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Die ersten städtischen Privilegien Mannheims von 1607

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Privilegien

In wöchentlicher Reihenfolge geben wir auf unserem Blog einen Einblick in das laufende Publikationsprojekt zur Geschichte Mannheims: Grundlage bildet eine Vorlesung von Prof. Nieß zur „Geschichte Mannheims in 100 Objekten“, die er im Herbst 2018 an der Universität Mannheim gehalten hat. Der große Zuspruch dieser Vorlesung sowie der allgemeine Wunsch nach einem populären Einblick in unsere Stadtgeschichte bewog das MARCHIVUM zu diesem Buchprojekt. Ausgewählte Beiträge werden im Blog in Kurzform vorgestellt.

Titelseite der viersprachigen Schrift der „Freyheiten und Begnadigungen / welche der Durchleuchtigst hochgeborene Fürst und Herr / Herr Friderich Pfalzgraff bei Rhein / […] denjenigen, welche sich in Ihrer churfürstlichen Gnaden neuen Stadt und Festung Manheim häuslich niderzulassen gemeint / accordiert und bewilligt.“

Diese ersten Privilegien vom 24. Januar 1607 gelten zurecht bis heute als Gründungsdokument der Stadt. Sie werden im Originaldokument in Deutsch als „Freyheiten und Begnadigungen“ in anderen Sprachen als „Privilegien“ und „Immunitäten“ angesprochen. Stadt und Festung werden Mannheim genannt und den Einwohnern von Kurfürst Friedrich IV. in dreizehn Paragraphen zahlreiche Vorteile versprochen.

Dass die Schrift nicht nur die ehemaligen Mannheimer Dörfler ansprechen sollte, geht aus den vier Sprachen hervor, in denen der Druck verfasst wurde: neben Deutsch in Französisch, Niederländisch und Latein. Im Sinne der kurpfälzischen Politik sollen protestantische Glaubensflüchtlinge aus Frankreich und den Habsburgischen Niederlanden angeworben werden, um mit ihrem Fachwissen bezüglich Handel und Gewerbe die Entwicklung der neuen Stadt voranzutreiben. Der erste Paragraph enthält bereits ein großes Zugeständnis: „Erstens Sollen alle Underthanen diß orts aller Frohn gegen Churfürstliche Pfalz erlassen und befreyet seyn“. Der Kurfürst erläßt demnach seinen Untertanen jegliche Frondienste und damit auch Einsätze beim Bau der Stadtbefestigung. Viele ehemalige Dorfbewohner gehen auf das Angebot ein und nutzen die Privilegien zum eigenen Vorteil.

Der zweite Artikel unterstützt den Zuzug von Fremden nach Mannheim, indem diese von allen Gebühren und Zöllen befreit werden, welche gewöhnlich mit einem Ortswechsel und einer Niederlassung verbunden sind. Auch wird den Ansiedlern garantiert, dass sie ohne Schaden und Verlust innerhalb von 30 Jahren wieder fortziehen können, sollte das Leben in der Stadt nicht ihren Erwartungen entsprechen.

Mannheim präsentiert sich mit diesen Privilegien als offene Stadt, die ihren Neubürgern gute Chancen des sozialen und wirtschaftlichen Aufstiegs bietet. Alle Exulanten bekommen gemäß Artikel IV eine zwanzigjährige Steuerfreiheit auf alle ihre Güter garantiert, sie sollen „aller Schatzung frei sein“. Selbst pfälzische Untertanen erhalte diese Steuerfreiheit für ihre auf Mannheimer Gemarkung befindlichen Güter. Bauplätze werden gegen einen niedrigen jährlichen Bodenzins abgegeben (Artikel VI). Darüber hinaus ist der Zugang zu den im Neckartal vorhandenen Steinbrüchen und Wäldern für die neuen Bauherren kostenlos. Brechen, Fällen, Bearbeiten sowie Transport der Baumaterialien müssen sie allerdings selbst bezahlen (Artikel VII). Die nahe der Stadt errichtete kurfürstliche Ziegelei, die laut Artikel VIII über eine Kapazität von einer Million Ziegelsteinen pro Jahr verfügt, soll die gebrannten Steine an die Bürger “in einem billichen und leidlichen Tax”, also zu Niedrigpreisen verkaufen. Doch wird den Bauwilligen auch gestattet, eigene Ziegeleien und Kalköfen zu betreiben.

Wie in Frankenthal werden auch in Mannheim die Steuern auf Wein und Bier, das sogenannte Ungeld, sehr niedrig gehalten, Nahrungsmittel für den Eigenverbrauch sind sogar abgabenfrei (Artikel IX und X). Die wirtschaftlichen Versprechungen des Kurfürsten machen Hoffnung auf ein erschwingliches Leben und lassen Mannheim als attraktiven Ort für eine Niederlassung erscheinen. Zur Förderung des Handwerks in der Stadt wird außerdem die Ausfuhr von Wolle und Leder untersagt (Artikel XI). Um weitere Anreize für Zuwanderung zu bieten, versprechen die Privilegien in Artikel XII den Bau einer Walkmühle auf kurfürstliche Kosten und stellen in Artikel III den Kaufleuten in Aussicht, dass regelmäßig Marktschiffe nach Worms, Oppenheim, Mainz, Speyer, Heidelberg und andere Rhein- bzw. Neckarorte verkehren werden.

Abschließend kommen in den Privilegien die Religionsangelegenheiten zur Sprache. Jeder Neuankömmling sollte sich zu der „in Gottes Wort gründenden Religion“ bekennen, also dem in der Kurpfalz allein gültigen calvinistischen Glauben angehören. Dies impliziert, dass Lutheraner, Juden und Katholiken unerwünscht waren. Den calvinistischen Untertanen verspricht Friedrich IV. die Finanzierung von Pfarrern und Schuldienern und verbrieft auch für deren „Erben und Nachkommen“ die freie Religionsausübung.

Glaubt man den Privilegien, so gibt es eigentlich keinen Grund, nicht nach Mannheim zu kommen. Die guten Baubedingungen und die optimalen Handels- und Erwerbsmöglichkeiten bieten beste Voraussetzungen für ein Leben in Wohlstand und für die Blüte der Stadt. Trotz des 1613 zusätzlich gewährten Messeprivilegs, aus dem sich dann der bis heute in Mannheim beliebte Maimarkt entwickelt, können die „Freyheiten und Begnadigungen“ der Stadt vor dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr zur erhofften Blüte verhelfen. Das Leben in Mannheim sieht nicht so positiv aus, wie es gemäß den Privilegien erscheinen mag. Denn die Bürgerstadt stand allzu sehr im Schatten der Festung. Wenige Neubürger vertrauten der Sicherheit dieses Bollwerks, das im drohenden Krieg im Zentrum der Auseinandersetzungen stehen würde.

 

Foto-Ausstellung zu Maria und Hans Roden

Not macht bekanntlich erfinderisch. Da die Ausstellung "Alltagswelten einer Industriestadt. Fotografien von Maria und Hans Roden" im MARCHIVUM aufgrund der Corona-Situation aktuell geschlossen ist, öffnen wir sie für alle Interessierten im Internet. Einmal wöchentlich zeigen wir ausgewählte Einblicke in die Schau.

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