Breadcrumb-Navigation

Marie "Maya" Dafner

geboren am
Verfolgung

1940 nach Gurs deportiert
Gerettet

Kachelbild
Galerie
Text

Familie Fanny, Tobias, Maya, Herta und Siegbert Dafner

Frajda-Brana „Fanny“ Dafner geb. Lewin wurde 1902 als erstes von fünf Kindern des Magazinarbeiters Pinkus Lewin (geb. 1880 in Będków) und dessen Ehefrau Chana geb. Wróblewsky (geb. 1875 in Łódź) in Łódź geboren. 1911 zog die Familie von Frankfurt nach Mannheim, wo die Eltern ein Versandgeschäft für Stoffe und Trikotagen in K 4, 7, später in H 7, 33 betrieben. Über Fanny Lewins Schulbesuch sowie eine anschließende Ausbildung bzw. Berufstätigkeit ist nichts bekannt. Gesichert ist, dass sie Ende 1925 nach Paris zog, wo sie im April 1926 den aus Wodzisław (Polen) stammenden Schneider Tobias Dafner (geb. 1893) heiratete. 1927 kam die gemeinsame Tochter Marie genannt Maya in Paris zur Welt.

Mitte des Jahres 1929 zog die junge Familie nach Mannheim, wo im April 1930 die zweite Tochter, Herta, zur Welt kam. Tobias Dafner führte in den folgenden Jahren an der Geschäftsadresse der Schwiegereltern in K 4, 7 eine Schneiderei.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten war die jüdische Familie zunehmenden Repressalien ausgesetzt und wurde zunehmend ihrer Existenzgrundlage beraubt. Ende Oktober 1938 wurden Tobias Dafner und der Schwiegervater Pinkus Lewin im Zuge der sogenannten „Polen-Aktion“ nach Zbąszyń (Bentschen) abgeschoben. Bei dieser ersten Massendeportation aus dem Deutschen Reich ließ das NS-Regime innerhalb von zwei Tagen ca. 17.000 in Deutschland lebende Jüdinnen und Juden mit polnischer Staatsbürgerschaft verhaften, ausweisen und gewaltsam zur polnischen Grenze verbringen. Tausende mussten anschließend teilweise mehrere Monate unter katastrophalen Bedingungen in Auffanglagern auf polnischem Staatsgebiet ausharren. Pinkus Lewin gilt seit der Abschiebung als verschollen. Er wurde nach dem Krieg für tot erklärt.
Tobias Dafner gelang es, im Juni 1939 nach Mannheim zu seiner Familie zurückzukehren. Da eine erneute Abschiebung drohte, flüchtete er kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs nach Frankreich, möglicherweise in der Hoffnung, seine Familie bald nachzuholen. Er sah sie jedoch nie wieder – und begegnete nie seinem Sohn Siegbert, der im April 1940 in Mannheim geboren wurde.
Zu einem unbekannten Zeitpunkt im Jahr 1941 wurde Tobias Dafner von den deutschen Besatzern in Frankreich aufgegriffen und über das Durchgangslager Drancy nach Auschwitz deportiert. Er wurde nach dem Krieg für tot erklärt.

Fanny Dafner und die drei Kinder (ebenso wie Fannys Mutter Chana sowie die 30-jährige Schwester Lea Lina) befanden sich unter den rund 6.500 Jüdinnen und Juden aus Südwestdeutschland, die von den Nationalsozialisten am 22. Oktober 1940 in das Internierungslager Gurs (Südwestfrankreich) deportiert wurden. Marie „Maya“ war zu diesem Zeitpunkt 13, Herta 10 Jahre alt; Siegbert ein Säugling von 6 Monaten.
Dank der Hilfe internationaler Hilfsorganisationen überlebten alle drei Kinder. Das jüdische Kinderhilfswerk Oeuvre de secours aux enfants (OSE) rettete Siegbert aus dem Lager Rivesaltes, brachte ihn in das Säuglings- und Kleinkindheim „La Pouponnière“ in Limoges und versteckte ihn bis Kriegsende. Maya und Herta wurden von amerikanischen Quäkern Ende Februar 1941 in das OSE-Heim „Maison des Pupilles de la Nation“ in Aspet, ca. 100 km südlich von Toulouse, am Rande der Pyrenäen, gebracht. Als im Sommer 1942 die von dem Lyoner Gestapo-Chef Klaus Barbie angeordneten Razzien einsetzten, verhalf das OSE Maya zu falschen Papieren auf den Namen Maria Darman aus Metz; Herta überlebte versteckt bei einer Bauernfamilie.

Auch Fanny Dafner hat überlebt. Im Juni 1942 gelang ihr die Flucht aus dem Lager Rivesaltes. Sie lebte anschließend versteckt zunächst bei Bauern in Perpignan, später bei Bordeaux. Auf welche Weise ihre Mutter Chana überlebt hat, ist nicht bekannt. Sie erlebte ebenfalls die Befreiung in Frankreich und kam nach dem Krieg wieder mit Fanny und den Enkelkindern zusammen. Chanas Tochter Lea (Fannys jüngere Schwester) wurde dagegen 1942 in Auschwitz ermordet.

Nach dem Krieg blieben Fanny, Maya, Herta und Siegbert Dafner einige Jahre in Frankreich, ehe sie in die USA auswanderten.
Chana Lewin starb um 1953 in Paris. Siegbert Dafner starb 1989 im Alter von nur 49 Jahren ebenfalls in Frankreich; seine Schwester Marie „Maya“ starb 2012 in den USA. Frajda-Brana „Fanny“ Dafner starb dort im Jahr 2002, wenige Wochen vor ihrem 100. Geburtstag.

 

Die Stolpersteine zum Gedenken an Fanny, Tobias, Maya, Herta und Siegbert Dafner wurden auf Initiative und im Beisein von Angehörigen aus den USA am 11. Oktober 2022 verlegt.

 

Text: Dr. Marco Brenneisen (MARCHIVUM), Februar 2024
Fotos: Familienbesitz

Literaturempfehlung zum Thema „Polen-Aktion“:
Kurztext des Jüdischen Museums Berlin: https://www.jmberlin.de/thema-polenaktion-1938
Alina Bothe/Gertrud Pickhan (Hg.): Ausgewiesen! Berlin, 28.10.1938. Die Geschichte der „Polenaktion“, Berlin 2018: Metropol.
Adresse

H 7, 33
68159 Mannheim
Deutschland

Geolocation
49.492318718588, 8.46237035