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Dr. Max Silberstein – Ein Mannheimer mit Leib und Seele

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Profilaufnahme von Max Silberstein mit Zigarre

„Ein Mannheimer mit Leib und Seele“: Diese Charakterisierung Max Silbersteins stammt vom ehemaligen Oberbürgermeister Hans Reschke anlässlich einer großen Ehrung. 1966, genau 1200 Jahre nach der ersten Erwähnung Mannheims im Lorscher Codex, führte die Stadt Mannheim eine neue Bürger-Auszeichnung ein, den Ehrenring. Dr. Max Silberstein war in jenem Jahr einer von drei Erstempfängern dieses Rings. Sein Geburtstag jährt sich am 3. April 2022 zum 125. Mal – Grund genug, die Erinnerung an diesen großen und leidenschaftlichen Mannheimer wachzurufen.

Dabei stammt Silberstein gar nicht aus einer alten Mannheimer Familie. Sein Vater Theodor Silberstein, ein Kaufmann aus Bayern, eröffnete 1893 in C 1, 7 ein Seidenwarenhaus. Seine Mutter stammte aus München. Als Max 1897 in Mannheim das Lebenslicht erblickte, war er seit Generationen das erste Familienmitglied, das außerhalb Bayerns geboren wurde.


Max Silberstein um 1960. Foto: Tita Binz.

1906 trat Max Silberstein ins Karl-Friedrich-Gymnasium ein. Die Liebe zum Humanismus wurde bereits früh in ihm erweckt, durch die Eltern und tüchtige Erzieher. Schon als Tertianer hatte er den Entschluss gefasst, Jurist zu werden, aus einer „gewissen Begeisterung für den Geist des Rechts“. Mit dem Gesetzbuch unter dem Arm saß er bereits als Pennäler in Gerichtsverhandlungen. Zu Hause – dank der regelmäßigen Besuche der Geschäftspartner seines Vaters aus Lyon – und im Gymnasium erlernte er die Beherrschung der französischen Sprache, was für ihn später noch einmal außerordentlich wichtig werden sollte. Nach dem Abitur im Jahr 1915 widmete Max Silberstein sich in Heidelberg und München erfolgreich dem Jurastudium, das er mit Promotion und den beiden Staatsexamina abschloss (1922, beim zweiten schnitt er als Bester unter 24 Teilnehmern ab). Danach gelang Silberstein auf verschiedenen Stationen im badischen Justizdienst eine Bilderbuchkarriere, bis er schließlich im November 1931 Landgerichtsrat in Mannheim wurde. Diese Karriere im Staatsdienst nahm 1933 ein abruptes Ende, als er aus rassistischen Gründen – Silberstein war Jude – „in den Ruhestand getreten wurde“.

Dr. Silberstein fand noch 1933 in Frankfurt eine Beschäftigung als Syndikus bei einem Immobilienunternehmen, das u. a. die Interessen der französischen Familie „de Rothschild“ vertrat. Dies bedingte häufigere Reisen nach Paris. 1936 holte Silberstein seine immer noch in Mannheim lebende Mutter zu sich nach Frankfurt. Im November 1938 weilte er gerade in Paris, als in Deutschland die Reichspogromnacht wütete. Er fuhr umgehend nach Hause, um seiner Mutter in Frankfurt beizustehen. Bei der Rückkehr wurde er von der Gestapo verhaftet und ins KZ Buchenwald deportiert. Die Rothschilds setzten sich von Frankreich aus für seine Freilassung ein, was nach drei Wochen unter der Auflage, Deutschland verlassen zu müssen, schließlich gelang. Silberstein bereitete gleich die Emigration nach Paris vor, wohin er im März 1939 mit seiner Mutter zog. Aber auch dort fanden die Beiden keine Ruhe, da bald nach Kriegsbeginn die deutsche Wehrmacht Paris besetzte. Der nächste Zufluchtsort war Bellac in der noch unbesetzten Zone, wo er zeitweise bei der französischen Militärintendanz arbeitete, bis 1941 dort seine Mutter verstarb. Die nächsten Etappen: Marseille, St. Gervais-les-Bains und Nizza. Die Situation wurde für ihn immer dramatischer, nachdem die Deutschen 1942 auch in den Süden eingedrungen waren. In Nizza fand er Unterschlupf in einem Kellerversteck, im Juni 1944 aber wurde er bei einer Straßenrazzia durch die Gestapo verhaftet und in ein Interimslager zum Abtransport nach Deutschland eingeliefert. Dort gelangen ihm Ausbruch und Flucht zu den inzwischen gelandeten alliierten Streitkräften. Die Amerikaner setzten Silberstein ab 1945 als Dolmetscher und Direktor im Hauptquartier ihres „Recreational Area“ in Nizza, dem Hotel Negresco, ein.


Silberstein am Grab seiner Mutter in Bellac, 1963. Foto: Erich Krämer.

Verlockende Angebote für Tätigkeiten in den USA blieben nicht aus. Frei von allen Ressentiments folgte er jedoch – für manche unverständlich – seiner inneren Berufung, am Wiederaufbau des Justizsystems in seiner zerstörten Heimat mitzuhelfen. Dort lagen schließlich auch, „die Wurzeln seiner Kraft“. Über den Umweg Frankfurt erreichte er 1947 seine alte Wirkungsstätte in Mannheim, nun als Landgerichtsdirektor im Justizdienst wieder ein¬gesetzt. Diesem Wiedereinstieg folgten nach engagiertem und erfolgreichem Wirken im Glauben an das Jesaja-Wort „Der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein“ die Positionen des Mannheimer Landgerichtspräsidenten (1949) und des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Karlsruhe (1955). Trotz der grundsätzlichen Residenzpflicht für OLG-Präsidenten aber blieb er all die Jahre in seinem geliebten Mannheim wohnen. Seine herausragenden Leistungen wurden 1963 beim Übergang in den Ruhestand mit dem Großen Verdienstkreuz mit Stern gewürdigt.

Nun mit Silbersteins eigenen Worten zu seinem zweiten Leitbild: „Mein Streben gilt der Durchsetzung der Gerechtigkeit, mein Leben aber der nach Erkenntnis ringenden Jugend“. Das war sein Credo: „Nur wer die Jugend versteht, kann den Erwachsenen begreifen und beurteilen. Wer die Jugend fördert, dient damit der Wohlfahrt seines Landes“. Dieser Überzeugung folgend, setzte er nach dem Zweiten Weltkrieg als überzeugter Europäer und inzwischen evangelischer Christ seine ganze Kraft, die ihm sein Beruf noch ließ, der Förderung der „staatsbejahenden und demokratischen Haltung der Jugend“ ein. Nie wieder sollte sich eine solch leidvolle Tragödie, wie Silberstein sie erlebt hatte, wiederholen. Manchem Jugendlichen hat er durch sein Vorbild einen inneren Kompass eingepflanzt, der mitunter das ganze Leben zuverlässig an entscheidenden Weggabelungen für wichtige Orientierung sorgte.


Oberbürgermeister Hans Reschke verleiht Max Silberstein den Ehrenring der Stadt Mannheim. Foto: Steiger.

Es war Dr. Max Silberstein nicht vergönnt, den ihm 1966 verliehenen Ehrenring der Stadt Mannheim noch oft zu tragen. Denn kein Vierteljahr später wurde er plötzlich mitten aus dem Leben gerissen. Beim sonntäglichen Abendessen im Restaurant ereilte ihn ein tödlicher Herzanfall, kurz nachdem er sich noch angeregt und launig mit dem Altbürgermeister Jakob Trumpfheller über den Tisch hinweg unterhalten hatte.

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