Breadcrumb-Navigation

Kriminalfälle in Mannheim - "Die Ehetragödie von K3" (1907)

Kategorien
schwarz-weiß Foto vom Mannheimer Paradeplatz mit dem Alten Kaufhaus im Bildhintergrund, 1907

"Die Ehetragödie von K 3", so titelte der Mannheimer Generalanzeiger vor über 120 Jahren am Rosenmontag: Der 30-jährige Arbeiter August Ronellenfitsch hatte seine im sechsten Monat schwangere Ehefrau Anna und seine zwei kleinen Söhne, August junior, drei Jahre, und Karl, 15 Monate alt, daheim in K 3, 28 mit einem Dolch am Nachmittag des 11. Februar 1907 brutal ermordet.

Mit dem blutigen Dolch in der Hand zeigte sich der Mörder selbst noch am frühen Abend auf der Polizeiwache in G 5 an und verkündete: "Die Tat ist vollbracht". Die Menschen in der Unterstadt in Mannheim, die eigentlich gerade im Faschingstreiben durch die Gassen zogen, waren erschüttert und fassungslos.

Portrait von August Ronellenfitsch (1876-1908), vermutlich im Jahr 1907, MARCHIVUM

Bald drängten sich Menschenmassen in den Straßen rund um den Tatort, so dass Geschäfte sicherheitshalber schlossen. Die Zeitung berichtete: "Ein zu großer Kontrast! Unten auf der Straße der bunte Mummenschanz und oben im vierten Stock die blutigen Opfer".

Das Eckhaus K 3, 28 im Jahr 1982. Familie Ronellenfitsch wohnte beengt mit drei weiteren Parteien im 3. Stock, MARCHIVUM

Wer war der Täter, was war geschehen und warum mussten eine junge Frau und ihre beiden Kinder sterben?

August Ronellenfitsch, 1876 in Konstanz als Sohn eines Schuhmachers geboren, hatte seine Jugend weitgehend in Lichtental bei Baden-Baden verbracht. Als er zwölf Jahre alt war, starb seine Mutter, daher kümmerte sich seine Großmutter um ihn. Später erlernte er das Schreinerhandwerk, wechselte dann aber lieber als Schiffsknecht auf ein Kanalschiff und zog umher. Seit 1900 lebte er in Mannheim und arbeitete bis zum Tattag über fünf Jahre als Hausbursche und Bote in der Ledergroßhandlung von J. Guthmann. Sein Chef beschrieb ihn als sehr zuverlässig, er habe auch, bis auf den Tattag, nie "blau gemacht". Selbst einer der Gutachter im Prozess erläuterte Ronellenfitsch sei arbeitsam, genügsam und "er habe sich lange Jahre den Interessen seines Herrn eifrig angenommen".

Seine spätere Ehefrau Anna Kühn aus Karlsruhe-Mühlburg, die in Mannheim als Dienstmädchen tätig war, lernte er über seine Vermieterin kennen. Damals war sie von einem anderen Mann schwanger. Im Prozess wird es heißen, "doch nahm der Angeklagte daran keinen Anstoß". Das Kind, ein Mädchen, starb dann aber kurz nach der Geburt.

August und Anna heirateten bald darauf und bekamen zwei Buben, die als "bildhübsch" beschrieben wurden. Es hieß auch, der junge Familienvater sei seinen Kindern sehr zugetan gewesen. Die Wirtin Stephanie Hock seiner Stammkneipe in I 7, 5, in der er die Wochenenden gern verbrachte, wurde in der Zeitung zitiert: "Sonntags kam er immer mit dem großen Kinde, er zeigt große Liebe zu demselben, wie man sie bei Männern nicht häufig findet." Auch einer der Gutachter, Medizinalrat Kugler, erklärte, Ronellenfitsch "war für seine Familie besorgt, er war heiter und lebensfroh."

Doch man bescheinigte dem Familienvater auch eine andere, mitunter dunkle Seite. So gaben die Zeug*innen an, er habe öfters getrunken und war dann meist streitsüchtig und roh, habe seine Frau auch misshandelt und ihr wenig Geld vom Lohn gegeben. Der Gutachter bestätigte während des Prozesses, Ronellenfitsch könne auch "unendlich roh und zynisch" sein und sich "in der gemeinsten Weise … ausdrücken … Er ist ein eitler Mensch und prahlt gern vor anderen auch mit Schlechtigkeiten." Dem fügte er noch hinzu, dass der Angeklagte, es kaum ertragen habe vor anderen bloß gestellt zu werden bzw. auch nur das Gefühl zu haben, dass es sich so verhalte. Auch sei er rachsüchtig und könne nur schwer mit Beleidigungen und Unrecht umgehen.

Gutachter Kugler leitete daraus im Prozess auch das Motiv der Tat her. Ronellenfitsch selbst sagte, er habe erst vor einiger Zeit erfahren, dass seine Frau, bevor sie sich kennen gelernt hatten, schon Kinder hatte. Auch wenn diese wohl wie das Mädchen verstorben waren, empfand er dies als unglaubliche Kränkung, mit der er sich offenbar nicht abfinden konnte. Gutachter Kugler wird dazu zitiert: "Von diesem Moment ab hat er mehr getrunken, sich um seine Familie nicht mehr gekümmert … hat Geld, das …  für seine Familie bestimmt war, in leichtsinniger Weise vertan und sich darüber in rohester Weise ausgedrückt."

Die Situation hatte sich zugespitzt als Anna Ronnellenfitsch erneut schwanger wurde und er ihr ohne wirklichen Grund Untreue unterstellte. Außer ihm glaubte dies offenbar auch niemand der vielen Zeug*innen, im Gegenteil. Keiner sah bei ihr die Schuld. Annas frühere Arbeitgeberin Frau Emilie Lacroix brachte es wohl auf den Punkt: "Sie war fleißig, brav und zuverlässig". Von den Spannungen hatte aber selbst die Familie nichts mitbekommen. Aber die Lage spitzte sich am Faschingswochenende weiter zu.

Symbolfoto: Eine Gruppe in Feierlaune bei einer Tanzstunde 1910 während der Faschingszeit, MARCHIVUM

Das weitere Geschehen wurde wie folgt rekonstruiert:

Am Faschingssonntag war Ronellenfitsch als Harlekin verkleidet durch die Wirtschaften gezogen und erst nachts gegen drei Uhr heimgekommen. Bereits hier soll er zu einem Wirt und anderen Zeugen gesagt haben: "Ihr werdet bald noch etwas hören." Am Rosenmontag sei Ronellenfitsch zwar um halb acht Uhr aus dem Haus gegangen, aber nicht zur Arbeit, sondern wieder in seine Stammkneipe, wo er weiter trank. Seine Frau kam am Vormittag in die Wirtschaft und habe, wie der Zeuge Adam Cig aussagte "in normaler Stimme" zu ihm gesagt: „August! Du sollt ins Geschäft kommen“, es wäre jemand von Guthmann bei ihr gewesen. Die Wirtin sagte aus, er habe sie mit den Worten weggeschickt: "Gehe heim Du Schlamp[e], Du hast ja Deinen Unterrock hervorgucken." Als er schließlich am Mittag zum Essen nach Hause ging, soll seine Frau ihm dies verweigert haben und laut seiner Aussage gesagt haben "Geh hin, wo Du gesoffen hast." Er nahm sich daraufhin Geld und kehrte in die Wirtschaft zurück. Am frühen Nachtmittag besorgte er sich in einem Spezialgeschäft einen Dolch, den er noch eigens schärfen ließ.

Er hatte noch einen Hausbewohner getroffen und zu ihm gesagt, "er sei mit seiner Frau uneins. Er habe sich deswegen einen Knicker gekauft und wolle damit Frau und Kinder umbringen." Er kündigte auch an anderer Stelle an: "Heute passiert noch was." Aber niemand nahm das richtig ernst, es war Fasching und er hatte einiges an Alkohol getrunken, wenngleich alle später bezeugten, dass er nur angetrunken gewesen sei, da er viel vertragen würde.

Gegen halb vier Uhr kam der Familienvater "mit finsterer Miene" nach Hause und ging in die Küche, wo er auf seine Ehefrau losging. Während er es so darstellte, dass er sie wehrlos machte und ihr den Mund zuhielt, bezeugte Nachbarin Stephanie Benz, dass sie Hilfeschreie gehört hatte. Das erscheint auch plausibel, denn laut Gutachter musste sich die junge Frau verzweifelt gegen ihren Mörder gewehrt haben. Die tiefen Schnitte in den Händen und klare Abwehrverletzungen sprachen eindeutig dafür. Letztlich zerschnitt einer der Stiche die Halsschlagader, die junge Frau verblutete. Sie lag in der Küche mit dem Gesicht auf dem Boden in einer großen Blutlache. Die beiden kleinen Kinder wurden im Wohnzimmer in einem eisernen kleinen Bett gefunden, sie waren im Schlaf brutal erstochen worden.

Auszug aus der Meldekarte der Familie Ronellenfitsch. Bei der Ehefrau Anna und den Kindern August jr. und Karl ist als Sterbedatum der 11. Februar 1907 eingetragen, MARCHIVUM

Während die Nachbarin Benz in der offenstehenden Wohnung die Leichen entdeckte, ging der Mörder noch in die Wirtschaft "Stadt Bruchsal" und ließ sich eine Weinschorle bringen. Der Wirt Josef Engler erinnerte sich, er "habe heftig gezittert". Auf die Frage, was passiert sei, meinte der Täter, das werde er am Abend erfahren. Er sei dann rückwärts zur Tür gegangen und habe dem Wirt die blutverschmierten Hände hingezeigt und gerufen: "Ich hab meine Frau und meine zwei Kinder totgestochen und jetzt geh ich auf die Polizeiwache und tu’s melden." Und so geschah es auch.

Auf der Polizeiwache, im Gefängnis und bei der psychologischen Begutachtung fielen besonders seine ständigen Stimmungswechsel auf. So wurde berichtet: "Dann fiel er von einem Extrem ins andere, einmal sang er, einmal weinte er vor sich hin. Er habe nicht nur seine Frau sondern auch seine Kinder ermordet, damit sie nicht später sagen könnten, daß ihr Vater ein Mörder gewesen sei." Während er am Tattag noch mit allem prahlte, wurde er die Tage darauf mitunter einsilbig, gab später auch an, er könne sich nicht mehr richtig erinnern.

Drei Tage nach der Bluttat wurden Anna Ronellenfitsch und die beiden Kinder bestattet. Es waren Angehörige beider Familien anwesend. Besonders erwähnt wurde der "schmerzgebeugte" Vater der Ermordeten und eine Schwester, auf deren Wunsch, die Bestattung früher erfolgte, um allzu großen Andrang zu verhindern. "Die einfache Trauerfeier machte auf alle Anwesenden einen tiefergreifen Eindruck", berichtete die Zeitung. Die Beerdigung mit Einsegnung in der Trauerhalle dauerte nur 20 Minuten. Dann strömten viele Mannheimer*innen auf den Friedhof, um ihre Anteilnahme zu bekunden.

Im Prozess waren sich die Sachverständigen nicht ganz einig. Medizinalrat Kugler sah das Hauptmotiv Ronellenfitschs "in der Verletzung seiner Eitelkeit und die Erregung seiner Eifersucht" und ging davon aus, dass die Tat ein Racheakt war. Für Kugler war der Angeklagte "strafrechtlich zurechnungsfähig". Der Sachverständige Dr. Wilmann aus Heidelberg, der Ronellenfitsch im 'Irrenhaus' begutachtet hatte, sah dies anders: "Seine Stimmungen war eine ungemein wechselnde und schwankende. Mal war er gefasst, mal übermütig und humoristisch, mal gereizt dann wieder von dumpfer Verzweiflung." Der Sachverständige fasste zusammen, dass man "überrascht von dem Widerspruch zwischen seiner Laune und seiner Lage war", und kam zu dem Urteil, dass die Stimmungsschwankungen pathologisch seien und er abnorm empfindlich auf Alkohol reagiere. Er ging davon aus, dass der Täter letztlich unter Einfluss des Alkohols die Tat geplant und ausgeführt habe und damit nicht voll schuldfähig sei.

Die Geschworenen folgten letztlich dem Staatsanwalt, der Ronellenfitsch auch für voll schuldfähig hielt, und erkannten die Tat als Mord an der Frau und Totschlag an den Kindern. Sie lehnten zudem mildernde Umstände ab. August Ronellenfitsch wurde daraufhin wegen Mordes zum Tode und wegen Totschlags zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Der gestellte Revisionsantrag wurde im September 1907 abgelehnt, die Zeitung "Der Landbote" berichtete, dass "Ronellenfitsch in strenge Einzelhaft gebracht worden" sei und dass, "der Delinquent sehr blaß aussieht … tagsüber trägt er ein apathisches ruhiges Wesen zur Schau …Nur des Nachts wird er sehr unruhig; sein Schlaf wird oft durch unruhige Träume gestört, aus denen er mit lautem Schrei erwacht."

Der Erbgroßherzog, ab September 1907 Großherzog Friedrich II von Baden, mit seiner Gattin bei seinem Besuch in Mannheim am 1. Mai 1907, MARCHIVUM

Doch Großherzog Friedrich II. von Baden, der seit Ende September 1907 nach dem Tod seines Vaters, zum Regenten nachgefolgt war, begnadigte den zum Tode verurteilten zu lebenslänglichem Zuchthaus. Ronellenfitsch gab sich aber nicht geläutert, sondern soll großspurig betont haben, "er habe mit der Begnadigung gerechnet". Er wird nun in das Zuchthaus Bruchsal gebracht, "wo sich hinter ihm die Tore … für immer schließen werden".

Aber bereits ein knappes halbes Jahr berichten die Zeitungen, dass der "Familienmörder Ronellenfitsch" sich in der Nacht zum 16. April 1908 in seiner Zelle im Zuchthaus Bruchsal erhängt habe.

Der Fall macht nachdenklich und betroffen auch 120 Jahre danach. Vielleicht trifft uns dies umso mehr, da solche 'Tragödien' oder 'Familiendramen' auch heute immer wieder für Schlagzeilen sorgen.

Symbolfoto: Die Anforderungen an Arbeiterfrauen waren in der Kaiserzeit besonders hoch. Neben oft prekären Lebensverhältnissen mussten sie sich auch zwischen vielen gesellschaftlichen Zwängen und Forderungen zurechtfinden. Das Foto ca. 1910 zeigt Frauen in der Volksküche II in der Schwetzingerstadt, MARCHIVUM

Ein Mord an einer Frau, aus gekränkter Eitelkeit, aus Rachsucht und Kontrollverlust nennt man heute "Femizid", also einen Mord an einer Frau, weil sie eine Frau ist. Die Kinder konnten Ronellenfitsch nicht so viel bedeuten. Das Motiv, das er angab, war nur Ich-bezogen, es ging ihm nur um seinen eigenen Ruf, er wollte nicht, dass die Kinder ihn verachteten. Hätte er sich selbst direkt nach der Tat das Leben genommen, hätte man von einem "erweiterten Suizid" gesprochen. Besser sollte man also hier von einem "erweiterten Femizid" sprechen, wenn man das Motiv hinter dem Dreifachmord benennen will. Letztlich fanden die Zeitungen von damals bereits beim Prozess im Abschluss den vielleicht richtigen Begriff, als sie nicht mehr von einer Familientragödie oder Drama, sondern von einem "Familienmord" sprachen.

Uns bleibt heute nur noch den Opfern von damals zu gedenken: an Anna Kühn und ihre beiden Söhne August und Karl und auch an all die anderen Opfer von häuslicher Gewalt – auch in unserer Stadt.

alles zum Thema: Familienmord, Stadtgeschichte

Stadtteilgeschichte digital - Seckenheims historische Zeitung "Neckar-Bote" ist online

Im Herbst 2023 wurde die historische Regionalzeitung "Neckar-Bote" (ehemals „Seckenheimer Anzeiger“) im MARCHIVUM online gestellt. Zu diesem Anlass kamen die Eigentümer*innen der Schmidt & Sohn GmbH Druck und Verlag, in deren Besitz sich alle Zeitungsbände befinden, ins MARCHIVUM. Ab sofort sind die Digitalisate für alle Interessierten und Forschenden per Mausklick auf "MARCHIVUM Druckschriften digital" abrufbar.

Ganzer Beitrag