Breadcrumb-Navigation

"Für Vaterland und Freiheit" - Die Anfänge des Turnens in Mannheim

Kategorien
schwarz-weiß Zeichnung mit Turnern bei ihren Übungen, 1814

Der TSV Mannheim von 1846 begeht dieses Jahr sein 175-jähriges Jubiläum. Wenn auch unter den Bedingungen der Pandemie von Feiern kaum die Rede sein kann, sollte bei dieser Gelegenheit doch an die traditionsreiche Geschichte dieses ältesten und größten Turn- und Sportvereins erinnert werden, dessen Entwicklung stets eng mit der Geschichte der Stadt Mannheim verknüpft war.

Die ersten 100 Jahre seiner Existenz firmierte er als Mannheimer Turnverein, die ersten 50 Jahre als reiner Männer-Turnverein. Sport hielt erst ab etwa 1875, Frauenturnen ab 1900 nach und nach Einzug.

Gegründet wurde der Turnverein 1846 in politisch stürmischen Zeiten vor der Märzrevolution des Jahres 1848, viele seiner Mitglieder, darunter die bekannten Freischarenführer Gustav Struve und Friedrich Hecker, waren in die revolutionäre Bewegung eingebunden, deren Ziel ein einiges, freies und demokratisches Deutschland war, in den Begriffen der Zeit, ein freies Vaterland, organisiert als "volksthümlicher Freistaat", nämlich als demokratische Republik. Dass es anders gekommen ist, wurde vielfach beschrieben.

Die Turnbewegung war eine politische Bewegung. Doch soll hier nicht die wechselvolle Geschichte dieses Vereins nachgezeichnet werden. Die Geschichte des Turnens in Mannheim reicht weiter zurück, wie jüngst aufgefundene Dokumente belegen. Bereits dreißig Jahre zuvor gab es in Mannheim einen Turnplatz, und das Turnen war auch da schon politisch motiviert.

Die nach dem Mordanschlag des Burschenturners Karl Ludwig Sand auf den Lustspieldichter und russischen Agenten August von Kotzebue am 23. März 1819 in Mannheim zusammengestellte "Central-Commission zur Untersuchung hochverrätherischer Umtriebe in den deutschen Staaten" berichtete über einen Turnplatz in Mannheim, der von einem "gewissen Turnlehrer Menges" geleitet wurde.

Gesetze der Mannheimer-Turnanstalt

Mehr zweihundert Jahre lagen die "Gesetze der Mannheimer Turn-Anstalt" vergraben in den Akten des Bonner Turnlehrers Baumeister im Geheimarchiv des preußischen Staates. Nun konnten sie zum ersten Mal ausgewertet werden.

Der zum Thema im MARCHIVUM gehaltene Vortrag analysierte die Turnbewegung im Rahmen der politischen Bewegung zur Zeit der napoleonischen Kriege und der Anfänge der liberal-demokratischen Bestrebungen der bürgerlichen Opposition, in die die Mannheimer Turner sicher einbezogen waren. Enge Kontakte bestanden zu Heidelberger Studenten, unter ihnen der Mannheimer Karl Gustav Jung, der nach Beendigung seiner Studien in Berlin zum Freundschaftskreis von Friedrich Ludwig Jahn, dem Verleger Georg Andreas Reimer und Pastor Schleiermacher zählte. Turnlehrer Menges war Tanzmeister am Mannheimer Hoftheater und hat seinen Angaben nach bereits ab 1814 einen Turnplatz betrieben, der damit der älteste im südlichen Deutschland gewesen sein dürfte.

Die Turngesetze sind im Wesentlichen Verhaltensanweisungen auf dem Turnplatz, treffen aber auch Aussagen, wofür die (männliche) Jugend für das Turnen zu begeistern sei:
Neben den gesundheitlichen Auswirkungen von Bewegung, nämlich der Erholung des Körpers "von der Arbeit des Geistes", diene sie dazu, den Körper "kräftig, stark, tüchtig und dauerhaft zu machen, würdig, daß eine große Seele ihn bewohne". Daneben würden bürgerliche Tugenden, Pünktlichkeit, Sitte, Anstand und Respekt ebenso erwartet, wie die Achtung der Gesetze und Gehorsam gegenüber dem Turnlehrer, sowie gegenseitige Eintracht und Freundschaft. Alle Ziele sind in diesem einen Satz gebündelt: "Vaterlandsliebe, Freude, Muth, Wahrheitsliebe, Ordnungssinn und Bescheidenheit, diese sind des Turnplazes [!] schützende Geister, und jeder Turner soll sie tief in seinem Herzen tragen und bewahren."

Turnübungen aus dem Lehrbuch von Bornemann

Wer sich früh an die Befolgung der Gesetze gewöhne, werde "einstens ein ruhiger, und dennoch kräftiger Bürger, ein friedlicher Unterthan, aber in den Zeiten der Gefahr dennoch ein wackrer Vertheidiger des Vaterlandes, kurz ein brauchbares und nüzliches [!] Glied des Staates". Das brüderliche "Du" im Umgang und die geforderte einfache Leinentracht beim Turnen weisen auf die Verbindung zu Jahn und zum Berliner Turnplatz, an dem sich die Turnpraxis orientierte. Anfänglich dürfte sich Menges an Bornemanns Lehrbuch von 1814 gehalten haben, dem die Abbildungen für Ausstattung von Turnplätzen und den zugehörigen Turnübungen entnommen sind.

Die Turnbewegung wurde wegen ihrer politisch-liberalen Bestrebungen unterdrückt, viele ihrer Mitglieder verfolgt, darunter der Mannheimer Mediziner Jung, dessen Lebenslauf in die Schweizer Emigration nachverfolgt wird.

Anmerkung:
Dieser Beitrag ist die gekürzte Fassung eines Vortrags, der von dem Verfasser im Juni 2021 im MARCHIVUM gehalten wurde.

alles zum Thema: Stadtgeschichte, Turnen

Momentaufnahme van Deyl'scher Plan

Eines der bekanntesten Mannheimer Dokumente aus dem 17. Jahrhundert ist ein Stadtplan, den Jacob van Deyl erstellt hat. Darin werden alle, die am 4. April 1663 ein Grundstück in der Stadt Mannheim besessen haben, namentlich aufgeführt. Diese Quelle wurde schon vielfach ausgewertet und ist natürlich ein wertvolles und sprechendes Dokument. Aber sie ist nur eine Momentaufnahme, wie schnell zu erkennen ist, wenn andere Quellen hinzugezogen werden. Das wurde bisher für Einzelaspekte, aber noch nicht systematisch gemacht, da der notwendige Arbeitsaufwand dafür immens ist und sich erst mit modernen Mitteln der Datenverarbeitung besser in den Griff bekommen lässt.

Ganzer Beitrag