürdig erscheinenden Behausungen, denen doch viele Mannheimerinnen und Mannheimer, oft über Jahre hinweg, ausgesetzt waren: karge Zimmer, Notunterkünfte und Bunker. Wo einstmals mehrstöckige Hochhäuser standen, wurden zusammengeflickte Elendshütten, mitten in den Ruinen, errichtet. Mit Wellpappe wurde versucht, die Barackendecke gegen Regen und Schnee abzudichten; doch drunten war und blieb es feucht. Das Leben in Kellern stark beschädigter Häuser war nicht zu vermeiden, bei einer Stadt wie Mannheim, wo 76 % der Bausubstanz in Trümmern lag, wo 36 % aller Wohnungen total zerstört bzw. weitere 12,8 % so schwer beschädigt waren, dass sie als unbewohnbar galten – summa summarum nahezu jede zweite Wohnung gegenüber den Vorkriegsjahren fehlte. 34,3 % der Wohnungen waren leicht bis mittelschwer getroffen worden, gerade einmal 17 % dagegen unbeschädigt.

Studenten-Notwohnungen in einem Tiefbunker (Bunker heute nicht mehr vorhanden), 1949

Die Bunker wurden daher, sofern verfügbar, für Wohnzwecke primitiv hergerichtet. Der Luisenring-Bunker war Auffangstadion für ehemalige KZ-Häftlinge, die aus Buchenwald kamen. Andere Bunker dienten als Hotel, wie der Bunker am Paradeplatz, der am 1. April 1947 mit 65 Betten öffnete, oder gar als Einkaufspassage wie am Messplatz. Im Ochsenpferch-Bunker an der Jungbuschbrücke – der heutige Sitz des MARCHIVUM – wurde ab November 1948 eine gut gehende Arztpraxis mit zwei Räumen à 14 qm betrieben. Der Tiefbunker am Goetheplatz diente 130 Studierenden als Domizil, eine überirdische Baracke wurde als Mensa genutzt. Das Leben in den Bunkern wurde oftmals zur Qual: "und muß nun notgedrungen im Bunker hausen", vermerkte eine Aktennotiz über Familie S. und protokollierte mit diesem einen Nebensatz das Schicksal vieler. Die Bunkerbewohner beklagten die extreme räumliche Enge, das künstliche Licht, die unzulänglichen sanitären Verhältnisse, die viel zu feuchte und schlechte Innenluft.

Selbst die in den fünfziger Jahren aufgelegten Bunkerersatzprogramme vermochten das Problem nicht sogleich zu lösen, zum Teil zogen sich die Einzelfälle über Jahre hinweg. Mindestens 10.000 Personen lebten noch 1950 in unzumutbaren Verhältnissen. 1954 wohnten noch 1.800 Menschen in den Bunkern. Die letzten Bunkerbewohner des Ochsenpferchbunkers zogen sogar erst in den 1960er Jahren aus.

alles zum Thema: Bunker, Stadtgeschichte

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