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„Unsere Anette“ – Anette Langendorf

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Anette Langendorf im Gespräch mit Hilde Baumann

„Es ist doch im Deutschen Reich so, dass tatsächlich der Arbeiterschaft gar nicht die Möglichkeit gegeben ist, ihre Kinder zu ernähren, und es ist meines Erachtens ein viel größeres Verbrechen, wenn man Kinder in die Welt setzt, wo man genau weiß, dass man die Kinder überhaupt nicht erziehen und groß bringen kann.“

So begründet Anette Langendorf 1930 eine Anfrage zur Amnestie von Personen, die gegen den § 218 StGB verstoßen hatten – das Gesetz über den Schwangerschaftsabbruch. „Wir verlangen nicht Gnade, sondern dass ausgleichende Gerechtigkeit sei gegenüber den Leuten, die ihr verhungern lasst und dann auf die Anklagebank bringt“, sagt sie am 26.04.1932 als die Anfrage abermals gestellt wird. Sie sitzt für die KPD, deren Parteisekretärin sie auch ist, im Badischen Landtag.
Schon von klein auf – ihr Vater, Josef Glanzmann, war Leiter des Textilarbeiter-Verbandes in Leipzig – ist Antonie Glanzmann, so ihr Geburtsname, politisch engagiert. Ab 1908, mit 14 Jahren, ist sie in der sozialistischen Jugendbewegung aktiv. Nur zwei Jahre danach tritt sie offiziell in die SPD ein. Wie viele andere nimmt sie den Weg über die USPD in die KPD. 1921 zieht sie nach Friedrichsfeld und ist dort im nächsten Jahr Gemeindeverordnete, ab 1930 nach der Eingemeindung Friedrichsfelds ist sie sogar Stadtverordnete in Mannheim. Ihre politische Laufbahn trägt sie obendrein bis zum badischen Landtag, in dem sie von 1929 bis 1933 einen Sitz für die KPD hat.


Feier des 75. Geburtstags des Bürgermeisters Böttgers im Zimmer des OB Cahn-Garnier im damaligen Rathaus in R 7. Anette Langendorf (rechts, zweite Reihe) als einzige Frau im Saal., 10.06.1948, MARCHIVUM (KF013514)

Ihre stark ausgeprägte soziale Ader zeigt sie durch passionierte Reden im Landtag zu Themen, die die „Schwachen“ der Gesellschaft betreffen. Als weiteres Beispiel kann ihr Einsatz für einen das Selbstbestimmungsrecht der Jugend gelten. Hierzu bringt sie am 15.01.1930 vor: „Man behauptet, daß die Arbeiterjugend noch nicht reif sei für die politische Betätigung, aber reif ist diese Jugend acht, neun und zehn Stunden zu arbeiten, reif war diese Jugend, seinerzeit in den Krieg zu ziehen. […] Dazu war die Jugend also reif genug, aber dazu ist sie nicht reif genug, über ihr eigenes Schicksal zu bestimmen.“ Zahllose weitere Zitate ließen sich anführen.
1933 wird Anette Langendorf mit der Machtübernahme Hitlers aus dem Badischen Landtag entlassen. Ihre politische Arbeit findet jedoch kein Ende, sondern verlagert sich in die Illegalität. Nachts werden Plakate geklebt, Parolen verteilt und an die Wände gemalt. Die Reihen ihrer Genoss*innen lichten sich unter diesen Umständen. Viele werden verhaftet, darunter ist auch ihr Mann Rudolf Langendorf. Dieser wird erst 1935 aus der Haft entlassen.


Anette Langendorf (links) im Gespräch mit Stadträtin Hilde Baumann (SPD), Januar 1957, MARCHIVUM (KF011459)

Anette Langendorf flüchtet nach Basel zu Verwandten, um ihre Spuren zu verwischen. 1934 versucht sie, nach Mannheim zurückzukehren – wird aber festgenommen und verhört. Kurze Zeit darauf wird sie im Haus einer ihrer Verwandten, die unter Bewachung steht, inhaftiert. Im selben Jahr wird sie wieder entlassen – steht allerdings noch drei Jahre lang unter Polizeiaufsicht. Nun beginnt ihre Arbeit mit Georg Lechleiter, den sie schon vorher durch die Kooperation in der KPD kannte. Er bringt die Zeitung „Rote Fahne“ zu ihnen, die dann mit der Hilfe u. a. der Langendorfs verteilt wird. 1938 wird die Zeitung „Der Vorbote“ gedruckt, was einer der Gründe ist, aus denen sich Rudolf Langendorf, der auch bei der redaktionellen Arbeit hilft, und Georg Lechleiter oft in der Wohnung der Langendorfs treffen. Über die Motive des Widerstands berichtet Anette Langendorf rückblickend, dass man sich über die Erfolgschancen keine Illusionen gemacht habe. Es sei darum gegangen, Fanale aufzurichten. Zudem sei man davon überzeugt gewesen, dass Hitler gleichbedeutend mit dem Krieg sei, den Deutschland verlieren würde. Sie sollte Recht behalten.
Im selben Jahr nimmt die Repression des NS-Staates weiter ihren Lauf. Insgesamt werden 28 ihrer Genossen verhaftet.  In Mannheim gipfelt sie im bekannten Todesurteil vom 15. Mai 1942 als vierzehn Menschen, heute bekannt als „Lechleiter-Gruppe“, zum Tode verurteilt werden. Ihr Mann gehört zur Gruppe der Unglücklichen. Er schreibt am 14. September, dem Abend vor der Urteilsvollstreckung, an seine Frau:
„Meine liebe Anette! Mein bester Kamerad! Deine Ahnung hat dich nicht getrogen. Heute sahen wir uns wirklich zum letzten Mal. Vor etwa einer Stunde wurde mir und meinen Kameraden eröffnet, dass das Gnadengesuch abgelehnt sei und die Vollstreckung des Urteils morgen früh um 5 Uhr erfolge. […] Ich danke Dir für alles Schöne und Gute, was ich durch dich hatte. Mögen Dir noch viele und schöne Jahre beschieden sein und sich der Schmerz langsam wandeln in lichtes Gedenken. In ewig Dein Rudolf“.
Ihr bleiben noch Kurt und Hans, ihre beiden Söhne. Diese werden 1941 eingezogen. Hans gerät in Gefangenschaft und kommt ins Kriegsgefangenenlager Wolisowo [Volosovo] in Russland; er wird dort am 24.Februar 1945 ermordet.
Am 23. Mai 1942 kommt Anette Langendorf selbst ins Gefängnis, wird aber am 13. Juni wieder freigelassen. Nur zwei Jahre danach, am 22. August 1944, wird sie im Rahmen der „Aktion Gewitter“ erneut gefangen genommen. Am 9. Dezember 1944 kommt sie in das KZ Ravensbrück. Sie überlebt diese Haft, da sie gute Kontakte zu KPD-Frauen hat, die ebenfalls inhaftiert sind. Anette Langendorf versucht dort zusammen mit Erika Buchmann, heimliche Schulungszirkel zu bilden oder gefährdete Genossinnen zu verstecken, um somit Solidarität untereinander aufzubauen.


Porträt von Anette Langendorf, 1958, MARCHIVUM (KF008160)

Nach der Befreiung durch die Rote Armee 1945, nimmt sie ihre politische Tätigkeit sofort wieder auf. 1946 gehört sie zur Vorläufigen Volksvertretung Württemberg-Baden sowie zur Verfassungsgebenden Landesversammlung Württemberg-Baden. Außerdem ist sie, wie 1922, Mitglied im Gemeinderat in Mannheim. 1947 gründet sie mit Jakob Baumann die Kreisvereinigung Mannheim der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Die VVN vermittelt in dieser Anfangszeit Unterkünfte und stellt sicher, dass benötigte Lebensmittel die Menschen erreichen.
1956 gehört Anette Langendorf nach dem Verbot der KPD als Parteilose dem Gemeinderat an. Alle guten Dinge müssen jedoch enden, und so berichtet die Rhein Neckar Zeitung am 23. Oktober 1959: „Vor einigen Jahren schrieben wir einmal: Wenn sich die (damals noch KPD-) Stadträtin Anette Langendorf jemals aus der kommunalpolitischen Arbeit des Gemeinderates zurückziehen müßte – es käme sie hart an, ist sie doch in der öffentlichen Arbeit großgeworden. Nun ist es soweit. Durch die Ablehnung der Liste der Mannheimer Wähler-Vereinigung (auf der Anette Langendorf auf Platz 2 stand) scheidet die menschlich recht sympathische Stadträtin aus dem Gemeinderat aus.“ Anette Langendorf legt ihr Mandat freiwillig nieder.
Doch statt ihren Ruhestand zu genießen, geht es für sie weiter. 1959 stellt sie einen Antrag für die Entschädigungsansprüche von Rudolf Langendorf, der zu Unrecht ermordet wurde. Außerdem bleibt sie weiterhin in der VVN Baden aktiv. 1968 tritt sie auch noch in die neu gegründete DKP ein. Ferner darf sie 1947 erleben, wie die Belchenstraße in die Rudolf-Langendorf-Straße umbenannt wird.

Am 23. Juni 1969 verstirbt sie schließlich nach kurzer Krankheit in Mannheim. Sie erhält ein Ehrengrab auf dem Friedhof in Mannheim-Friedrichsfeld.
In ihren Nachrufen in der Zeitung liest man von „unsere[r] Anette“, „ein Leben für die Arbeiterbewegung“ und „geistiger Mittelpunkt der KPD“. Sie war und ist vielerorts geschätzt und geliebt gewesen. Zu ihrem Tod 1969 schreibt der damalige Oberbürgermeister Hans Reschke: „Antonie Langendorf hat unter uns gelebt und sie hat für uns gelebt. Wir werden sie vermissen.“ Heute ist in Turley ein Park nach ihr benannt.