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Henriette "Henny" Dreifuss

geboren am
Verfolgung

Jüdische Widerstandskämpferin
Überlebt

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Henriette „Henny“ Dreifuss wird 1924 als zweites Kind des Kaufmanns Eugen Dreifuss und dessen Ehefrau Rosa geb. Ascher in Pforzheim geboren. Der Vater, ursprünglich aus Strümpfelbrunn im Odenwald stammend, hatte bereits ab 1903 in Mannheim gelebt, wo er 1920 heiratete und im Jahr darauf der Sohn Bernhard zur Welt kam. Nach zwei Jahren in Pforzheim kehrt die nun vierköpfige jüdische Familie 1925 nach Mannheim zurück, wo sie zuerst in der Langen Rötterstraße (Neckarstadt), ab 1929 in der Goethestraße 18 lebt.

Henny und Bernhard verbringen in Mannheim ihre Kindheit, besuchen die ersten Klassen der Volksschule und sind an den Wochenenden häufig mit den Naturfreunden, einer internationalen sozialistischen Umwelt-, Kultur- und Freizeitorganisation, unterwegs. Als Sozialdemokrat*innen und Juden*Jüdinnen ist die Familie Dreifuss nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in doppelter Weise der NS-Verfolgung ausgesetzt. Im Oktober 1933 flieht die Familie nach Strasbourg, wo Henny die französische Schule besucht. Da der Vater als Flüchtling keine Arbeitserlaubnis erhält, muss er die Familie mit Schwarzarbeit sowie dem Verkauf der aus Mannheim geretteten Möbelstücke über Wasser halten. 1939 muss die Familie nach Le Havre umziehen, wo Henriette zunächst weiter die Schule besucht und anschließend eine Lehre als Frisörin beginnt.

Nach dem deutschen Überfall auf Frankreich werden Eugen und Bernhard Dreifuss als „feindliche Ausländer“ in den Lagern Rivesaltes und Gurs (im unbesetzten Südteil Frankreichs) interniert; Rosa und Henny werden nach Limoges abgeschoben, wo sie zunächst als Zivilistinnen leben. Im September 1942 wird Rosa Dreifuss jedoch ebenfalls in Rivesaltes interniert. Im November 1942 besetzen deutsche Truppen auch die bis dato unbesetzte Südzone Frankreichs. Eugen, Rosa und Bernhard Dreifuss werden von den Deutschen in der Shoah ermordet: Bernhard wird im März 1943 in das Vernichtungslager Majdanek deportiert. Eugen und Rosa werden von nach einem gescheiterten Fluchtversuch nach Italien im Dezember 1943 über das Durchgangslager Drancy nach Auschwitz-Birkenau deportiert.

Einzig Henriette überlebt. Sie findet 1942 Arbeit im Säuglings- und Kleinkinderheim „La Pouponnière“, das vom jüdischen Kinderhilfswerk Oeuvre de secours aux enfants (OSE) betrieben wird und zu einem Netz des Rettungswiderstands im besetzten Frankreich zählt. Mitarbeiter*innen des OSE und anderer Hilfsorganisationen retten Hunderte jüdische Kinder und Jugendliche aus den Internierungslagern in Südfrankreich, versorgen sie in Heimen wie jenem in Limoges und helfen Vielen, ins Ausland zu fliehen oder mit gefälschten Papieren in Frankreich unterzutauchen. Henriette Dreifuss ist selbst an der Befreiung von Kindern aus dem Lager Gurs beteiligt. 1943 muss sie selbst untertauchen, um den deutschen Razzien und der Deportation zu entgehen. Kommunistische Kolleginnen verschaffen ihr Papiere auf den Namen Marguerite Barbe aus dem Elsass. Henny Dreifuss alias Marguerite Barbe schließt sich im Alter von 19 Jahren der Résistance an und arbeitet in der sogenannten „travail allemand“ mit. Ihre Aufgabe ist es, die Stimmungen und Gespräche deutscher Besatzungssoldaten zu erkunden, wozu sie das gefährliche Risiko wagt, in einer Wehrmachts-Dienststelle auf dem Flugplatz Lyon-Bron zunächst als Putzfrau, später als Telefonistin zu arbeiten. Die von Henriette Dreifuss und ihren Mitkämpferinnen gesammelten Informationen gehen in die Flugblätter ein, die das Comité Allemagne libre pour l`Ouest (CALPO, Komitee Freies Deutschland für den Westen) anfertigt und in Umlauf bringt, um deutsche Soldaten zur Desertation zu bewegen.

Nach Kriegsende kehrt Henny Dreifuss nach Mannheim zurück, wo sie der KPD beitritt und eine Anstellung im Jugendamt findet. 1955 zieht sie nach Düsseldorf. Sie wird Journalistin, engagiert sich gewerkschaftlich in der IG Druck und Papier für Frauenrechte und ist Zeit ihres Lebens in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) aktiv.

Als im Jahr 2007 in Mannheim Stolpersteine für Eugen, Rosa und Bernhard Dreifuss verlegt werden, übernimmt Henny selbst die Patenschaft und berichtet als Überlebende und „Zeitzeugin“ über die Geschichte ihrer Familie.
Henriette „Henny“ Dreifuss stirbt am 12. September 2017 im Alter von 93 Jahren in Düsseldorf.

Auf Initiative des Arbeitskreis Stolpersteine wurde am 11. Oktober 2022 auch für Henny Dreifuss ein Stolperstein vor dem Haus Goethestraße 18 verlegt.

 

Text: Dr. Marco Brenneisen (MARCHIVUM), Februar 2024.
Fotos: United States Holocaust Memorial Museum / Yad Vashem / MARCHIVUM
Adresse

Goethestr. 18
68161 Mannheim
Deutschland

Geolocation
49.487446718585, 8.4785325