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Pfarrer und Kommunist - Erwin Eckert

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Farbiges Plakat mit Ankündigung einer Rede von Erwin Eckert

In der Neuen Mannheimer Zeitung vom 30. Juli 1932 berichtet ein Journalist von einem Spaziergang durch die Mannheimer Spelzengärten. Er beschreibt seine Eindrücke des einstigen Elendsviertels mit seinen "blutigroten Fahnen mit der Sichel oder dem Sowjetstern", die Symbole der Kommunisten oder, wie vom Autor bezeichnet, der "Gottlosenbewegung".

Einzig eine grün-weiße Hütte, die Franziskushütte des katholischen Stadtpfarrers Schäfer, scheint dem Autor ein Hoffnungsschimmer zu sein. Dieser hatte einen Kinderhort aufgebaut und sich so im Quartier einen respektablen Ruf erarbeitet. So gibt der Journalist unumwunden seine Überraschung zu, als er bemerkt, dass der Pfarrer allerseits freundlich gegrüßt wird. Folglich ist er sich sicher, dass "dieser von dem Stadtpfarrer glücklich beschrittene Weg […] der richtige Weg zur Bekämpfung der Gottlosenbewegung sei".

Als unvereinbar galten Religion und die kommunistische Ideologie, und in der Regel beharrten Vertreter beider Seiten mit Starrsinn auf diesem Dogma. Eine Ausnahme stellt mit Sicherheit Erwin Eckert dar, der mit diesem brach, diesen Bruch behauptete und gewiss eine Art lebende Legende wurde.

Erwin Eckert im Jahre 1931

Erwin Eckert, der evangelische Pfarrer, der Kommunist wurde, war wohl einer, der nicht in den gewohnten Bahnen dachte. Einer, der sich weder von seiner Kirche in seinen politischen Ansichten beirren ließ noch in den zahlreichen Debatten mit seinen Parteikollegen von seinem Gottvertrauen abrückte.

Als er am 30. Januar 1927 in der Trinitatiskirche im Jungbusch seine Antrittspredigt hält, gibt er auch den größten Idealisten zu bedenken: "Immer wird auch in der idealsten Ordnung des Lebens Kummer und Leid sein", wendet sich aber auch gegen die Staaten mit christlicher Prägung und sagt, "daß in unserem Wirtschaftsleben ganz andere Gesetze und Maßstäbe Geltung haben als sie aus christlichem Bewußtsein sein müßten". Und so finden politische Ideologie und Religion doch einen gemeinsamen Nenner in Pfarrer Erwin Eckert.

Mit fünf Jahren kommt der in Zaisenhausen, im Kreis Bretten, geborene Sohn eines Hauptlehrers 1898 nach Mannheim, wo er später in der Neckarvorstadt ein humanistisches Gymnasium besucht. Im Jahre 1911 tritt er in die SPD ein und studiert fortan Theologie in Heidelberg, Göttingen und Basel.

Noch vor dem Ersten Weltkrieg muss Erwin Eckert Verwalter des Waisenhauses "Wespinstift" gewesen sein. Dies legt jedenfalls die Schilderung des langjährigen Stadtrates August Locherer nahe, der als Waisenkind Eckert im "Wespinstift" zum ersten Mal begegnet. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges meldet sich Eckert wie viele junge Männer freiwillig und mit Begeisterung. Erst die Schrecken des Krieges machen ihn, wie ebenfalls viele andere, zu einem Kriegsgegner.

Sein Priesteramt bringt ihn nach dem Krieg in verschiedene Städte, wie z.B. Pforzheim oder Meersburg am Bodensee. 1920 heiratet er die Mannheimerin Elisabeth Setzer, die 1922 den gemeinsamen Sohn Wolfgang auf die Welt bringt. Sein religiös-politisches Engagement entwickelt sich ebenfalls in den frühen 1920ern. So ist er 1920 an der Gründung des "Bundes evangelischer Proletarier" beteiligt, der später mit dem "Volkskirchenbund" zusammengeht. 1924 gründet er die "Arbeitsgemeinschaft der religiösen Sozialisten Deutschlands", deren Vorsitz er von 1926 bis 1931 innehat.

Die ersten Rügen für sein politisches Handeln erhält er 1925 durch die badische Kirchenleitung, weil er die Wahl Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten kritisiert. Weitere Kritik handelt er sich u.a. ein, weil er sich für die Enteignung der Fürsten ausspricht und diesbezüglich agitiert. Doch nicht nur mit seiner Kirche kommt er in Konflikt, auch seine Partei, die SPD, ist nicht immer einverstanden mit Eckerts Meinung – z.B. dann als er dem Volksbegehren der Kommunistischen Partei "gegen Panzerkreuzerbau und Kriegsgefahr" beipflichtet.

Die wohl bekannteste und sicher schwerwiegendste Abweichung von den Linien der Kirche und der Sozialdemokratie ist seine Verteidigung der Sowjetunion. So beteiligt er sich 1930 nicht am Gebet gegen die Sowjetunion auf dem Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Dies und seine energischen Reden gegen die drohende Gefahr des Faschismus in Deutschland führen letztlich zur Enthebung aus dem Pfarramt bzw. der Entlassung aus dem Kirchendienst 1931.

Im selben Jahr wird er auch aus der SPD ausgeschlossen, innerhalb der er stets der Führer der parteiinternen Opposition ist, wie sich der erwähnte August Locherer erinnert. Eine neue politische Heimat findet er fortan bei der KPD. Diesen Wechsel bezeichnet Max Faulhaber, Bruder des von den Nazis ermordeten Jakob Faulhaber, als "große Überraschung". In seinen Erinnerungen hebt Max Faulhaber Eckerts Verdienste um den "antifaschistischen Kampf" hervor. So hat Eckert auch nach seiner Zeit bei der SPD scheinbar keine Angst vor Berührungen mit den Sozialdemokraten. Vielmehr versucht er alle linken Kräfte zur Abwehr des Faschismus zu bündeln und ist maßgeblich an der Gründung des Mannheimer "Einheitsfront-Komitees" beteiligt, dem sich jedoch große Teile der SPD sowie der linke Rand der KPD verweigern.

Die Herrschaft der Nationalsozialisten bricht über Deutschland herein, Erwin Eckert ist als bekennender Antifaschist bekannt. Von März bis Juli 1933 sitzt er in "Schutzhaft", danach bis Oktober im regulären Gefängnis. In der Folge zieht er nach Frankfurt, wo er mit seiner Frau in der Nähe des Bahnhofs eine Leihbücherei betreibt. Diese wird schnell zum Anlaufpunkt des Widerstands. Sie ist vor allen Dingen Treffpunkt der Roten Hilfe, der kommunistischen Rechtshilfeorganisation. Sein Widerstand findet für Eckert im Juni 1936 mit der Verhaftung durch die Gestapo ein Ende. Drei Jahre und acht Monate verbringt er in Haft, danach steht er bis 1945 unter Polizeiaufsicht.

1946 wird er Vorsitzender der Kommunistischen Partei in Baden und ist für sie u.a. sechs Jahre als Landtagsabgeordneter tätig. Seinen Vorsitz gibt er 1950 ab. Einen Gradmesser seiner Bekannt- und Beliebtheit stellt die Mannheimer Oberbürgermeisterwahl 1949 dar. Während die KPD in den Stadtratswahlen 1947 lediglich 17,8 % der Stimmen erhält, bringt es Eckert als OB-Kandidat 1949 gegen den späteren OB Hermann Heimerich auf 34,7 % – hat also eine Strahlkraft, die weit über die Klientel seiner Partei hinausgeht.

Erwin Eckert als Hauptgast einer KPD-Veranstaltung 1946

Erwin Eckert beschwört die "Rote Einheitsfront" gegen den drohenden Faschismus, Veranstaltungsplakat 1932

Sein weiteres politisches Engagement nach dem Zweiten Weltkrieg fokussiert sich vor allem auf die Friedensbewegung. So ist er von 1950 bis 1962 Mitglied des damals von Kommunisten bestimmten Weltfriedensrates. Sein Einsatz als Vorsitzender des "Westdeutschen Friedenskomittees" bringt ihm den dritten und letzten Gerichtsprozess gegen ihn ein. Wegen "Rädelsführung in einer verfassungsfeindlichen Organisation" wird er 1960 schließlich zu neun Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt.

Der Neugründung der verbotenen KPD, der DKP, tritt er im ersten Jahr ihres Bestehens 1968 bei. Er bleibt bis zu seinem Tod 1972 Mitglied. Seine damaligen Genossen erinnern sich durchweg mit Ehrfurcht an den Pfarrer: "Er war ein grundehrlicher Mann der Linken", erinnert sich August Locherer. Er schiebt allerdings nach, dass Eckert nie aus der Kernklientel der Kommunisten kam: "Er war kein Angehöriger der Arbeiterklasse, sondern war und blieb Pastor, der seine Schäflein um sich haben wollte, der gerne vorne an der Spitze stand."

Und obgleich er seiner kommunistischen Weltauffassung nie mehr den Rücken kehrte, vollzog er auch nie die Abkehr vom Christentum: "Ich erinnere mich aber, daß ich ihn an seinem 75. Geburtstag mit noch ein paar Genossen in seinem Großsachsener Häusschen besucht habe. Bei der Gelegenheit tippte ich das Thema Religion noch einmal an; doch er blieb bei seiner Auffassung, er wich nicht vom rechten Wege ab."

Portraitzeichnung aus der Rhein-Neckar-Zeitung Nr. 148 vom 28.07.1949

So kann Erwin Eckert in keiner Weise als Stereotyp eines "linientreuen" Kommunisten oder dogmatischen Christen gelten, der den Ranghöheren das Denken überlässt. Im Gegenteil zeichnet ihn zeitlebens ein Führungsanspruch aus, der wohl nicht immer auf Gegenliebe gestoßen ist. So berichtet der Altstadtrat Locherer auch davon, dass sich Eckert nicht an Absprachen gehalten habe, wie Redeinhalte aufzuteilen seien und stets selbst alles abgearbeitet habe. Es zeigt sich also, dass sein Enthusiasmus für seine Überzeugung durchaus auch ins Unkooperative umschlagen konnte. Letztlich geht Eckert jedoch als Diener der einfachen Menschen und des Friedens in die Geschichte ein und vereint so die Ideale von Religion und linker Politik.

Queer im Leben - Mannheims erster CSD

Der Christopher Street Day (CSD) ist mittlerweile eine feste Institution im Mannheimer Veranstaltungskalender. Doch wann war eigentlich der erste CSD in Mannheim? Dies zu beantworten ist gar nicht so einfach. Im Folgenden wird Christian Könnes Antwort aus "Queer im Leben – Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in Geschichte und Gegenwart der Rhein-Neckar-Region" nachvollzogen.

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