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Gefangen hinter Stacheldraht! Das Gefangenenlager Mannheim im Ersten Weltkrieg

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Sepia-Foto der Außenansicht des Lagers

Der Erste Weltkrieg gilt nicht nur als "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts", sondern brachte auch die Kriegsgefangenschaft als Massenphänomen von unbekanntem Ausmaß hervor: Es entstand das erste große Lagersystems des 20. Jahrhunderts.

Bereits im Jahre 1914 entstanden die ersten Kriegsgefangenenlager für gefangene Mannschaftssoldaten im Großherzogtum Baden, vor allem in Heuberg und Anfang 1915 in Rastatt. Mit der Errichtung eines Gefangenenlagers für kriegsgefangene Soldaten auf dem alten Exerzierplatz im Jahre 1915 wurde Mannheim Teil des großen Lagersystems.

In der ersten Hälfte des Jahres 1915 spitzte sich die Situation in der badischen Landwirtschaft allmählich zu. Seit Monaten beobachteten die badischen Landwirte den Einsatz von Kriegsgefangenen in Bayern, Hessen und Württemberg, zudem unter günstigeren Bedingungen, da das Großherzogtum Baden Grenzland war. Bereits die Frühjahrbestellung 1915 konnte nur unter großen Schwierigkeiten geleistet werden, da ständig Einberufungen zum Militärdienst stattfanden. Diese Situation spiegelte sich auch in der Mannheimer Industrie wider.

Lage des Exerzierplatzes und des Kriegsgefangenlagers im Ersten Weltkrieg; bearbeitet von Doreen Kelimes

Am 1. Juli 1915 genehmigte der Stadtrat unter Vorsitz von Oberbürgermeister Dr. Theodor Kutzer und den Bürgermeistern Eduard von Hollander und Dr. Julius Finter einstimmig die pachtfreie Überlassung des größeren Teils des alten Exerzierplatzes und eines Teils des Grundstücks Nr. 1081 in der 9. Sandgewann an die Militärverwaltung zur Errichtung eines Gefangenenlagers für 10.000 gefangene Russen. Laut vorläufigen Kostenvoranschlags vom 3. November 1915 betrugen die Baukosten 1.200.000 Mark. Das Lager, welches nach dem Grundsatz einer Platzanlage im Viereck aufgebaut wurde, umfasste drei Teile: die Lagerbauten für die Gefangenen, die Baracken für die Bewachungsmannschaften und das Kriegsgefangenenlazarett.

Außenansicht des Kriegsgefangenenlagers, 1917

Nach jetzigem Forschungsstand waren im Stammlager Mannheim ungefähr 23.525 Gefangene bis Oktober 1918 untergebracht. Lange blieben die Franzosen und die Russen die einzigen beiden großen Gefangenentruppen im Mannheimer Gefangenenlager. Während in Rastatt vorwiegend Ukrainer untergebracht wurden, zählten zu den Gefangenen in Mannheim vor allem die Großrussen. Ab 1916 kamen dann Engländer und Belgier hinzu; ab 1917 zählten auch Italiener und wenige Amerikaner zu den Gefangenen, ebenso wie Rumänen und Serben, die vor allem für einen Einsatz in den landwirtschaftlichen Arbeitskommandos in die Stadt überführt wurden.

Französische Kriegsgefangene im Lager Mannheim, um 1918

Insgesamt sind im Lager Mannheim bisher 755 Sterbefälle bekannt. Angesichts der relativ hohen Anzahl der Kriegsgefangenen beträgt die Sterberate nur drei Prozent. Die Sterbeursachen waren vielfältig: Sie reichten von Lungenerkrankungen, allgemeiner Schwäche, Darmerkrankungen und Magenleiden. Die meisten Sterbefälle sind durch Grippeerkrankungen zu verzeichnen.

Der Artikel 6 der Haager Landkriegsordnung sah folgendes vor: "Der Staat ist befugt, die Kriegsgefangenen nach ihrem Dienstgrad und nach ihren Fähigkeiten als Arbeiter zu verwenden. Diese Arbeiten dürfen nicht übermäßig sein und in keiner Beziehung zu den Kriegsunternehmungen stehen."

Beim Arbeitsdienst, den die Kriegsgefangenen zu leisten hatten, unterschied man den Arbeitsdienst im Stammlager und den Einsatz in den auswärtigen Arbeitskommandos. Maßgebend für den Einsatz wurde die Auswahl der Gefangenen auf Basis ihrer beruflichen Qualifikationen und ihres Gesundheitszustands getroffen. In den ersten Kriegsmonaten wurden die Kriegsgefangenen vor allem im Lagerdienst eingesetzt. So halfen diese bei der Instandsetzung von Kriegsgefangenenlagern und deren Ausbau. Auch im Lager kamen die Gefangenen bei allgemeinen Lagerarbeiten zum Einsatz: Sie umzäunten das Lager, ebneten den Boden ein, bauten Baracken oder ihnen wurden Aufgaben innerhalb des Lagerbetriebs zugeteilt, wie z. B. als Helfer beim Kartoffelschälen, Kohlenabladen, Brot- und Essenfassen, Abholen der Post- und Paketsendungen sowie beim Kammer- und Küchendienst.

Darüber hinaus arbeiteten sie im Ordnungsdienst, in der Desinfektion oder in den lagerinternen Handwerksstuben. Im Postdienst und in der Briefverteilung wurden vor allem die französischen Gefangenen eingesetzt. Gelernte Facharbeiter wurden als Schuhmacher, Schneider und Tischler in den Lagerwerkstätten beschäftigt und führten vor allem alle Reparaturen im Lager selbst aus, u.a. das Reparieren von Schuhen. Der Arbeitsdienst von Kriegsgefangenen im Lager hatte vor allem das Ziel, die Lagerkosten zu senken, aber auch die Disziplin und Ordnung im Lager zu gewährleisten.

In den Jahren 1915 bis 1918 herrschte in Mannheim ein ständiger Mangel an Arbeitskräften: Auf dem Land fehlten vor allem Erntehelfer und in der Industrie sowie im Handwerk Fachleute, und es begann der sukzessive Einsatz von Kriegsgefangenen als Arbeitskräfte. Gemäß den vorliegenden Zahlen vom 28. April 1917 wurden von insgesamt 15.954 dem Lager Mannheim zugewiesenen Kriegsgefangenen zwei Drittel zu den auswärtigen Arbeitskommandos abkommandiert. Mit der Verteilung von Kriegsgefangenen auf auswärtige Arbeitskommandos kam es zu einem Wandel in der Funktion der Stammlager: Vor allem ab 1916 waren diese nur noch für die Aufnahme von neuen Kriegsgefangenen, für die Kranken im Lazarett, zur Entlausung oder für die Unterbringung der Arbeitsuntauglichen vorgesehen.

Kriegsgefangene bei landwirtschaftlichen Arbeiten an der Strohpresse, um 1916

Nicht wenige Kriegsgefangene wurden dem Handwerk, Gewerbe und den gemeinnützigen Tätigkeiten zugänglich gemacht. Hier wurden diese bei Schustern, Gärtnern, Bäckereien oder auch Friseuren angestellt. Darüber hinaus waren die Gefangenen auch in der Städtischen Kriegsküche angestellt, beim Großherzoglichen Hof- und Nationaltheater, bei der Stadtgärtnerei mit 88 Kriegsgefangenen und sogar beim Roten Kreuz in Mannheim, bei dem 40 Kriegsgefangene untergebracht wurden. 

Auch die Stadt Mannheim beschäftigte ein eigenes Arbeitskommando Nr. 14 J mit 23 Kriegsgefangenen beim Städtischen Straßenbahnamt. Die Gefangenen waren vor allem Schlosser und halfen bei der Wartung und Instandsetzung von Straßenbahnwagen und Gleisen. Die Verköstigung der Kriegsgefangenen, die beim Straßenbahnamt eingesetzt wurden, wurde durch die Volksküche III Neckarstadt sichergestellt. Die Verpflegung von Gefangenen hatte nach den gleichen Grundsätzen wie in den Lagern, der zu leistenden Arbeit entsprechend reichlich und sättigend, jedoch durch einfache Kost zu erfolgen. Dabei musste die Kost aus einer Morgen-, Mittags- und Abendmahlzeit bestehen, die nicht nur den beschäftigten Kriegsgefangenen, sondern auch den Wachmannschaften und den Hilfsmannschaften, die zur Bewachung herangezogen wurden, gereicht wurden.

Russische Kriegsgefangene als Arbeiter auf dem Werksgelände der Firma Mohr & Federhaff,1917

Einen weiteren Einsatz fanden Kriegsgefangene in der Mannheimer Industrie. Zu benennen sind hier vor allem Joseph Vögele Mannheim, Unionwerke A.G. Mannheim, Bopp & Reuther Mannheim-Waldhof sowie das Heddesheimer Kupferwerk, die ein eigenes Arbeitskommando anstellten. Die Rheinische Gummi- und Celluloid-Fabrik in Mannheim-Neckarau beschäftigte das Arbeitskommando 343 J mit 21 Kriegsgefangenen. Die Firmen Grün & Bilfinger beschäftigten mindestens sechs Kriegsgefangene sowie Brown, Boveri & Co. in Mannheim-Käfertal mindestens 46 Kriegsgefangene. Bei der Mannheimer Maschinenfabrik Mohr & Federhaff wurden ca. 25 russische Kriegsgefangene als Arbeitskommando beschäftigt. Die Arbeitgeber, die Kriegsgefangene beschäftigten, mussten deren Bewachung gewährleisten und sich um die Minderung der Fluchtgefahr kümmern. Oft wurden für die Gefangenen in den Betrieben Unterkünfte geschaffen, wo sie auch verköstigt wurden. Bei Betrieben, die keine Unterkunft stellten, wurden die Gefangenen seit der ersten Hälfte des Jahres 1916 mit der Straßenbahn befördert.

Das Kriegsgefangenenlager Mannheim für die feindlichen Soldaten bestand bis Dezember 1918, und danach begannen die ersten Umbau- und Renovierungsmaßnahmen, um das Lager für die Rückkehr der heimkehrenden Soldaten vorzubereiten. Das ehemalige Kriegsgefangenenlager übernahm somit die Rolle eines Durchgangslagers für heimkehrende deutsche Kriegsgefangene aus englischen und französischen Lagern.

Im Jahre 1919 wurden auch die ersten Notwohnungen, u.a. für heimkehrende Kriegsgefangene sowie die elsass-lothringischen Flüchtlinge, in den Baracken des ehemaligen Gefangenenlagers eingerichtet. 1920 sah die Stadt Mannheim vom Kauf des ganzen Gefangenenlagers in Höhe von 5.690.000 Mark ab.  Als in den 1920er Jahren der sukzessive Rückbau und die damit einhergehende Einebnung des alten Exerzierplatzes begann, verschwand die Erinnerung an die Kriegsgefangenen in Mannheim während des Ersten Weltkriegs auch aus dem historischen Gedächtnis der Stadt.


Auszug aus dem Beitrag der Mannheimer Geschichtsblätter 40, 2020. Der Beitrag präsentiert erste Forschungsergebnisse des laufenden Dissertationsprojekts "Das Mannheimer Kriegsgefangenenlager im Ersten Weltkrieg (Arbeitstitel; 1914-1919)".

Aennie Häns – Porträt einer Ballettmeisterin und Primaballerina

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfuhr das Mannheimer Ballett erste belebende Impulse. Bis dato wurde der Bühnentanz am Großherzoglichen Hof- und Nationaltheater vor allem durch die Ballettmeisterinnen Louise Dänike von 1889 bis 1901 und Fernande Robertine von 1901 bis 1904 geprägt. Im Jahr 1908 engagierte der Intendant Dr. Carl Hagemann die Tänzerin Aennie Häns, die dem Bühnentanz eine „neue Natürlichkeit“ verleihen sollte.

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