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Aennie Häns – Porträt einer Ballettmeisterin und Primaballerina

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Portrait einer jungen Frau mit mittellangem, dunklem Haar. Im Profil fotografiert.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfuhr das Mannheimer Ballett erste belebende Impulse. Bis dato wurde der Bühnentanz am Großherzoglichen Hof- und Nationaltheater vor allem durch die Ballettmeisterinnen Louise Dänike von 1889 bis 1901 und Fernande Robertine von 1901 bis 1904 geprägt. Im Jahr 1908 engagierte der Intendant Dr. Carl Hagemann die Tänzerin Aennie Häns, die dem Bühnentanz eine „neue Natürlichkeit“ verleihen sollte.

Aennie Häns, bürgerlich Maria Anna Häns, wurde am 14. Oktober 1883 als Tochter des Schuhmachers Xaver Häns und dessen Ehefrau Marie Hödle in Karlsruhe geboren. Über das Tanzen sagte Häns einst:
„Mit der Tanzkunst verhält es sich etwas anders als mit den übrigen Kunstgattungen am Theater; von Kind auf muß man sich ihr widmen, wenn man den Beruf dazu in sich fühlt.“


Aennie Häns, Ballettmeisterin und 1. Solotänzerin, Foto zwischen 1908 und 1930, MARCHIVUM.

Nach ihren Erzählungen weckte das Tanzen ihr Interesse, als sie eine Freundin zum Ballettunterricht an das Karlsruher Hoftheater begleitete. Völlig überwältigt meldete sie sich ohne Zustimmung ihrer Eltern beim Ballett an. Anfänglich wenig überzeugt, sahen die Eltern doch bald die Vorteile der körperlichen Bewegung und erlaubten ihr das Tanzen: „Nie vergesse ich den Eindruck, den ich in der ersten Probe beim Anblick der tanzenden Kinder hatte. Wie im Märchenland kam ich mir vor.“

Ihre Tanzausbildung erhielt Aennie Häns von der damals neu engagierten Ballettmeisterin und Primaballerina in der Ballettschule des Karlsruher Hoftheaters – Paula Bayz. Im Jahr 1902 wechselte Häns von Karlsruhe an das Großherzogliche Hoftheater in Darmstadt und erhielt ihr erstes Engagement als Solotänzerin. Ihr ihrer auftrittsfreien Zeit beschäftigte sie sich mit den Tänzen verschiedener Völker und erkannte für sich den Unterschied zwischen der Natürlichkeit dieser Tänze und der konventionellen Art ihrer Darstellung auf den Theaterbühnen:
„Ich konnte in der Folge den Gedanken nicht los werden, diese Tänze in ihrer natürlichen Frische auf die Bühne zu bringen. Dies war nur möglich, wenn ich selbst die Leitung eines Balletts, d.h. die Stellung einer Ballettmeisterin annahm.“


Aennie Häns, Ballettmeisterin und Leiterin der Ballettschule am Nationaltheater, 1911, MARCHIVUM.

Das Bestreben, diese Erkenntnis auf der Bühne umsetzen zu wollen, führte sie 1907 an das Stadttheater Chemnitz, wo sie als Ballettmeisterin tätig war. Ihre Vorbilder fand Aennie Häns vor allem in den Vertreterinnen des Modern Dance: in den Geschwistern Wiesenthal und in der amerikanischen Ausdruckstänzerin Isadora Duncan. Mit diesen Tänzerinnen standen sich „graziöse Natürlichkeit“ und „klassische Formstrenge“ gegenüber.

Parallel erlebte auch das Mannheimer Nationaltheater unter der Intendanz von Dr. Carl Hagemann eine bedeutende Blütezeit. Um den „Bühnentanz mit neuen Anregungen zu erfüllen“, engagierte er 1908 Aennie Häns als Ballettmeisterin und Primaballerina. Damit trat sie die Nachfolge von Emmy Wratschko an, die 1904 vom Rigaer Stadttheater nach Mannheim kam. Häns war zudem Leiterin der Kunsttanzschule des Nationaltheaters.


Anzeige in der Neuen Mannheimer Zeitung, Nr. 224, 17.05.1936 (Sonntags-Ausgabe). MARCHIVUM.

Nach Ende ihrer Bühnentätigkeit im Jahr 1922 führte Aennie Häns eine eigene Tanzschule in L 8, 2. Ihre Nachfolger waren Reinhold Kreideweiß (1922-1924) und Lidia Wolkowa (1925-1926). Auf Einladung des hiesigen Intendanten Francesco Sioli wechselte der Tänzer und Choreograph Wolfgang Martin Schede vom Dessauer Friedrich-Theater nach Mannheim und prägte den Bühnentanz in den Jahren 1926 und 1927 nun vollends expressionistisch. Schede war ein Vertreter des modernen Ausdruckstanzes und baute auf den Methoden von Jaques-Dalcroze und Isadora Duncan auf.

Als Aennie Häns zur Spielzeit 1927/28 wieder als Ballettmeisterin an das Mannheimer Nationaltheater zurückkehrte, schrieb der Generalanzeiger, dass ihre Rückkehr als „Ende des tänzerischen Expressionismus“ galt, „der die gegenwärtige Tanz-Ära des Nationaltheaters zu einer höchst unerfreulichen Erscheinung gemacht“ hatte. Mit Ende der Spielzeit 1930/31 beendete sie nun endgültig ihre Arbeit am Nationaltheater und trat in den Ruhestand ein; ihre Nachfolgerin wurde Gertrud Steinweg vom Stadttheater Aachen.


Grammannsches Haus, um 1895. Hier wurde von 1910 bis 1939 die „Hochschule für Musik“ untergebracht. MARCHIVUM.

Dem Tanzen blieb Häns jedoch weiterhin treu und gab Unterricht an der „Höheren Schule für Bewegungskunst und Kunsttanz“ in L 2, 9a, wo vormals die „Hochschule für Musik“ untergebracht war.

Aennie Häns verstarb am 20. November 1961 auf tragische Weise: Sie erlitt tödliche Verletzungen infolge eines Wohnungsbrandes. Mit künstlerischem Ehrgeiz erfüllte sie den Bühnentanz mit „neuzeitlichen Anregungen“ und verkörperte damit einen „Abschnitt bester Mannheimer Theatertradition“.

 

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