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Formel Seb - Sebastian und die Silberpfeile

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farbiges Foto eines sog. Silberpfeils von Mercedes Benz

Wenn es einen Preis gäbe für den unbekanntesten Prominenten in der Region, Wilhelm Sebastian hätte beste Chancen, ihn zu gewinnen.

Er vertritt die deutsche Grand-Prix-Geschichte der Vorkriegszeit wie kaum ein anderer, und man mag es erst gar nicht glauben, an wieviel Rennen er beteiligt war - sei es als Mechaniker, Beifahrer, Rennfahrer, Sport Direktor, Teamchef und zuletzt als Sportfunktionär und Rennstallbesitzer. Rennfahrer, Teamchefs, Konstrukteure - er kennt sie alle und ist oft sogar mit ihnen befreundet. Trotz des hohen Erwartungsdrucks im Formelsport kennt man ihn als den umgänglichen "Bastl", der aus seinem Mannheimer Dialekt keinen Hehl macht und mit kurpfälzischer Gelassenheit immer ein Lächeln übrig hat für die Fotografen.


1934 in Brünn

Mitten im Ersten Weltkrieg beginnt der 14-jährige Waldhöfer seine Lehre bei BENZ und besucht die Kürfürsten-Gewerbeschule in C 6. Als junger Mechaniker-Geselle kommt er nach dem Krieg ins Mannheimer BENZ-Rennteam unter der Leitung von Willy Walb. Es verändert sein Leben für immer. Mit Walb und seinem Freund Rosenberger erlebt er alle Höhen und Tiefen des Rennsports. "Bastl" mausert sich zum "schnellsten Beifahrer" im MERCEDES BENZ Team, der einmal sogar selbst zum Rennfahrer wird, bezeichnenderweise mit einem Wagen vom Typ "Mannheim". Höhepunkt ist jedoch die unvergleichliche Siegesserie von 1931, die er an der Seite von Top Fahrer Caracciola erlebt.


1931 mit Caracciola als Sieger vom Großen Preis von Deutschland

Sein Leben nimmt eine unerwartete Wendung, als er vom Stuttgarter Rennstall HFB abgeworben wird. Dahinter stecken Porsche und Rosenberger, die fertige Konstruktionspläne für einen "National-Rennwagen" haben und sich Wilhelm für ihr Team sichern möchten. Wenige Monate später ändert sich alles mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Rosenberger muss aufgrund seiner jüdischen Konfession fliehen, und der geplante Rennstall wird bei AUTO UNION angesiedelt. Wilhelm wechselt nach Zwickau zum Aufbau der neuen Rennabteilung. Auch sein jüngerer Bruder Ludwig wird dort angestellt. Als Teamchef kann Walb gewonnen werden. Wie in Mannheim 10 Jahre zuvor macht er sich daran, ein unerfahrenes Grand Prix Team zusammenzuschweißen.

Ihnen werden nur wenige Monate zugestanden und der Druck ist enorm. Und sie liefern: Nach einem halben Jahr kann der erste Prototyp getestet werden, wenige Monate später folgen Geschwindigkeitsrekorde und schließlich der erste Grand Prix Sieg.

Da es an Piloten mangelt, wird aus "Bastl" notgedrungen ein Reserve- Fahrer. Er kennt den Wagen zwar aus unzähligen Testfahrten, aber damit Grand-Prix-Rennen zu fahren, ist etwas völlig anderes. Dreimal kommt er zum Einsatz und schlägt sich recht gut, wenn auch seine Erfolge auf einen Notizzettel passen.


1934 als Reservefahrer in Brünn

Das Folgejahr erlebt den kometenhaften Aufstieg von Bernd Rosemeyer, dessen Chefmechaniker niemand anderes ist als "Bastls" Bruder Ludwig. Rosemeyer wird beliebt wie ein Filmstar und die Sebastian-Brüder geraten durch ihn ins Rampenlicht. Mit dem neuen unerfahrenen Teamchef Feuereissen wird Wilhelms Rolle immer wichtiger und der Erfolg scheint grenzenlos. 1936 wird Rosemeyer Europameister, "Bastl" übernimmt die Teamleitung in Südafrika und holt als Team-Manager beim großen Preis von Belgien einen Doppelsieg für AUTO UNION. Ein Kuriosum aus dieser Zeit ist Stucks Autobahn-Rekordfahrt zwischen Frankfurt und Heidelberg, für die AUTO UNION eigens einen Wendekreis an der Heidelberger Stadteinfahrt pflastern lässt.


1935 mit Rosemeyer und Bruder Ludwig

Bei einem Rekordversuch zwischen Frankfurt und Darmstadt gelingt es Rosemeyer, die 400 km/h Marke auf der Autobahn zu knacken. Doch die Freude darüber hält nicht lange an. Wenige Monate später stirbt er bei einem weiteren Anlauf. Des schlechten Wetters wegen hatte "Bastl" versucht, ihn davon abzuhalten. "Bernd, scheiß doch auf die ganze Rekordfahrt, wir brauchen dich für die kommende Saison mehr als jetzt das eine Mal rauf- und runterfahren..." Der Rennzirkus rollt unerbittlich weiter. Einziger Lichtblick ist die Verpflichtung des Weltklassefahrers Nuvolari, aber die Sensation liefert Nachwuchsfahrer Müller, der sich die Europameisterschaft 1939 holt. Zumindest theoretisch, denn der Titel wird mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nicht mehr vergeben.


1938 mit Nuvolari und Bruder Ludwig

Damit endet Wilhelms großartige Grand-Prix-Karriere. Nach dem Krieg versucht er vergeblich, mit Nuvolari in den Rennsport zurückzukehren und eröffnet schließlich die "Auto-Sebastian" in Weinheim mit bis zu 120 Angestellten. Eine besondere Episode ist sein "WISEB (WIlhelm SEBastian)"-Rennteam mit Weinheimer Formel V-Rennwagen. Auch Reinhold Joest, der seine Ausbildung bei Wilhelm absolviert hat, fährt einen WISEB. Wilhelms Hobby-Rennstall hat nicht lange Bestand. Ganz anders die Karriere von Joest, der mit seinem JOEST RACING-Team aus Wald-Michelbach die AUDI-Silberpfeile der Neuzeit zu großartigen Erfolgen führt. Der Kreis schließt sich.

Weiterführende Literatur:
Dietrich Conrad, Formel SEB - Sebastian und die Silberpfeile, Mannheim 2023

Kinderzeichnungen der Mannheimer Künstlerin Ilana Shenhav aus dem Ghetto Theresienstadt

Ilana Shenhav (1931-1986) war eine Künstlerin, die einen festen Platz in Mannheims Kunstszene hatte. Zeichnen lernt sie als Kind im Ghetto Theresienstadt bei der ehemaligen Bauhaus-Künstlerin Friedel Dicker-Brandeis. Ein Freikauf in die Schweiz rettet ihr Leben. Ilana Shenahvs Kinderzeichnungen aus dem Ghetto sind, zusammen mit ca. 6.000 anderen Kinderzeichnungen aus Theresienstadt, im Jüdischen Museum Prag erhalten.

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Mannopolis - Automobilbauer der zwanziger Jahre

Stadt- und Industriegeschichte sind in Mannheim kaum trennbar. Ein ganz besonderes Kapitel schreiben darin die Automobilfirmen der zwanziger Jahre. Mannheim entwickelt sich in der Zeit zu einer regelrechten Autometropole. Hier entstehen elegante Sportwagen, Luxuskarossen, kuriose Gefährte und bahnbrechende Rennwagen. Letztlich überdauert aber keine der Firmen und "MANNOPOLIS" mit all seinen schillernden Persönlichkeiten und Geschichten gerät in Vergessenheit. Zum hundertsten Jubiläum wird diese großartige Epoche mit einem Buch wieder zum Leben erweckt.

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