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Flotten-Agitprop anno 1900. "Schwarze Gesellen" in Mannheim

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farbige Propagandapostkarte mit dem Satz von Kaiser Wilhelm II. "Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser", der zum Motto des Deutschen Flottenvereins wurde

Es war ein spektakulärer Propagandafeldzug. Im Sommer 1900 schickte Kaiser Wilhelm II. eine komplette Kriegsflotte den Rhein hinauf - bis nach Karlsruhe und wieder zurück. Auch in Mannheim und Ludwigshafen wurde sie von einer marinebegeisterten Menge und den örtlichen Honoratioren voller Hurrapatriotismus empfangen.

Die Fahrt tief ins Binnenland hatte das Reichsmarineamt von Vizeadmiral Alfred Tirpitz organisiert. Seine Strippenzieher in Berlin zogen sämtliche damals zur Verfügung stehenden Register der Massenbeeinflussung – und die Rheinfahrt einer kompletten Torpedobootsdivision war ihr genialster Coup. Es müsse "Stimmung im ganzen Land gemacht" werden, hatte der Kaiser angeordnet. Es sollte Druck auf die Reichstagsabgeordneten ausgeübt werden, dem "Zweiten Flottengesetz", mit dem das Wettrüsten zur See seinen unheilvollen Lauf nahm, zuzustimmen.

Die Rheinanlieger rissen sich regelrecht darum, die "blauen Jungs", diese "stahlfesten Männer, die die brandende See zu Helden erzogen" habe, begrüßen zu dürfen. So warben am 3. Mai Stadtrat und Mannheimer Flottenverein in einem Telegramm darum, Gastgeber sein zu dürfen, um so "unserer patriotischen Bevölkerung Gelegenheit zur herzlichen Begrüßung zu geben."  Fünf Tage später versammelte der Mannheimer Oberbürgermeister Otto Beck im Rathaus eine erlauchte Gesellschaft von Entscheidungsträgern, um die Details der Festivitäten festzulegen. Auch Ludwigshafens Oberbürgermeister Friedrich Krafft war zugegen, denn es ging darum, das Besuchsprogramm auf badischer und bayerischer Seite protokollarisch sorgfältig und ausgewogen abzustimmen. Vor allem sollte – wie überall - tüchtig getrunken und getafelt werden.

Propagandpostkarte mit dem berühmten Satz von Kaiser Wilhelm II., der zum Leitmotto des "Deutschen Flottenverweins" wurde, © Smlg. B. Ellerbrock

Festprogramm und Paraden

Nirgendwo habe man seiner Division einen derart "glänzenden Empfang" bereitet wie am 17. Mai in Mannheim und Ludwigshafen, wo die Torpedoboote von einer ganzen Armada festlich geschmückter Schiffe geleitet wurden, schwärmte der Kommandant Kapitänleutnant Felix Funke. Bei der Ankunft jubelten unter einem "wahren Böller-Bombardement" mehrere Zehntausend Schaulustige an den Ufern, flatterten Fahnen, Wimpel und Girlanden im Wind, ertönten brausende "Hurrah"-Rufe der Spalier stehenden Militärs, Musikcorps, von Vereinen und herbeigekarrten Schulklassen.

Wie andernorts auch hatte das Festkomitee ein veritables dreitägiges Besuchsprogramm ausgearbeitet, das den "Torpedos" keine Zeit zum Durchatmen ließ: Hafenrundfahrt, Aufführung von "Kriegsschauspielen", Ausflug nach Heidelberg und eine weinselige von Alkohol geschwängerte Tour durch die Pfälzer Weinberge, Besichtigung eines "Kolossalrundgemäldes", Festvorstellung im Mannheimer Hoftheater. Allein zu sechs opulenten Festessen, bei denen markige patriotische Reden geschwungen und "Huldigungstelegramme" an Kaiser Wilhelm und die Landesfürsten verabschiedet wurden, waren die "Blaujacken" eingeladen.

Je drei Torpedoboote gingen in Mannheim und Ludwigshafen vor Anker und luden zum "Open Ship" ein.


Am Sonntagmorgen, den 20. Mai 1900, gegen 10.00 Uhr verließ der Verband das Industriezentrum von Mannheim und Ludwigshafen wieder. Tausende waren die letzten Tage mit Zügen der Pfälzer und Badischen Staatseisenbahnen, die um die Hälfte ermäßigte Fahrpreise offerierten, gekommen, um voller Neugier die Kriegsschiffe – im Volksmund wegen ihres Anstriches auch "Schwarze Gesellen" genannt – beim "Open Ship" zu besichtigen. Der Andrang war so groß, dass die örtliche Gendarmerie den Zutritt regeln musste und Einheimische gebeten wurden, noch einmal wiederzukommen.

Sektsteuer und Flottenrüstung

Mannheims Oberbürgermeister Beck war sich sicher, dass "trotz aller Schmähungen" das Kaiserwort, wonach die "Zukunft Deutschlands auf dem Wasser" liege, "freudigen Widerhall gefunden" habe. "Der Triumphzug unserer Gäste entlang des ganzen Rheins" sei "ein glänzender Beweis" dafür. Auch Wilhelm zeigte sich zufrieden: "Die nationale Begeisterung, das Verständnis und das Interesse für unsere Aufgaben auf dem Wasser wird im deutschen Volke unter Führung seiner Fürsten immer weitere Fortschritte machen zum Wohle des zu Wasser wie zu Land Achtung gebietenden Vaterlandes", telegrafierte er dankbar.

Ein ganzes Buch voller patriotischer Lieder gab der Dumont-Verlag anlässlich der Propagandafahrt heraus, © Smlg. B. Ellerbrock

Das Gesetz, mit dem sich die Anzahl deutscher Schlachtschiffe auf einen Schlag verdoppelte, wurde am 12. Juni 1900 vom Reichstag verabschiedet und die noch heute existierende "Sektsteuer" zur Finanzierung der Dickschiffe gleich mit auf den Weg gebracht. Von Tirpitz stammt der Satz: "Die natürliche Bestimmung einer Flotte ist die strategische Offensive."  Dazu sollte es freilich nie kommen, seine Seekriegsdoktrin erwies sich im Ersten Weltkrieg als fataler Irrtum. Die Flotte verrostete im Hafen und versenkte sich am Ende selbst.

Dieser Blog-Beitrag ist ein Auszug aus dem gleichnamigen Beitrag der Mannheimer Geschichtsblätter, 40, 2020.

Weiterführende Literatur:
Bernd Ellerbrock, Flotten-Agitprop anno 1900. Schwarze Gesellen auf dem Rhein, BoD Norderstedt, 2020.