Es gibt eine Zeit im Jahr, in der auf Mannheims multikulturellen Straßen ein noch stärkerer Chor internationaler Sprachen erklingt, der Tourismusstrom enorm zunimmt und sich das Gesamtbild getragener Kleidung auffällig dunkel färbt. In dieser Zeit liegt eine besondere Spannung und Vorfreude in der Luft der Quadratestadt. Messbar ist das an den ausgebuchten Hotels und Airbnbs, den überlaufenen Lebensmittelgeschäften, der bis zum letzten Platz besetzen Gastronomie und dem Überaufkommen an Taxi- und Uber-Fahrzeugen. Manch ein Restaurantbesitzer wird seinen Gästen bei der Platzierung überrascht gestehen: „Alles weg. Kein Fleisch, kein Fisch mehr da! Wir sind ausverkauft!“ Andere Gewerbetreibende haben wiederum mit der Zeit dazugelernt und sind besser darüber informiert, welches Event jährlich Anfang April in Mannheim stattfindet.
Es ist die Zeit, in der es schlagartig warm wird und die ersten Sonnenbrillen zum treuen Begleiter des Alltags werden. Es scheint, als ob der Frühling offiziell Einzug hält und sich Tourist*innen wie auch Bewohner*innen der Stadt über das eintretende Wochenende freuen: die einen auf die kommenden Stunden bebender Tanzflächen und die anderen auf die Möglichkeit, bei gutem Wetter draußen sitzen zu können, um die Ankömmlinge mit leichtem Gepäck, stilvoll gewählten Looks und suchenden Blicken zu beobachten. In Mannheim ist das die Zeit der Time Warp, des größten Technofestivals der Welt.
Seit nun 30 Jahren gibt es das bedeutende Musikfest. Zwar nicht immer in der Region, aber seit 2005 regelmäßig am Rande der Stadt stattfindend. Das Festival heißt seine Gäste aus New York, Warschau, Tel Aviv, Mailand, Barcelona und vielen anderen Metropolen willkommen. Auch eingefleischte Musikfans aus Deutschland strömen dieser Tage nach Mannheim, um euphorisch und friedlich miteinander zu tanzen und zu feiern.
Aus dem ersten Rave 1994 in der Ludwigshafener Walzmühle ist mittlerweile das international bekannteste Festival der technoiden Musik entstanden. Drei Dekaden später, durfte eine Geburtstagsausgabe der Superlative nicht fehlen. Dieses Jahr fand das Ereignis am 5. und 6. April unter dem Motto „30 Years | 30 Hours“ statt. Genau genommen dauerte die Party bis um 14 Uhr des 7. Aprils an. Mit einer Pause am Samstag wurde bis zur letzten Sekunde getanzt. Kein Wunder, dass so manch ein Schrittzähler am Handgelenk der Gäste über 30.000 „Steps“ pro Tag verzeichnete.
Ganze drei Jahrzehnte trägt die Time Warp nun auf ihren jung gebliebenen Schultern. Sie ist mit jedem Jahr professioneller geworden, ohne ihre Authentizität zu verlieren. Sie hat viele Freund*innen sowie unzählige Fans der ersten Tage behalten, Talente gefördert und einen globalen Zuwachs an Beliebtheit gewonnen. Ob es das erstklassige Line-up, die Licht- und Soundtechnik oder das erfolgreiche Kommunikationskonzept ist – das alles bedarf eines enormen Aufwands. Diesen leistet das Team der Eventagentur cosmopop GmbH mit Sitz in Mannheim. Was mit dem Veranstalten der Time Warp begann, ist um Clubs (das ehemalige Loft in Ludwigshafen, der saisonale Hafen 49 im Jungbusch und das Zimmer in den Quadraten Mannheims) und um mehrere weitere Festivals im In- und Ausland gewachsen.
Die Anziehungskraft der Time Warp setzt sich allen voraus aus mehreren Faktoren zusammen: Zum einen ist es die Auswahl der Künstler*innen, welche Legenden wie Sven Väth, Ricardo Villalobos oder Chris Liebing mit neuen Generationen der Techno-, House-, Acid-, Minimal- und Hardgroove-Szene zusammenbringt: Nina Kravitz, Anetha, Gerd Janson, Seth Troxler, Loco Dice, Paula Temple oder Kobosil - um nur einen Bruchteil der weltbekannten DJs zu nennen, die die Menge der Time Warp in Bewegung setzen. Zum anderen ist es die Heimat des Festivals, die für eine gewisse Orientierung durch bekannte Strukturen sorgt. Austragungsort hierfür ist der Mannheimer Maimarkt, der Platz für über 20.000 Besucher*innen bietet. Dieses Jahr zählte die Time Warp rund 27.000 Gäste.
Jahr für Jahr wird auf dem riesigen Gelände mithilfe von unzähligen helfenden Händen sowie Hebebühnen ein Festivalgelände aufgebaut, das für eine kurze Zeit im reibungslosen Ablauf kompromisslos vor seinem Publikum performt. Das Festival vereint traditionelle Strukturen und modernste Technik. Zu einem wiederkehrenden Highlight zählt zum Beispiel die Bespielung des kleinen Floors unter der Glaskuppel durch Laurent Garnier zum Zeitpunkt der aufgehenden Sonne. Aber auch die Gestaltung der großen Floors mit modernsten Lautsprechern, ausgeklügelter Lichttechnik und beeindruckenden Visuals auf meterhohen Leinwänden sorgen für vertraute Faszinationsmomente und unzählige Überraschungseffekte.
Es scheint, als erschaffen die Macher*innen der Veranstaltung für wenige Zeit eine Kleinstadt. Diesen Eindruck schilderten jedenfalls Robin Ebinger und Frank Eichhorn bei der Ausstellungseröffnung "30 Years of Time Warp" in den Reiss-Engelhorn-Museen. Schließlich beinhaltet solch ein Ereignis eine eigene Infrastruktur: Gastronomie, Sanitäranlagen, Sicherheit, medizinische Versorgung, Ruhezonen, Wegeführungen, Informationspunkte, Aufbewahrungsorte für Sachen, Transportmittel zum und vom Gelände sowie ein eigenes Tausch- und Zahlungssystem.
Um das Jubiläum und die bedeutende Stellung des Festivals für die Stadt zu unterstreichen, fand in der Jubiläumswoche vom 2. bis zum 7. April eine Multimedia-Ausstellung im Zentrum von Mannheim statt. Ausgestellt wurden historische Video- und Fotoaufnahmen. Wie bedeutend dieses Ereignis für die Kultur- und Tourismusbranche tatsächlich ist, zeigte sich im Beifall des Publikums, welches schon lange auf die Würdigung der Time Warp wartet. Schließlich ist man als Stadtbewohner*in stolz auf das beliebte Festival, das zur Sparte der Nacht- und Clubszene und somit zum wichtigen Teil der Kunst- und Kultur einer Stadt zählt. Die Time Warp gilt aus touristischer Sicht schon als eine international bekannte Marke, die den Namen ihrer Stadt durch Musik-, Festival- und Underground-Begeisterte in die Ferne trägt.
Unser Fotomaterial von den Jubiläumstagen hält nur wenige der unzähligen Augenblicke des bedeutenden Ereignisses fest. Für das MARCHIVUM ist die Archivierung und Recherche zur Club- und Musikszene ein neues und wichtiges Feld, das die lebendige Stadtgesellschaft widerspiegelt. An dieser Stelle darf an den Vortrag von Dr. Thomas Throckmorton von 2023 erinnert werden. Perspektivisch will das Stadtarchiv Bestände (beispielsweise Fotos, Videos, Flyer, Poster und vieles mehr) der freien Szene erschließen, um diese im Gedächtnis der Stadt aufzubewahren.
Das MARCHIVUM gratuliert cosmopop zum Erfolg und Jubiläum des Festivals, welches ein fester Bestandteil der Stadtgeschichte ist.
Mehr zur Geschichte der Time Warp erfahren Sie auf der Seite des Events.
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