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Religiöse Toleranz in Mannheim und Europa um 1685/86

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schwarz-weiß Kupferstich von Wilhelm Taudpheus, Die "fliegende Brücke" mit Ansicht von Stadt und Festung" aus dem Jahr 1669

Voll des Lobes für Mannheim und die Kurpfalz war der britische Reisende Gilbert Burnet, als er im Jahre 1686 im Zuge seiner Tour durch Europa auch diese Region bereiste.

Die Kurpfalz sei "sicherlich eines der reizendsten Landschaften Deutschlands." Beim Anblick der ausgedehnten Felder und Wiesen der Rheinebene und der weinbedeckten Hügel der Bergstraße fühle er sich nach Italien zurückversetzt, ja an die sanften Hügel der Lombardei erinnert; nur die Luft sei hier angenehmer und der Wein vorzüglich.

Kurfürst Karl Ludwig sei dieses kleine Wunder nach so vielen Jahren der Kriegszerstörung zu verdanken, so Burnet in seinem noch im gleichen Jahr veröffentlichten Reisebericht "Some letters, containing an account of what seemed most remarkable in Switzerland, Italy, some parts of Germany, etc. in the years 1685 and 1686".

Über Mannheim heißt es darin, dass es dank seiner strategischen Lage von Natur aus zum wichtigsten Ort der Kurpfalz prädestiniert sei: "gelegen an dem Ort an dem der Neckar sich in den Rhein ergießt, sodass die beiden Flüsse ihn von zwei Seiten beschützen; geeignet für eine gute Befestigung. Es stimmt, die Luft ist nicht gesund und das Wasser nicht gut, doch [der Kurfürst] errichtete dort eine feine Stadt und eine noble Zitadelle, mit einer regelmäßigen Fortifikation darum."

Situationsplan von Mannheim, der Festung Friedrichsburg zur Zeit der Belagerung, Federzeichnung (koloriert), 1688, REM

Doch was den Staatsmann und späteren Bischof von Salisbury an Mannheim am meisten faszinierte, war die von Kurfürst Karl Ludwig gewährte Liberty of Concience (Gewissensfreiheit). Denn der Fürst habe erkannt, welche Vorteile ihm die Gewissensfreiheit bei der Wiederbevölkerung der Kurpfalz gebracht habe.

Deshalb habe er die Niederlassung von Juden, Calvinisten, Lutheranern und Katholiken in der Stadt erlaubt. Symbol dieser Politik sei die von ihm errichtete Church of the Concord (Eintrachtskriche bzw. Konkordienkirche), in der es allen drei Konfessionen erlaubt gewesen sei, ihre Religion ausüben. Schließlich bewahrte der Kurfürst "den Frieden in seinem Fürstentum so vollkommen, dass es nicht das geringste Chaos gab, dass durch diese Toleranz verursacht worden wäre."

Medaille mit Abbild der von Kurfürst Karl Ludwig errichteten Konkordienkirche in der Friedrichsburg, 1679, REM

In Mannheim fand Burnet ein Beispiel für seine Überzeugung, dass eine moderate Haltung in religiösen Fragen zum Frieden und Wohlstand eines Landes entscheidend beitrage. Denn Burnet war ein Vertreter der in Cambridge entstandenen Moralphilosophie des Latitudinarismus. Dessen Anhänger propagierten eine moderate und tolerante Haltung in theologischen Fragen. Dogmatismus und die Verfolgung Andersgläubiger lehnten sie in Besinnung auf die Kernbotschaften des Christentums ab. Toleranz bedeutete in diesem protestantischen Verständnis aber nur das Dulden anderer Glaubensrichtungen, also das Ausbleiben von Gewalt und Vertreibung, nicht aber deren vollständige Akzeptanz und rechtliche Gleichstellung.

In vielen Teilen Europas stand das Jahr 1685 jedoch nicht für Toleranz und Frieden: In Frankreich hob Ludwig XIV. das Toleranzedikt von Nantes auf, die letzten verbleibenden französischen Protestanten - die Hugenotten - wurden verfolgt und mussten das Königreich verlassen. Im gleichen Jahr kam es auch im Herzogtum Savoyen zur Verfolgung und Vertreibung von Protestanten. In Burnets eigenem Land kam im Jahr 1685 mit Jakob II.  ein katholischer Monarch auf den Thron. Die mehrheitlich protestantische Bevölkerung befürchtete eine Verfolgung vergleichbar der in Frankreich. Auch in der Kurpfalz übernahm 1685 nach dem Tod Kurfürst Karls II. mit Philipp Wilhelm ein katholischer Herrscher die Regierung.

Vor diesem zeitgeschichtlichen Hintergrund offenbart sich Burnets Beschreibung von Mannheim als Teil einer politisch hochaktuellen Reiseberichterstattung. Burnet reiste durch Europa, um von diesen politisch-konfessionellen Umbrüchen Zeugnis abzulegen. Während seiner Reise durch Südfrankreich erlebte er die gewaltsame Verfolgung der Hugenotten hautnah mit.

Auch pflegte er persönlichen Kontakt zu den Mächtigen Europas: Gilbert Burnet gehörte für kurze Zeit zu den engsten Vertrauten Jakobs II., von Ludwig XIV. wurde er mit höchsten Ehren im Schloss Fontainebleau empfangen und während seines Aufenthalts in Rom wurde er vom Papst zur Audienz geladen. Seine Reise durch Europa war jedoch keine typische Grand Tour, sondern dem politischen Zerwürfnis mit Jakob und seinem Exil auf dem Kontinent geschuldet.

Burnet reiste von Genf den Rhein entlang Richtung Den Haag, Residenz Wilhelms von Oranien, Statthalter der Vereinigten Niederlanden und seiner Gattin Maria, Tochter Jakobs II. Er sollte dort enger Berater der beiden werden und sie bei der Invasion Großbritanniens, der Glorious Revolution, als Kaplan begleiten. Die Erfahrungen, die er auf dem Kontinent sammelte, sollten sein politisches Denken prägen und seinen Blick für die konfessionspolitische Gesamtlage Europas offenhalten.

Gilbert Burnet, von und publiziert von John Smith, Mezzotinto-Radierung, um 1690, National Portrait Gallery

Für den konfessionellen Frieden in der Kurpfalz sah er im Übrigen eine positive Zukunft. Der neue katholische Landesherr Philipp Wilhelm zeige guten Willen, seine Versprechen auf Gewissensfreiheit einzuhalten. Dass dem Symbol dieser Politik, der Konkordienkirche und mit ihr der gesamten Stadt eine weitere Zerstörung im Pfälzischen Erbfolgekrieg kurz bevorstand, ahnte er nicht.

Anmerkung:
Zu diesem Thema ist ein Artikel in den Mannheimer Geschichtsblättern in Planung.

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