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"Kunst für jedermann" - zur Entwicklung des Plakats

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schwarz-weiß Fotografie einer Litfaßsäule mit der Börse in E 4 im Hintergrund, 1906

Im 17. und 18. Jahrhundert war der Anschlag noch reines Informationsmedium, auf Form und Gestaltung wurde kaum Wert gelegt, was zählte, war die nüchterne Nachricht: Welche Preise für Brot, Fleisch, Holz etc. zeigt die Markttaxe heute an, wann kommt die Wanderbühne endlich nach Mannheim. Das war von Interesse.

Dann erlebte der Schriftanschlag in der Revolution 1848/49 eine Blüte, als die Pressezensur aufgrund öffentlichen Drucks zunächst gelockert wurde, ein Entscheid, den die Oberen mit Niederschlagung der Aufständischen jedoch sofort wieder einkassierten.

In kunsthistorischer Hinsicht entwickelte sich der Schriftanschlag Ende des 19. Jahrhunderts hin zum Bildplakat, wie es uns bis heute vertraut ist. Die Voraussetzung dafür war die Erfindung des Steindrucks bzw. der Lithographie Ende des 18. Jahrhunderts. Ohne die Lithographie und deren Fortentwicklung wären höhere Plakatauflagen mit qualitätsvollen Farbbildern nicht möglich gewesen. Für den Buchdrucker und Buchhändler Ernst Litfaß war damit das Terrain bereitet, seine nach ihm benannten Säulen erstmals 1855 in Berlin aufzustellen. Vorbilder für sie gab es bereits in London und Paris. Für Mannheim informiert der Verwaltungsbericht, dass man zwar schon für das Jahr 1885 Litfaßsäulen geplant hätte, sie aber doch erst 1891 zur Aufstellung kamen.

Litfaßsäule vor der Börse in E 4, 1906

Dann tauchte mit der Industrialisierung und der Entdeckung des Arbeiters als Konsument in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Produktwerbe- oder Wirtschaftsplakat auf. Und mit der Demokratisierung nach Ende des Ersten Weltkriegs erschien – neben dem Produktwerbeplakat und Kulturplakat für Theater, Kabarett oder Kino – das politische Plakat vielfacher Couleur auf der Bühne der Litfaßsäule.

Werbeplakat "Palmin und Palmona" des Künstlers Ivo Puhonny, 1911

Schon seit der Wende vom 19. zum 20 Jahrhundert hatten sich Plakattheoretiker und später Werbepsychologen des Plakats als Medium angenommen. Sie entwickelten formale Eigenschaften für ein wirkungsvolles Plakat: etwa schnelle Lesbarkeit, dynamische Komposition und expressive Linienführung bei farblicher Korrespondenz von Schrift- und Bildteil; ferner sei die Verwendung von Stereotypen hilfreich. In der NS-Zeit wurden Stereotype dann allerdings in höchstem Maße pervertiert, man denke an die bösartige Karikatur des kapitalistischen Juden.

Davon noch unberührt konnte der renommierte Plakatkünstler Julius Klinger 1912 prognostizieren, "daß unsere Arbeiten in 50 oder 100 Jahren starke Kulturdokumente sein werden für die Art, wie der Kaufmann … seine Waren anpries." In der Weimarer Republik, in der NS-Zeit und auch späterhin kamen die politischen und kulturellen Plakate hinzu. Ja, Leonetto di Cappiello, der als Vater der modernen Plakatwerbung angesehen werden kann – dessen Arbeiten bis ca. 1900 zurückreichen –, sah im Plakat die Möglichkeit, der "Masse" die Kunst zu entdecken. Korrespondierend schilderte Louis Sponsel 1897 in seiner Schrift "Das moderne Plakat", auf welche Weise es zum mächtigsten Agenten in der Erziehung des Volks zur Kunst werden könne. Und es war Fritz Wichert, Direktor der Mannheimer Kunsthalle, der diesen Gedanken aufgriff und 1911/12 erstmals eine vielbeachtete Plakatausstellung ausrichtete. Ja, er sah in der Lifaßsäule sogar Potential für eine "Ausstellung im Freien", zu einem "Freiluftmuseum" – und damit zu einer "Kunst für jedermann".

Plakat "Süd-Deutschland-Flug" des Künstlers Wilhelm Morano, 1926

Die Plakatsammlung des MARCHIVUM umfasst derzeit fast 16.000 Stücke insbesondere von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die aktuelle Gegenwart. Darunter befinden sich viele Anschläge aus der 1848/49er Zeit, der Weimarer Republik und der NS-Zeit. Es handelt sich durchgängig um Originale, die den Zweiten Weltkrieg durch Auslagerung in ein Salzbergwerk bei Heilbronn überdauert haben. Die gesamte Sammlung liegt digital zur Nutzung vor.

Weiterführende Literaturhinweise:

Hanspeter Rings, Kunst für jedermann. Die Entwicklung des Plakats zwischen 1914 und 1933. In: Mannheimer Geschichtsblätter. Neue Folge, Bd. 12/2005: S. 207 – 226.
Hanspeter Rings, Geht runter wie Öl: Palmin-Plakat neu in der Sammlung des Stadtarchivs – Institut für Stadtgeschichte. In: ebd., S. 291 - 296.

alles zum Thema: Plakatkunst, Stadtgeschichte