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Streifzüge zur "Pressetotografie" von den 1920er bis zu den 1960er Jahren - Ein Balanceakt zwischen Aufklärung und Voyeurismus

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Schwarz-Weiß-Foto

Die Anfänge und die rasante Entwicklung der Pressefotografie nahmen ihren Lauf in den 1920er Jahren, als der neue Typus des "rasenden Reporters" geschaffen wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg erreichte der Bildjournalismus einen weiteren Höhepunkt. Neben der "Human Interest Fotografie" bzw. der humanistischen Fotografie entwickelte sich ein neuer Typus von Fotografen, die seither lediglich den Schönen und Reichen auf den Fersen sind und die Klatschpresse füttern. In Fellinis Film "La Dolce Vita" wurden die Protagonisten jener Fotojagden 1960 erstmals "Paparazzi" genannt.

 

Bismarck auf seinem Totenbett – Vorläufer der Paparazzi

Dem seriösen Bildjournalismus steht die Jagd nach dem indiskreten Bild, der Eingriff in die private Sphäre, gegenüber. Nicht die Aufklärung von Fakten, sondern allein die Gier nach der Sensation und der reine Profit stehen im Vordergrund.

Einen Presseskandal löste im deutschen Kaiserreich das letzte Foto von Otto Fürst von Bismarck aus, das ihn auf seinem Totenbett in Friedrichsruh bei Hamburg zeigt. Diese Aufnahme wurde offiziell erst nach gut einem halben Jahrhundert in einer Zeitung, 1952 in Nummer 50 der "Frankfurter Illustrierten" veröffentlicht.

Bismarck auf dem Totenbett, 1898, Foto: Willy Wilke und Max Christian Priester

Paparazzi, obwohl dieser Begriff zu diesem Zeitpunkt noch nicht existierte, schmuggelten sich in Bismarcks Schlafzimmer. Sie hatten zuvor Bismarcks Förster und Ortsvorsteher Louis Spörcke bestochen, der den beiden Hamburger Fotografen Willy Wilcke und Max Christian Priester widerrechtlichen Zugang zum Sterbezimmer ermöglichte. Die beiden kletterten über die Fensterbank und drangen mit Kameraausrüstung in Bismarcks private Gemächer ein, um eine Magnesium-Blitzlichtaufnahme des Verstorbenen anzufertigen. Die Verbreitung des Bildes wurde verboten und die Negative und Abzüge beschlagnahmt.

Bismarck, der eiserne Kanzler, hegte bereits zu Lebzeiten Gedanken über das Recht am eigenen Bild, wenn er zu seinem Diener sagte: "Man ist jetzt gar nicht mehr sicher, die Kerle lauern einem überall auf mit ihren Knipsapparaten." Man wisse nicht, "ob man fotografiert oder erschossen wird".

Reichspräsident Friedrich Ebert – Zwischen Entehrung und Rufmord

Ein weiterer Fall, der zu einem Skandal eskalierte und die deutsche Nation zutiefst erschütterte, war ein Foto, das am 24. August 1919 auf der Titelseite der "Berliner Illustrierten Zeitung" erschien und Reichspräsident Friedrich Ebert gemeinsam mit dem Reichswehrminister Gustav Noske in Badehose zeigte. Aufgenommen hatte es Strandfotograf Wilhelm Steffen, der zuvor höflich um Erlaubnis einiger Souvenirfotos gebeten hatte, am Ostseestrand von Haffkrug in Schleswig-Holstein. Der Reichspräsident willigte unter der Bedingung ein, diese Fotos nur für private Zwecke zu verwenden und niemals zu veröffentlichen.

Friedrich Ebert und Wehrminister Gustav Noske. Aufnahmedatum: 15.05.1919, Fotograf: Wilhelm Steffen

Es wurde aber veröffentlicht. Die Folgen waren für Friedrich Ebert verheerend. Es begann eine öffentliche Schlammschlacht und Verleumdungskampagne, die die Ehre und Würde des Reichspräsidenten bis zu seinem Tode beschädigten. Dass ein hoher Amts- oder Würdenträger aus Politik nicht im Badekostüm, das züchtig Brust und Oberkörper bedeckt, sondern nur in einer einfachen Badehose abgelichtet wurde und somit fast nackt erschien, löste den Skandal aus.

Der neue Typ des "rasenden Reporters" in den 1920er Jahren

Als besonderer Zweig der dokumentarischen Fotografie entwickelte sich in den 1920er Jahren rasant die Pressefotografie. Sie ist ein Produkt der neuen technischen Druckmöglichkeiten wie die sofortigen Fotodrucke in Zeitungen ab Ende des 19. Jahrhunderts. Der Beruf des Fotoreporters oder Pressefotografen etablierte sich, unterschied sich jedoch ein wenig von der Technik der anderen Berufsfotografen. Ein Fotoreporter musste in Hinblick auf Geschicklichkeit, Schnelligkeit, Zeitmanagement, Kühnheit, subjektive Sicht für ungewöhnliche Ereignisse und die nahtlose Zusammenarbeit mit der Zeitungsredaktion neue Anforderungen erfüllen. Spektakuläre Ereignisse sollten in Bildern festgehalten werden.

Ein Hauptvertreter dieser reinen Boulevardpresse war der amerikanische Fotograf Weegee (Arthur "Weegee Fellig", 1899-1968), geboren als Ascher Fellig, der ab Mitte der 1930er Jahre obsessiv sensationellen Ereignissen wie Gewaltverbrechen, Brandkatastrophen und Verkehrsunfällen in New York mit seiner Kamera nachjagte.

Buchumschlag von "Weege: Murder is My Business", hg. von Brian Wallis, 2013

Gegenspieler von Weege war Dr. Erich Salomon (geboren 1886, 1944 in Auschwitz ermordet), ein deutscher Jurist und Fotograf. Er gilt als Vater des modernen, investigativen Bildjournalismus. Mit dem vorhandenen Licht, dem "Available Light", gelangen Salomon sensationelle, authentische Aufnahmen von Politikertreffen, Gerichtsszenen, Portraits von Wissenschaftler*innen und Schauspieler*innen.

Erich Solomon mit seiner lichtstarken Ermanox, Selbstportrait, Urheberrechte inzwischen erloschen, Berlinische Galerie, 1930er

Pressefotografie der Nachkriegszeit zum Bilderarchiv von Maria und Hans Roden im MARCHIVUM

Hochseiltänzer, 1949, Foto: Hans und Maria Roden

Das Plakatmotiv zur Ausstellung zum Bilderarchiv von Maria und Hans Roden im MARCHIVUM lädt zu verschiedenen Betrachtungsebenen über das Wesen des Fotojournalismus ein.

Der Balanceakt des Hochseiltänzers kann mit der Arbeit des Pressefotografen verglichen werden, der tagtäglich erneut auf die Probe gestellt wird, Augenblicke fotografisch festzuhalten, die zwischen Aufklärung, Wahrhaftigkeit und einem kruden Voyeurismus gespickt mit Fake News, Sex and Crime schwanken.

Die Geburtsstunde des Paparazzo-Begriffs in Fellinis Film "La dolce vita"

Der italienische Filmregisseur Frederico Fellini setzte 1960 in seinem Film "La Dolce Vita" ("Das süße Leben") den aufdringlichen Fotoklatschreportern, die Tag und Nacht auf der Suche nach frischer Beute, nach den Reichen, Schönen und Berühmtheiten sind, ein Denkmal. Der Held im Film Marcello, ein römischer Klatschjournalist, wird stets begleitet von einem Fotoreporter namens Paparazzo, gespielt von Walter Santesso, der Fotos von den Prominenten macht, die Marcello interviewt. In den frühen 1960er Jahren verfolgten diese Fotografen auf ihren Motorrädern Prominente, um den Magazinen Bildfutter anzubieten, die sich genau auf die Welt der Fürsten- und Königshäuser, der oberen Zehntausend, die Welt des Glamours und Showbusiness kaprizierten.

Schnappschüsse, die das Leben der Stars tragisch veränderten

Marilyn Monroe – Das verflixte 7. Jahr 1954/55

Im Film "Das verflixte 7. Jahr" unter der Regie von Billy Wilder gibt es eine ikonische Szene, die in die Filmgeschichte einging: Marilyn geht über ein U-Bahn-Lüftungsgitter und der Rock ihres weißen Cocktailkleids wird in die Luft gewirbelt. Die Außenaufnahmen zu dieser Szene fanden in New York am 15. September 1954 um 1.00 Uhr morgens statt. Während dieser Szene versammelten sich Fotografen, die Billy Wilder für Werbezwecke eingeladen hatte. Zu den Fotografen gesellten sich jedoch 2.000 bis 5.000 Schaulustige, die dabei jubelten. Am 5. Oktober 1954 erschien folgende Schlagzeile in "The Daily News": "Marilyn trennt sich von Joe nach den aufreizenden Fotos".

Der Paparazzo als Opfer und Star

Zwischen Fotografen, Stars und Künstlern besteht ein schwieriges und angespanntes Verhältnis, wenn nicht gar eine Hass-Liebe. Einerseits verhelfen die Fotografen durch ihre Aufnahmen dem Star zu großer Publicity und Popularität, andererseits verfolgen sie ihre Beute wie Stalker. Und manchmal werden die Jäger auch zu Opfern, wenn die bedrängten Stars zuschlagen, wie im Fall von Marlon Brando, der Ron Galella, ein typischer Stalker-Paparazzo, mit einem einzigen Schlag fünf Zähne ausschlug und dabei den Kiefer brach. Seitdem trug Galella stets einen Eishockeyhelm, wenn er Marlon Brando mit seiner Kamera auflauerte.

Dieser Beitrag ist die gekürzte Version des Festvortrags, den der Autor anlässlich der Verleihung des Mannheimer Pfennings an Prof. Dr. Hermann Wiegand am 15. Februar 2020 im MARCHIVUM hielt.

 

Die Mannheimer Sackträger

Sackträger sind meist an Warenumschlagplätzen zu verorten, seien es Märkte wie z. B. in Herdegen oder an Häfen wie z. B. in Neuss, Frankfurt oder Mannheim. Sie wurden gebraucht, um Waren von Wagen oder Schiffen auf- oder abzuladen und zu befördern. Ihre erste Erwähnung für Mannheim findet sich in den "Instruktionen für Sackträger auf dem Fruchtmarkt" von 1789.

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