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Der Lebensweg von Richard Böttger

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75. Geburtstag Richard Böttger

Anlässlich der 350. Wiederkehr der Verleihung der Stadtrechte am 24. Januar 1957 ehrte die Stadt Mannheim Richard Böttger, der seine Ernennung zum Ehrenbürger laut Allgemeine Zeitung vom 2. September 1957 mit den Worten kommentierte: "Der Gemeinderat hat sich selbst geehrt, indem er einem Manne aus dem Volke die Ehrenbürgerwürde zugedacht hat" – eine charakteristische Äußerung für jemanden, dessen Lebenswerk stets auf dem Bewusstsein um die eigene Herkunft und auf der Verantwortung gerade diesem Volke gegenüber gründete.

Verleihung der Ehrenbürgerwürde, 1957

Böttger wurde am 10. Juni 1873 im thüringischen Eisleben geboren. Aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammend, musste er seinen Berufswunsch Volkschullehrer schon früh aus finanziellen Gründen aufgeben. 1887 begann er eine Schreiner- und Glaserlehre. Anschließend ging Böttger 1890 auf Wanderschaft durch Mittel- und Norddeutschland und ließ sich danach zunächst in Zeitz nieder.

Über seinen Beitritt zur Gewerkschaft nahm er zunehmend Kontakt mit der Arbeiterbewegung auf, an der er immer stärker gestalterisch mitwirkte. Nach seiner zweijährigen Militärzeit in Thorn kehrte Böttger 1895 nach Zeitz zurück, wo er zum Gründer und Vorsitzenden der Ortsgruppe seiner Gewerkschaft wurde und der SPD beitrat.

1897 erneut auf der Walz, führte ihn seine Reiseroute auch nach Mannheim. Die für ihn positiveren Arbeitsbedingungen – Böttger war bis 1904 bei Bopp und Reuther als Schreiner- und Glasergeselle tätig – sowie das sozialdemokratisch geprägte Klima ließen die Stadt zu seiner Wahlheimat werden. Er nutzte jede Gelegenheit zur Fort- und Weiterbildung im örtlichen Arbeiterbildungsverein und an der Mannheimer Handelshochschule, dies begleitet von einem nahezu akribischen Selbststudium.

Als Vorsitzender des Glaserverbands, Vertrauensmann der Freien Gewerkschaften sowie durch sein Einrücken in den SPD-Kreisvorstand Mannheim knüpfte er immer breitere Kontakte in Partei und Gewerkschaft. Hier traf er auf den Nestor der badischen Sozialdemokratie August Dreesbach (1840-1906), der für ihn schon bald zum Mentor und Freund wurde. Auf Dreesbachs und Ludwig Franks (1874-1914) Anregung hin übernahm Böttger 1904 die Leitung des vom Freien Gewerkschaftskartell Mannheim 1899 ins Leben gerufenen Arbeitersekretariats, dem eine Rechtsberatung angeschlossen war.

Der weitere Werdegang war geprägt vom steten Einsatz für sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen. Am 26. Februar 1907 zog Böttger als Vertreter der 3. Wählerklasse, der Klasse der Niedrigstbesteuerten, in die Mannheimer Stadtverordnetenversammlung ein, wo er sich fortan vor allem in den Bereichen Armenpflege und Jugendfürsorge engagierte.

"Unser wertvollstes Volksgut ist der jugendliche Nachwuchs. Mit diesem Volksvermögen darf kein Raubbau getrieben werden": Diese Maxime war es, die Böttger beim Aufbau der 1911 eröffneten Mannheimer Milchzentrale antrieb. Überzeugt davon, dass aber neben gesunder Ernährung auch ein gesundes Lebensumfeld unabdingbar ist, hatte er bereits im Vorjahr zusammen mit Frank und anderen die Mannheimer Gartenstadt-Genossenschaft gegründet mit dem Ziel, auch den sozial Schwächeren bezahlbaren Wohnraum in einer grünen Vorstadt-Oase anbieten zu können statt trister, enger und oftmals feuchter Mietskasernen.

1913 rückte Böttger für die SPD in die Zweite Kammer des Badischen Landtags ein, wo er bei der Reform der Badischen Gesindeordnung, der Ausweitung von Arbeiterschutzbestimmungen sowie mit einer Denkschrift über die Arbeitslosenversicherung entscheidende sozialpolitische Akzente setzte. Im Zuge des demokratischen Umbruchs 1918/19 erhielt die Arbeiterbewegung nun erstmals eine Chance zur unmittelbaren Mitgestaltung der Politik. 1919 berief die Stadt Mannheim Böttger in die Leitung des Dezernats für Wohlfahrtspflege, zunächst im Range eines besoldeten Stadtrats, 1926 sollte die Ernennung zum Bürgermeister erfolgen.

Richard Böttger, 1919

Unter seiner Leitung entstand die "Mannheimer Notgemeinschaft" als ein Zusammenschluss der öffentlichen und privaten Fürsorge. Von der Wirtschaftskrise gebeutelte private Wohlfahrtseinrichtungen wie das Fröbel-Seminar, die Soziale Frauenschule und mehrere Kinderheime wurden von ihm in städtische Regie überführt und wieder funktionsfähig.

Über seine eigentliche Domäne der Sozialpolitik hinaus war es ihm ein besonderes Anliegen, die benachteiligten Bevölkerungsschichten an Bildung und Kultur teilhaben zu lassen. Vor allem dem Nationaltheater fühlte er sich seit seiner Niederlassung in Mannheim verbunden. Am Aufbau der Mannheimer Volksbühnenbewegung, die auch Geringverdienern Theaterbesuche ermöglichen wollte, war er an führender Stelle beteiligt.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde Böttger seines Amtes enthoben und in Schutzhaft genommen. Die folgenden Jahre verbrachte er in Arbeitslosigkeit. Erst 1940 konnte er schließlich in Stuttgart die Außenstelle eines Holzindustriebetriebs übernehmen.

Die "Stunde Null" nach dem Zweiten Weltkrieg sah den mittlerweile 72-Jährigen sofort wieder an vorderster Stelle der politischen Verantwortung in und für Mannheim.

So rückte Böttger zunächst wieder in das Amt als Wohlfahrtdezernent ein. Der Wiederaufbau des Hilfswerks der Mannheimer Notgemeinschaft sowie die Gründung der Theatergemeinde als Fortführung der Volksbühnenbewegung sind nur zwei Beispiele für seine Aufbauarbeit im fast vollständig zerstörten Mannheim.

1948 verabschiedete die Stadt Mannheim einen rüstigen und agilen Pensionär, der freilich bis zu seinem Tod weiterhin aktiv Anteil am Schicksal der Stadt nehmen sollte. Am 31. August 1957 starb Richard Böttger im Alter von 84 Jahren. Sein Ehrengrab befindet sich auf dem Mannheimer Hauptfriedhof.

Richard Böttger, 1955

 

 

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