Breadcrumb-Navigation

Wilhelm Wertheimer

geboren am
Verfolgung

1940 nach Gurs deportiert
1942 ermordet in Auschwitz

Kachelbild
Text

Wilhelm, Hedwig und Otto Wertheimer

Der Kaufmann Wilhelm Wertheimer wurde 1890 in Kehl geboren und kam Anfang des Jahres 1919 nach Mannheim, wo er in den folgenden Jahren an wechselnden Adressen in der Innenstadt, auf dem Lindenhof und ab 1925 in der Oststadt lebte. 1931 heiratete er in Sinsheim die von dort stammende Hedwig Ledermann; im Februar 1932 kam der gemeinsame Sohn Otto in Mannheim zur Welt.
Die Familie lebte in der Richard-Wagner-Straße 36 – nur wenige Häuser entfernt wohnte Wilhelms Schwester Mathilde (verheiratete Löbmann) mit ihrer Familie. Gemeinsam mit dem Schwager Julius Löbmann sowie dessen Bruder Siegmund war Wilhelm Wertheimer Inhaber der Firma „Siegmund Löbmann & Co. Mineralölgeschäft“ in der Helmholtzstraße 70.  

Otto besuchte vermutlich zwischen 1935 und 1938 einen jüdischen Kindergarten, bevor er in die Jüdische Schule in K 2, 4 eingeschult wurde. Spätestens nach den Novemberpogromen 1938 war jüdischen Kindern und Jugendlichen der Besuch staatlicher Schulen verboten. Später wurde Otto wahrscheinlich – genauso wie sein Cousin Fritz Löbmann – in der Lemle-Moses-Klaus („Klaus-Synagoge“ in F 1, 11) unterrichtet.

Die antijüdischen Repressalien des NS-Regimes hatte die Familie Wertheimer schon bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten auch wirtschaftlich zu spüren bekommen. 1938 waren Wilhelm Wertheimer und die Brüder Löbmann gezwungen, ihre Firma zu verkaufen. Der nicht-jüdische Kaufmann Karl Schwarz erwarb das Mineralölgeschaft zu einem Preis, der weit unter dem realen Wert lag, und führte die „arisierte“ Firma unter seinem Namen weiter.

Wilhelm, Hedwig und Otto Wertheimer gehörten – ebenso wie die Familie Löbmann – zu den mehr als 6.500 südwestdeutschen Jüdinnen und Juden, die die Nationalsozialisten am 22. Oktober 1940 in das Internierungslager Gurs, am Rande der Pyrenäen in Südfrankreich, deportierten. Im August 1942 wurden Wilhelm und Hedwig Wertheimer von dort nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Otto war dagegen 1941/42 von Mitarbeiter:innen des französischen jüdischen Kinderhilfswerks Œuvre de secours aux enfants (OSE) aus dem Lager gerettet und zusammen mit seinem Cousin Fritz Löbmann in das OSE-Kinderheim Château Montintin (bei Limoges) gebracht worden. Im Herbst 1943 erhielt er gefälschte Papiere auf den Namen Octave Wermet, Fritz auf den Namen François Lauban. Beide Jungen wurden in das OSE-Heim in Izieu (östlich von Lyon) gebracht, wo sie unter anderem auf die Mannheimer Sami Adelsheimer (4 Jahre alt) und Max Leiner (7 Jahre) trafen. In Izieu konnten die Jungen zum ersten Mal seit Herbst 1940 aufatmen: essen, ausschlafen, spielen und wieder einigermaßen „normal“ leben. Das Heim bot Geborgenheit und Schutz. Doch die Idylle war nur von kurzer Dauer. Im Frühjahr 1944 ordnete der berüchtigte Gestapo-Chef von Lyon, Klaus Barbie, Razzien in den französischen Kinderheimen an, in die seit 1941 Hunderte aus den Lagern gerettete jüdische Kinder und Jugendliche in vermeintliche Sicherheit gebracht worden waren. Am 6. April 1944 (Gründonnerstag) wurden alle 44 zu dieser Zeit im „Maison d`Izieu“ anwesenden Minderjährigen sowie sechs Betreuer:innen verhaftet und in das Lyoner Fort Montluc gebracht. Wenige Tage später wurden die Kinder und Jugendlichen, darunter auch Otto, Fritz, Sami und Max, über das Durchgangslager Drancy nach Auschwitz deportiert und ermordet. Otto Wertheimer wurde nur 12 Jahre alt.


Ottos Onkel Julius Löbmann, der einzige Überlebende der Familie Wertheimer/Löbmann, führte nach dem Krieg einen jahrelangen Rechtsstreit um Entschädigungszahlungen für die „arisierten“ Familienunternehmen. Die Enkelin des „Ariseurs“ Karl Schwarz, die deutsch-französische Autorin Géraldine Schwarz, behandelte ihre Familiengeschichte und die Entrechtung der Familie in ihrem 2017 erschienenen Buch „Les Amnésiques“ (deutsch: die Gedächtnislosen, 2018), das in mehr als 10 Sprachen übersetzt wurde.
An die sogenannten „Kinder von Izieu“ erinnert unter anderem ein gleichnamiges Lied von Reinhard Mey. In den Jahren 2001/2002 erarbeiteten Schüler:innen aus Mannheim und Lyon in Kooperation mit der Gedenkstätte Maison d`Izieu und dem Stadtarchiv Mannheim die deutsch-französische Wanderausstellung „Mannheim – Izieu – Auschwitz“, in deren Mittelpunkt die vier Mannheimer Kinder stehen. Sie kann bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg ausgeliehen werden.


Die Stolpersteine zum Gedenken an Sami Adelsheimer, Max Leiner, Fritz Löbmann, Otto Wertheimer sowie ihre Familien wurden vom Deutsch-Türkischen Institut Mannheim im Rahmen des Schülerprojekts „#ÜberLebensgeschichtenstolpern!“ initiiert und am 23. Oktober 2023 verlegt.

 

Text: Dr. Marco Brenneisen (MARCHIVUM), März 2024
 

Literatur & Informationen:
-    Serge & Beate Klarsfeld: Die Kinder von Izieu, Leipzig 1991.
-    Géraldine Schwarz: Die Gedächtnislosen. Erinnerungen einer Europäerin, Berlin 2018.
-    Christiane Fritsche: Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt. Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim, Heidelberg 2013.
-    Gedenkstätte Maison d`Izieu: https://www.memorializieu.eu/de/
-    Wanderausstellung: https://www.gedenkstaetten-bw.de/izieu-ausstellung

Adresse

Richard-Wagner-Str. 36
68165 Mannheim
Deutschland

Geolocation
49.480488418581, 8.48160565