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"... den Jungen die Köpfe verwirrt": Fußball in Mannheim

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Fußballmatch des SV Waldhof

Am 20. August 1913 wartete der Mannheimer Generalanzeiger mit einer Neuheit auf: Erstmals bot das Blatt seinen Lesern einen täglichen Sportteil, der unter dem anspruchsvollen Titel "Tägliche Sport-Zeitung" firmierte.

Ein Spezial-Mitarbeiter berichtete von nationalen Ereignissen im Pferde- oder Radsport, vom neuen deutschen Rekord im 400-m-Hürdenlauf (60,4 Sekunden durch den Berliner Karl Weitling), aber auch von örtlichen Vereinen, etwa über das bevorstehende Fußballspiel des VfR Mannheim gegen den VfB Stuttgart. Eine derart großflächige Berichterstattung wäre 30 Jahre vorher undenkbar gewesen.

Noch zu Beginn der 1880er Jahre fristete der Sport ein Mauerblümchendasein, galt er doch als verpönte Freizeitbeschäftigung von Schülern und Halbwüchsigen. Dabei hatte die Sportbewegung schon in den 1860er Jahren begonnen, von England aus auf den Kontinent überzugreifen. Recht rasch geriet sie dabei in Konflikt zur etablierten Turnergemeinde. Während Turnen als deutsche Leibesübung zur allgemeinen Ertüchtigung von Körper und Geist galt, stand beim Sport der regelmäßige Wettkampf und Leistungsvergleich im Vordergrund, was als fremdländisch empfunden wurde.

Insbesondere Vereinsfunktionäre, aber auch viele Turnlehrer versuchten daher, Sport in den Vereinen, aber auch auf dem Schulhof zu verhindern – womit sie allerdings letztlich scheiterten. In Mannheim waren es die Ruderer und Radfahrer, die seit den 1870er Jahren mit ersten eigenen Vereinsgründungen hervortraten. Vergleichsweise spät hielt Fußball Einzug – anders als etwa in Karlsruhe, das bereits um 1890 zu den Hochburgen des Spiels mit der Lederkugel gehörte. Um 1892 kickten erstmals Schüler der Mannheimer Realschule, 1896 schlossen sie sich mit einigen Realgymnasiasten in der Mannheimer Fußball-Gesellschaft 1896 (MFG 1896) zusammen.

In den folgenden Jahren kam es zu weiteren Vereinsgründungen, so dass ab 1897 vermehrt Spiele auf dem Exerzierplatz und im Luisenpark stattfinden konnten. Wie viele andere Sportarten blieb auch Fußball zunächst ein Zeitvertreib vor allem junger Bürgersöhne. Dies hatte seine Ursache in den Kosten der Ausrüstung (z.B. Fußballschuhe, Trikot), aber auch im Zeitaufwand, der von Arbeitern angesichts eines Zehn- bis Zwölfstundentags in der Fabrik schwerlich erbracht werden konnte.

Fußball tat sich in Mannheim in seinen ersten Jahren recht schwer. Ein Problem war vor allem die Platzfrage, da der Exerzierplatz vorübergehend an eine Schäferei verpachtet wurde. Entlastung gab es erst, als 1904 die MFG 1896 bei der Eichbaum-Brauerei sowie der Mannheimer Fußball-Club (MFC) Viktoria an der Rennwiese eigene Plätze bekamen. Auch hatten die Mannheimer Vereine erst 1902 mit ihrem Beitritt zum süddeutschen Verband ein dauerhaftes organisatorisches Rückgrat erhalten.

Das Stadtjubiläum 1907 brachte schließlich den Durchbruch: So ließ es sich der Deutsche Fußballbund nicht nehmen, seinen Bundestag in der Jubiläumsstadt auszurichten. Außerdem fand hier das Endspiel um die Deutsche Fußballmeisterschaft zwischen dem Freiburger FC und Viktoria Berlin (Endstand 3:1) statt. Darüber hinaus organisierte die MFG 1896 mehrere Freundschaftsspiele, unter anderem gegen den englischen Meister Newcastle United. Viel wichtiger als das Ergebnis (0:5) war dabei die Tatsache, dass dem Spiel nahezu 5.000 Zuschauer beiwohnten – der bis dato größte Publikumserfolg des Fußballs in Mannheim.

SV Waldhof, Ligamannschaft, 1927/28

Diese Großveranstaltungen verstärkten den Fußballboom vor Ort, der sich 1907 im Entstehen weiterer Vereine niederschlug. Am nachhaltigsten sollte sich hierbei die Gründung des SV Waldhof erweisen, in dem erstmals vor allem Arbeiter zusammenfanden. Auch der leidige Konflikt zwischen Turnen und Sport endete 1907 – jedenfalls in den Schulen – mit einem Kompromiss. So hatte Stadtschulrat Anton Sickinger seit längerem die Meinung vertreten, dass die positiven Auswirkungen von Turnen und Spiel auf Körper und Geist allen Schülern zugute kommen sollten. Beides – so die Vorgabe – galt es, künftig im Unterricht zu praktizieren, wovon unter anderem der Fußballsport entscheidend profitierte.

Mannschaft des SV Waldhof vor dem Spiel um die süddeutsche Meisterschaft, 1920

In den Folgejahren kam es zu weiteren Vereinsgründungen. 1911 schließlich schlossen sich die MFG 1896, der MFC Viktoria, die MFG Union sowie der Sportklub Germania zum Verein für Rasenspiele (VfR) Mannheim zusammen. Von dieser Fusion erhoffte man sich eine stärkere Rolle auf süddeutscher wie nationaler Ebene, aber auch die Lösung der erneut aufgetretenen Platzprobleme durch einen Stadionneubau in Neuostheim. Der VfR Mannheim war 1913 der größte Fußballverein der Stadt und der zweitgrößte in Deutschland; mit knapp 1.100 Mitgliedern befand er sich 1913 fast auf Augenhöhe mit dem Turnverein 1846, dem größten Mannheimer Verein.

Knapp 20 Jahre nach seinem Einzug in der Stadt war Fußball aus Mannheim nicht mehr wegzudenken. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verschob jedoch nicht nur den ersten Spatenstich für das neue Stadion, er stoppte auch den Aufwärtstrend des Fußballs – jedoch nur vorübergehend: In den 1920er Jahren wurde Fußball endgültig zum Massensport und blieb es bis heute.

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