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Vor 50 Jahren: Proteste für ein Jugendzentrum in Selbstverwaltung

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Jugendliche mit Schildern und Plakaten, auf denen ein Jugendzentrum gefordert wird.

Das JUZ „ist eines der ältesten selbstverwalteten Jugendzentren in Deutschland und zählt heute zu den wichtigsten ehrenamtlich getragenen Jugend-, Kultur- und Bildungseinrichtungen in Mannheim.“, schreibt Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz in seinem Grußwort zur Festschrift anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Jugendzentrums in Selbstverwaltung „Friedrich Dürr“. Die ganze Geschichte dieser Einrichtung in einem Blogbeitrag darzulegen, wäre wohl zu viel und deshalb soll hier nun vor allem die „Stunde Null“ in den Blick genommen werden.

Ausgangspunkt für die Forderung nach einem Jugendzentrum in Selbstverwaltung stellt die Schließung des Clubs „Domicil II“ am 2. Mai 1972 dar. In der „dokumentation 04/8 1973-1998“ zu 25 Jahren JUZ Friedrich Dürr wird diese Schließung als ein „Ereignis, von dem sich diese Stadt bis heute nicht erholt hat“ bezeichnet. Die Folge sind erste Proteste: „Fünf Tage dauern die Polizeieinsätze an, bei denen Jugendliche und Bürger wahllos festgenommen werden.“ Die Presse schreibt von einer „Krawallstimmung“.


Polizeieinsatz bei der Schließung Club Domicil II. MARCHIVUM.

Kreativ werden die Protestierenden in Form von Solidaritätskonzerten und einem „Go in“ in ein Kino auf der XXI. Internationalen Filmwoche. Diese Aktion zieht beispielsweise den konkreten Erfolg nach sich, dass ein Filmteam des ZDF einen Beitrag zum Konflikt in der Jugendsendung „direkt“ veröffentlicht.

Ebenfalls Teil der Proteste sind zwei Solidaritätskonzerte im Mai und Oktober 1972, jeweils mit anschließenden Demonstrationen. Nach dem zweiten der Konzerte soll ein Haus in den T-Quadraten besetzt werden, was eine massive Polizeipräsenz jedoch verhindert.

Infolge der vielfältigen und entschlossenen Protestformen verbreitert sich die gesellschaftliche Unterstützung. Verschiedene Jugendorganisationen wie der Stadtjugendring, die DGB-Jugend, die Jusos, die SDAJ oder auch die Naturfreundejugend solidarisieren sich mit den Forderungen nach einem Jugendzentrum in Selbstverwaltung. Auch der Mannheimer Drogenverein und die Fachhochschule für Sozialwesen stehen zu den Protestierenden.


Demonstration für ein Jugendzentrum in Selbstverwaltung. MARCHIVUM.

Im November werden vom Jugendwohlfahrtsausschuss schließlich die Räume des alten Gewerkschaftshauses in O 4 und finanzielle Unterstützung zugesichert. Der Einzug in die Räumlichkeiten wird auf den 1. April datiert, das Eröffnungsfest auf den 1. Mai. Als die Räume in O 4 bezogen und genutzt werden können, geht aber noch nicht alles einen ruhigen Gang. Die Räume sind zwar da, doch die Jugendlichen sitzen auf Biertischgarnituren und haben keinerlei Möbel, um Besprechungen, AGs und ähnliches abzuhalten. Diese fordern sie durch Lieder und öffentliche Aktionen abermals ein, behelfen sich aber auch selbst so gut es geht.

Die 1998 erschienene Publikation zum 25-jährigen Bestehen des JUZ hält als besonderen Baustein der eigenen Erzählung die Erinnerungen eines Aktivisten (Klaus-Peter Spohn-Logé) bereit. Hier wird „die Entschlossenheit und die Militanz“ in der Anfangsphase der Bewegung hervorgehoben und betont: „die Solidarität und das Wir-Gefühl der ersten Stunde löste eine gewisse Hilflosigkeit bei den Stadtoberen aus.“
Zur Hybris „die“ Jugend Mannheims zu vertreten schreibt er: „Auf der Woge eines Zeitgefühls schwimmend, als unmittelbare Zeitgenossen der 68er Bewegung, beeinflusst von antiautoritären politischen Grundhaltungen sei uns diese Anmaßung verziehen, machte sie uns doch auch immun gegen viele Anfeindungen.“

Es zeigt sich also auch an dieser Mannheimer Anekdote einmal mehr, wie bundesweite Entwicklungen im Brennglas der Geschichte einzelner Städte widerhallen.


Portrait von Friedrich Dürr am gleichnamigen Jugendzentrum in Mannheim. MARCHIVUM.

Das wesentliche Kernkonzept des JUZ, das sich bis heute erhalten hat, ist die Selbstverwaltung. Fundament sind die Fachschaften, die jeweils zwei Delegierte in den Delegiertenvorstand schicken, der Beschlüsse fällen kann. Die Vollversammlung, die aus allen Besucher*innen und Fachschaftsmitgliedern besteht, hat Vetorecht gegenüber den Beschlüssen des Delegiertenvorstands. Der Trägerverein ist als „juristische Person“ das Bindeglied zur Stadtverwaltung. Der Trägerverein, dessen Vertreter*innen in der VV gewählt werden, darf nicht in die Selbstverwaltung des JUZ eingreifen. (Erste Satzung des Trägervereins, beschlossen auf der Gründungsversammlung am 18.7.72)

Vor Ort in unserem Museumsshop gibt es ein spannendes Buch zum Thema "Selbstorganisierte politische Jugendarbeit im Konflikt".

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