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Die Hinrichtung von Karl Ludwig Sand in Mannheim vor 200 Jahren

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Hinrichtung Sands

Am 20. Mai 1820 stand Mannheim im Blickpunkt der deutschen Öffentlichkeit. An diesem Tag wurde der Student Karl Ludwig Sand auf der Wiese vor dem Heidelberger Tor, etwa am heutigen Wasserturm, hingerichtet.

Das Todesurteil war die Strafe für Sands Mord am Schriftsteller August von Kotzebue im März 1819 in Mannheim.

Die Hinrichtung von Karl Ludwig Sand. Kolorierter Kupferstich von J.M. Voltz, 1820, rem

Da die Verantwortlichen einen großen Volksauflauf und möglicherweise auch Solidaritätsbekundungen mit Sand befürchteten, hatten sie die Hinrichtung heimlich in die frühen Morgenstunden vorverlegt und das Richtpodest von Militär umgeben lassen. Dennoch war Publikum an Ort und Stelle, um das schauerliche Geschehen zu verfolgen.

Nach der Enthauptung des Verurteilten und des Wegtransports der Leiche stürmte die Menge auf das Schafott, um Erinnerungsstücke einzusammeln – seien es abgeschnittene Locken von Sand, Späne vom Podest oder aber indem mitgebrachte Tücher in die Blutlache getunkt wurden. Bereits wenige Tag später gab es in Mannheim einen regen Handel mit diesen Devotionalien, was an den christlichen Reliquienkult früherer Zeiten erinnerte.

Sand war zu diesem Zeitpunkt längst zu einem Mythos in breiten Kreisen der deutschen Öffentlichkeit, vor allem aber bei Studenten geworden. Zwar hatte es zunächst allgemein Bestürzung über seine Mordtat und Mitleid mit dem Opfer Kotzebue gegeben. Doch bald überwog das Verständnis, bei manchen gar Sympathie mit dem Mörder. Dieser hatte bereits im Vorfeld der Tat Bekennerschreiben verfasst, in denen er kundtat, ausschließlich aus patriotischen und christlichen Ideen heraus gehandelt zu haben, indem er Kotzebue als "Verführer unserer Jugend, Schänder unserer Volksgeschichte, russischer Spion unseres Vaterlandes" identifiziert und getötet habe.

August von Kotzebue lebte seit 1818 mit seiner Familien in Mannheim. Familienbogen

Mit Kotzebue ermordete Sand den erfolgreichsten Theaterschriftsteller seiner Zeit, der mit seiner reaktionären Haltung, die er mit spitzer Feder erfolgreich zu verbreiten wusste, und seiner Tätigkeit als russischer Staatsrat ausgesprochen unpopulär und in Studentenkreisen geradezu verhasst war.

Die Tatsache, dass Sand als gläubiger Theologiestudent nicht dem Bild eines Mörders mit niederen Motiven entsprach, führte dazu, dass seine Tat in der publizistischen Öffentlichkeit zunehmend gerechtfertigt, von manchem gar verteidigt wurde. In Presseartikeln, bald auch schon in eigenen Schriften wurden die "wahren Gründe" Sands ausgebreitet, der damit eigentlich als unschuldig gelten müsse.

Äußerst erfolgreich flankiert wurde dieser Meinungskampf 1820 durch die Veröffentlichung eines Bilderzyklus aus der Werkstadt von Johann Michael Voltz, der darin Sands Tat wie in einem christlichen Kreuzweg darstellte und ihn als von Gott inspirierte Erlösergestalt inszenierte. Die Tatsache, dass diese Bilder bis heute in schulischen Geschichtsbüchern gedruckt werden, hat mit dazu beigetragen, dass Sands Tat zumeist in positivem Licht dargestellt und nicht als die eines religiösen Eiferers kommuniziert wird, der in seiner Radikalität an moderne, selbsternannte Gotteskrieger erinnert.

Den Regierungen waren die Sympathien für Sand alles andere als geheuer. In einer Zeit, in der es immer wieder Attentate gab, nahmen sie Sands Tat zum Anlass, rigoros gegen Meinungsfreiheit, universitäre Lehrfreiheit und nicht zuletzt studentische Vereinigungen wie die Burschenschaften vorzugehen.

Die bekannten Karlsbader Beschlüsse vom September 1819 waren eine direkte Reaktion auf Sands Tat und die dadurch losgetretene öffentliche Diskussion. Sie sollten über Jahrzehnte das politische Klima vergiften und nicht zuletzt die Werte unterdrücken, für die Sand angab, getötet zu haben. Vor diesem Hintergrund hat Sand mit seiner Tat der liberalen Bewegung einen Bärendienst erwiesen.

Doch dies griff den "Mythos Sand" nicht an. Im Gegenteil, er ging als Vorkämpfer von nationaler Einheit und Demokratie in das öffentliche Geschichtsbild ein. Besonders in Mannheim, dem Ort der Tat, hatte er zahlreiche Sympathisanten. Und noch heute finden sich zuweilen frische Blumen auf seinem Grab auf dem Mannheimer Hauptfriedhof, das nur wenige Meter von der meist ungeschmückten letzten Ruhestätte seines Opfers entfernt ist.

Die Grabstätte von Karl Ludwig Sand auf dem Mannheimer Hauptfriedhof


Literatur: Harald Stockert, Tatort Mannheim. Der Mord von Sand an Kotzebue, in: Mannheimer Geschichtsblätter 38/2019, S. 69-84.