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Berühmter Besucht Teil 4: Jens Baggesen (1789)

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"Die Stadt Mannheim", Kupferstich aus Rheinischer Antiquarius oder ausführlicher Beschreibung des Rheinstroms von J. H. Diethelm, 1776

„Über, unter, um uns herum Wasser, Wasser und nochmals Wasser!“ - Jens Baggesen erlebte Mannheim während des Hochwassers 1789, wodurch er einige Tage in der Stadt festsaß: „Wären hier nicht der Dichter Iffland, der Philosoph Dufresne und insbesondere die Sängerin Madame Beck, wäre es hier vor Langeweile nicht auszuhalten, seitdem wir schlechterdings nicht aus der Mitte der Stadt herauskommen können, denn Rhein und Neckar und dazu ein Wolkenbruch haben sämtliche Brücken, Tore und die hinausführenden Straßen unter Wasser gesetzt.“

Der dänische Schriftsteller und Anhänger der Aufklärung Jens Immanuel Baggesen, wurde 1764 in Korsør geboren. Er unternahm zeit seines Lebens umfangreiche Reisen, über die er später berichtete. 1789 brach er mit der Schriftstellerin Friederike Brun Richtung Deutschland auf. Seine Erlebnisse auf dieser Reise veröffentlichte er 1792/93 in dem Buch „Das Labyrinth: Eine Reise durch Deutschland in die Schweiz 1789“. Auch seine Eindrücke von Mannheim sind in dieser Veröffentlichung zu finden.


Jens Baggesen. Wikipedia, gemeinfrei.

Besonders interessiert war er am Theater. Gleich nach seiner Ankunft in Mannheim schaute Baggesen sich den Spielplan des Schauspiels an und besuchte als erstes die Aufführung des Stückes „Mariane“ mit Iffland in der Hauptrolle. Das Orchester gefiel ihm ausnehmend gut, die Darsteller lobte er im Großen und Ganzen. Weitere Theaterbesuche folgten während seines Aufenthaltes. Außerdem traf er den Intendanten des Hoftheaters August Wilhelm Iffland, mit dem er anregende Gespräche führte. Ifflands Wesen sei gekennzeichnet durch: „Einnehmende Freundlichkeit, Feinheit und Urbanität“.

Iffland kommt im Reisebericht noch am besten weg, ansonsten hatte Baggesen an Vielem etwas auszusetzen. Er besuchte den Statutensaal, die kurfürstliche Kunstgalerie und besichtigte die Jesuitenkirche. Der Statutensaal, an den er große Erwartungen knüpfte, missfiel ihm. Und auch die Jesuitenkirche rief wenig Begeisterung hervor. An der Gemäldegalerie hatte er ebenfalls einiges auszusetzen. Zwar war er von einigen Gemälden absolut begeistert, doch fand er insgesamt: „Die Anzahl der Gemälde beläuft ich auf etwa tausend. Sie sind ohne Plan und Ordnung aufgehängt: Italiener, Niederländer, Franzosen und Deutsche durcheinander; einige so hoch und andere so niedrig, dass man nicht viel mehr als die vergoldeten Rahmen sieht.“

Im Gegensatz zu Montesquieu, der, wie bereits in einem früheren Blogbeitrag berichtet, von den Quadraten hellauf begeistert war, gefiel Baggesen das Stadtbild überhaupt nicht: „Ist es die Schuld meiner Augen oder der schweren, ich möchte fast glauben, ungesunden Luft oder meiner Architekturunkenntnis, dass ich in Mannheim bei weitem nicht die prächtige, die schöne, die angenehme Stadt entdecke, als die man sie allgemein anpreist? Ich habe sie nun kreuz und quer besichtigt …doch obgleich ich starre, als hätte ich noch nie zuvor eine Stadt erblickt, fiel mir doch nichts Vorzügliches in die Augen“. Denn „gerade Linien und rechte Winkel allein reichen kaum aus, um den Geschmack zu befriedigen.“ Er fuhr fort: „Schnurgerade Straßen und zusammenpassende Viertel in einer Stadt erscheinen mir ungefähr dasselbe wie abgemessene Zeilen und Reime in einem Buch. Sie erwecken sogleich Erwartung nach größerer Schönheit, eine Erwartung, die zu Anfang angenehm ist – wenn sie erfüllt wird, ist das Vergnügen auch wirklich vollkommener, wird sie jedoch nicht erfüllt, dann ist das Missvergnügen umso größer und geht, rückschauend auf das prahlerische Versprechen, in Verärgerung über.“ Die Quadrate beschäftigten Bagessen so sehr, dass es auf diese Weise noch Seitenweise in seiner Reisebeschreibung weitergeht.


"Die Stadt Mannheim", Kupferstich aus Rheinischer Antiquarius oder ausführlicher Beschreibung des Rheinstroms von J. H. Diethelm, 1776. MARCHIVUM.

Seinen Missmut zog nicht nur das Stadtbild auf sich, extremes Pech hatte er auch mit dem Wetter. Ausführlich berichtet Baggesen auch über die verheerende Überschwemmung des Sommers 1789, die er in Mannheim miterlebte. Gleich zu seiner Ankunft empfing ihn Regen: „Ein Regenguss, dessen Gleichen an Heftigkeit ich noch nie gesehen, empfing uns im Tore.“ Bei einem Spaziergang sah er bereits die Flüsse anschwellen und erste Felder unter Wasser: „Die Regierung in München kümmerte sich indessen um gar nichts, ihre Maßnahmen waren unverantwortlich erbärmlich. Der Kurfürst selbst soll ein ziemlich aufgeklärter, Wissenschaft und vor allem Kunst liebender, guter Mann sein, jedoch verloren in der Hofpracht, Zerstreuungen und dem Regierungsschlaf.“

Später setzte ein mehrtägiger Regen ein, der Teile der Stadt und das ganze Umland unter Wasser setzte. Die Unterstadt stand unter Wasser und die Neckarbrücke wurde fortgespült.


Grundriss der Unterstadt Mannheims mit Einzeichnung der Überschwemmungen 1784 und 1789. Generallandesarchiv Karlsruhe.

Baggesen saß in Mannheim fest: „Über, unter, um uns herum Wasser, Wasser und nochmals Wasser!“, Brücken, Tore und Straßen waren geflutet. „Nur der höchstgelegene Teil der Stadt ist trocken. Ich habe den ganzen Tag nichts weiter getan, als die nasse Belagerung in Augenschein zu nehmen…Dort stakten fünf Personen auf einem Floß, das alle Augenblicke unter Wasser wippte, hier kam ein Mädchen in einem Bett angesegelt, dort ein Junge auf einem Ballen und hier ein kleiner Knirps auf einer Hintertür. … In allen Straßen hörte man Schluchzen, Heulen und viel Geschrei. Alles war in Angst und Verwirrung. Die Hilfsmaßnahmen waren ganz erbärmlich, oder eigentlich gab es gar keine. Die Soldaten taten sich unerträglich wichtig: sie wollten wie Matrosen erscheinen und blieben Soldaten.“

Nach einigen Tagen konnte er die Stadt dank eines mutigen Postkutschers, der seine Pferde durch die immer noch geflutete Landschaft lenkte, Richtung Heidelberg / Schwetzingen verlassen: „Von den zahlreichen Gärten, bei denen wir bei der Ausfahrt von Mainz vorbeigekommen waren, sahen wir nichts weiter als Bäume, zerstörte Steintore und halb im Wasser versunkene Gartenhäuser. … Der Neckar war in diesem Moment der breiteste Fluss in Europa.“

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