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Mannheim und die „moderne Tanzkultur“ in der Zwischenkriegszeit: Mary Wigman in Mannheim

Portrait der Tänzerin Mary Wigman aus den 1920er Jahren.

In dem am 29. Dezember 1926 in der Neuen Mannheimer Zeitung veröffentlichten Artikel „Revision der Tanzkunst“ schrieb der Kunstschriftsteller Oskar Bie: "Laban hat in der Praxis noch nicht ganz das umsetzen können, was er als Erster in der Theorie sah. Mary Wigman hat die Praxis gefunden, als größte Gestalterin der modernen Bewegung." Mary Wigman war eine Tänzerin, Choreographin und Tanzpädagogin und galt als eine der Wegbereiterinnen des rhythmisch-expressiven Ausdruckstanzes, des New German Dance.

Bürgerlich als Karoline Sofie Marie Wiegmann am 13. November 1886 in Hannover geboren, besuchte sie u.a. als Elevin die Tanzschule von Émile Jacques-Dalcroze in Hellerau (bei Dresden) und ging von dort nach Ascona/Schweiz zu Rudolf von Laban, einem ungarischen Tänzer, Choreograf und Tanztheoretiker. Ihre eigene Schule des modernen Ausdruckstanzes eröffnete sie 1920 in Dresden. In den folgenden Jahren wurden durch Wigmans Schülerinnen weitere Schulen eröffnet, u.a. in Berlin, Frankfurt am Main und in Mannheim.


Die Tänzerin Mary Wigman um 1920-1930. Wikimedia Commons.

Wigman stand in unmittelbarer Beziehung zu Mannheim; sie hatte mehrere Gastauftritte in den 1920er Jahren. So lud das Mannheimer Nationaltheater am 12. März 1921 zu einem einmaligen Tanzgastspiel Mary Wigmans unter der musikalischen Leitung des Kapellmeisters Felix Lederer ein. Es wurden Tänze nach orientalischen Motiven und den „Schatten“ und „Traum“ aus den „Tänzen der Nacht“ nach einer indischen und japanischen Melodie aufgeführt. Zu weiteren Gastspielen kam Wigman erst wieder ab 1925 in die Stadt Mannheim. 1926 führte Wigman im Nationaltheater drei neue Tanzwerke auf, darunter die zwei Tanzsuiten Raumgesänge und Suite russischer Tanzlieder und Rhythmen sowie das Tanzspiel Totentanz. Nach ihrem Auftritt schrieb die Neue Mannheimer Zeitung am 8. März 1926 über die Tänze der Wigman-Gruppe:

"Diesmal kam die Wigman wieder mit ihrer Gruppe. Und mit neuen Bildern. Oskar Bie hat einmal von ihr gesagt, daß gewisse Tänze (damals die orientalischen) die heutige Malerei an Expressionismus schlagen. Auf diesen Grundnenner muss man die neuen Tanzschöpfungen Mary Wigmans bringen, mit aller Problematik, die sich daraus ergibt. Da ist dieser Totentanz, der zu Erörterung, zur Stellungnahme geradezu zwingt. Man braucht nur das Expressionistische mit Ausdruckskraft zu übersetzen, und man sieht, worauf es ankommt: auf das, was in diesen sogenannten Tänzen ausgedrückt werden will oder werden soll […]."

Weitere Auftritte hatte Wigman auch in den 1930er Jahren in Mannheim; ab 1937 vor allem als Solotänzerin. Die Nazis sahen ihre Tanzkunst als „artfremd“ an und Wigman als Person war nicht mehr „erwünscht“. Ihre Dresdner Schule schloss sie 1942 und im gleichen Jahr verabschiedete sie sich auch als Solotänzerin von der Bühne. Im Jahr 1943 kam es dann zu einer Zusammenarbeit zwischen dem ab 1951 am Nationaltheater Mannheim wirkenden Intendanten Hans Schüler und Mary Wigman. Schüler, zu diesem Zeitpunkt als Generalintendant der Leipziger Bühnen tätig, verpflichtete Mary Wigman zur Choreographie von Carl Orffs Carmina Burana. (1)


Ausschnitt eines Theaterzettels für das Gastspiel von Mary Wigman und ihrer Tanzgruppe vom 6. März 1926. REM.

Erst nach dem Krieg kam Mary Wigman dann nach Mannheim zurück. 1952 sprach sie in der Kunsthalle über das Thema Der Tanz als künstlerische Sprache. Am 25. April 1954 wurde Mary Wigman der erste Schillerpreis der Stadt Mannheim im Musensaal des Rosengartens verliehen. Im gleichen Jahr, am 18. Juni, kommt das Oratorium Saul von Georg Friedrich Händel unter musikalischer Leitung von Herbert Albert und in der Inszenierung von Mary Wigman zur szenischen Erstaufführung. Bald darauf, im Juli 1955, inszenierte sie als Choreographin in Kooperation mit dem Mannheimer Nationaltheater die Opern Catulli Carmina und Carmina Burana von Carl Orff; 1958 Alkestis von Christoph Willibald Gluck. 1961 wurde sie aus Anlass ihres 75. Geburtstags in Anerkennung und Würdigung ihres Lebenswerks zum Ehrenmitglied des Mannheimer Nationaltheaters ernannt.
Mary Wigman verstarb am 18. September 1973 in Berlin (West). 1994 wurde durch einen Gemeinderatsbeschluss eine Straße im Mannheimer Stadtteil Käfertal nach ihr benannt, die Mary-Wigman-Straße.

Literatur:
(1) Fritsch-Vivié, Gabriele: Mary Wigman, Reinbek bei Hamburg 1999, S. 112-113.


Mary Wigman mit Gratulanten bei der Verleihung des Schillerpreis der Stadt Mannheim im Jahr 1954. MARCHIVUM.

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