Breadcrumb-Navigation

Prostitution in der Neckarstadt - Interview mit Astrid Fehrenbach von Amalie

Kategorien
farbiges Foto, das die Räumlichkeiten von Amalie zeigt mit einem Spruch von Amalie Struve an der Wand "Frauenrechte sind Menschenrechte"

Vor ein paar Wochen hatten wir einen interessanten Vortragsabend zum Thema "Prostitution in der Neckarstadt". Mit auf dem Podium war Astrid Fehrenbach, Leiterin der Beratungsstelle Amalie. Aus dieser Begegnung mit ihr ist das folgende, spannende Interview entstanden.

Liebe Frau Fehrenbach, können Sie sich kurz vorstellen und sagen, wie Sie zu Ihrer Tätigkeit gekommen sind?

Ich bin schon lange in der Frauenbildungsarbeit und in der Sozialen Arbeit mit Frauen tätig und daher mit vielen Themen der Frauenarbeit gut vertraut. Gewalt gegen Frauen ist ein Grundproblem und kommt überall vor. Besonders Frauen in der Prostitution und Aussteigerinnen haben in Deutschland kaum einen Zugang zu Hilfen. Als das Diakonische Werk Mannheim 2022 eine neue Leiterin ihrer Beratungsstelle Amalie suchte, hat mich das sofort angesprochen.


Astrid Fehrenbach leitet seit 2022 die Frauenberatungstelle Amalie.

Welche Frauen suchen bei Ihnen Unterstützung?

Prostitution hat sehr viel mit Armut zu tun. Fehlende Möglichkeiten, die eigene Existenz und die ihrer Kinder zu sichern, führt Frauen in die Sackgasse "Prostitution". Bei vielen ist es die pure Verzweiflung, den eigenen Körper gegen Geld zu verkaufen. Frauen, die bei uns Unterstützung suchen, befinden sich in extrem prekären Lagen: ohne sichere Wohnung, ohne Zugang zum Gesundheitssystem, verlorene Papiere, Schulden, Abhängigkeit, Gewalt – um nur einige zu nennen. Ein Großteil der Frauen sind Migrantinnen, viele aus Osteuropa.

Welches Angebot stellen Sie durch die Beratungsstelle Amalie bereit? Warum ist es wichtig?

Die Beratungsstelle Amalie arbeitet niederschwellig, d.h., wir suchen die Frauen im Rotlicht und auf der Straße auf, sprechen sie dort an, erzählen ihnen von unseren Angeboten. Da die allermeisten Frauen keine Krankenversicherung haben, aber gesundheitliche Probleme, bieten wir in unseren Räumen eine gynäkologische Sprechzeit an. Dazu sind wir in der Lage, weil sich Frauenärzt*innen ehrenamtlich bei Amalie engagieren. Auch niedergelassene Ärzt*innen sind bereit, die Frauen kostenlos in ihrer Praxis zu behandeln. Wir bieten Beratung in allen Fragen an, in denen die Klientinnen auf uns zukommen, begleiten zu Behörden, helfen etwa bei Anträgen und in sozialrechtlichen Fragen. In unserer Ausstiegswohnung können drei Frauen untergebracht und eng bei ihrem Ausstieg begleitet werden. Unser mit EU-Mittel finanziertes Aussteigerinnen-Projekt ermöglicht es uns, Frauen auch intensiv bei der Suche nach einer Arbeit und allem was damit verbunden ist, zu unterstützen. Auch für Frauen, die schon länger aus der Prostitution ausgestiegen sind, ist Amalie eine Anlaufstelle für Gespräche, in Krisen oder plötzlich auftauchenden Problemen.


Amalie befindet sich in der Dammstraße.

Wie sieht ein "normaler" Arbeitstag bei Ihnen aus?

Das ist immer schwer zu sagen. Die Mitarbeiterinnen bei Amalie müssen jeden Tag sehr flexibel sein. Der Hauptteil unserer Arbeit besteht – neben der aufsuchenden Arbeit - in Beratungen, hierzu werden feste Termine verabredet. Oft kommen Frauen aber auch einfach spontan zu uns, und wir reagieren auf Notlagen. Hinzu kommt das regelmäßige Angebot unseres Frauencafés als Treff, der von den Frauen gerne genutzt wird.

 
Die Innenräume sind bewusst freundlich gehalten, damit sich die betroffenen Frauen hier wohl fühlen können.

Wie sehen Sie den Stadtteil Neckarstadt-West bzw. wie würden Sie das Umfeld charakterisieren?

Die Neckarstadt-West ist ein lebendiger Stadtteil, der leider lange vernachlässigt worden ist und daher viele soziale Problemlagen aufweist. Die Menschen, die hier in Armut leben, brauchen entsprechende Unterstützung, vor allem die Kinder. Gleichzeitig sehe ich aber auch viele Chancen, denn Menschen vieler Nationalitäten haben hier gelernt, friedlich zusammenzuleben. Trotz der "150 Jahre" ist die Neckarstadt ein junger, bunter Stadtteil. Und wenn Sie mich fragen, ob die Lupinenstraße, die ja seit ihren Anfängen vor 120 Jahren eine Bordellstraße ist, hier hereinpasst, sage ich: Solange Frauen in Bordellen als Prostituierte tätig sind, ist es allemal besser am Rande eines Stadtteils in das "normale Leben" eingebunden zu sein, als irgendwo abseits in einem Großbordell in einem Industriegebiet, isoliert vom "Rest der Welt".

Wenn Sie einen Wunsch an die Politik frei hätten, welcher wäre das?

Meine Forderung an die Politik lautet, sich realistisch mit dem System Prostitution zu befassen und mit der Lage der Menschen dort. Wir brauchen dringend staatliche Ausstiegsprogramme, die denjenigen, die aus der Prostitution aussteigen wollen, ein selbstbestimmtes Leben ohne Gewalt ermöglichen!

Liebe Frau Fehrenbach, vielen Dank für das Gespräch und Ihnen und Ihrer Arbeit weiterhin viel Erfolg.

 

alles zum Thema: Prostitution, Stadtgeschichte

Melchior Grohe - Schriftsteller, Reisender und Aktivist

Einige interessante Zeugnisse des Selbstverständnisses eines intellektuellen Homosexuellen des 19. Jahrhunderts finden wir in Christian Könnes Beitrag zu Melchior Grohe. Über Melchior Grohe ist dabei gar nicht so vieles sicher. Man weiß beispielsweise nicht, wo er seinen Doktortitel erworben hat oder kann nicht mit Sicherheit sagen, ob er Christ oder Moslem war. Auch seine sexuelle Identität kann nicht so ohne weiteres in die heutigen Kategorien gelegt werden.

Ganzer Beitrag

Bunker-Geschichte(n) - eine neue Serie im MARCHIVUM-Blog

Während des Zweiten Weltkriegs boten in Mannheim 56 errichtete Hoch- und Tiefbunker ca. 130.000 Menschen Schutz vor den Bomben. Der Ochsenpferchbunker, in dem sich heute das MARCHIVUM befindet, ist dabei der größte Hochbunkern gewesen. Diese Kolosse aus vergangenen Tagen ragen mit vielen Geschichten und Fragen von der Vergangenheit ins Heute, in dem sogar aktuell wieder nach Schutzbauten gefragt wird. Grund genug also, den Bunkern in Mannheim und den Geschichten, die mit ihnen verbunden sind, eine eigene Serie zu widmen: die "Bunker-Geschichte(n)".

Ganzer Beitrag