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Löwe, Eisbär und Co - Der Tierpark am Karlstern

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schwarz-weiß Foto eines Eisbären im Tierpark am Karlstern, nach 1945

Vielleicht können sich die älteren Leser*innen noch an den Tierpark am Karlstern erinnern, der bis 1956 von Paul Bolich geführt wurde. Sogar Löwen und Eisbären tummelten sich damals in den Gehegen im Käfertaler Wald. Die Frage der Zukunft des Tierparks erhitzte Anfang der 1950er Jahre die Gemüter.

Der Tierpark wurde ursprünglich als Attraktion für die Besucher*innen des Restaurants am Karlstern errichtet. Im Jahr 1930 berichtet die Neue Mannheimer Zeitung über die Gründung eines Tierparkvereins, der sich um die seit einiger Zeit beim Restaurant am Karlstern lebenden Tiere kümmern wollte. Der Tierbestand war recht klein: Neben einem Rothirschpaar wurden zwei Gänsegeier, zwei Steinadler, Pelikane, Jungfernkraniche, einige Raub- und Kleinvögel sowie Affen und ein Dachs gehalten. Auf der Gründungsversammlung des Tierparkvereins erläuterte der Referent, dass der Tierpark erweitert werden sollte (NMZ, 28.7.1930).

Bereits im Jahr darauf muss der Tierbestand eine deutliche Erweiterung erfahren haben, denn im Juni 1931 berichtete dieselbe Zeitung vom Ausbruch einer Berberlöwin. Offenbar hatte der Wärter die Tür des Eisbärengeheges nicht richtig verriegelt, so dass die jungen Eisbären, die im Bericht als "überaus zahme Tiere" beschrieben werden, ins Löwengehege gucken konnten. Daraufhin gerieten die Löwen in Panik und ein Weibchen sprang auf die Brüstung. Als der Wärter das aufgeregte Tier in den Käfig zurücklocken wollte, sprang die Löwin ins Freie und wurde - ehe sie den Wald erreichen konnte - vorsichtshalber erschossen. Allerdings betont der Schreiber des Artikels, dass das Tier nicht böswillig gewesen sei. In diesem Fall wäre ein Unglück nicht zu vermeiden gewesen, da zahlreiche Schaulustige herbeigeströmt seien, um alles aus nächster Nähe beobachten zu können. Einige Personen seien sogar am Zaun des Löwenkäfigs emporgeklettert, um besser sehen zu können, obwohl die Löwen locker an den Zaun hätten kommen können. In der Folgezeit wurde die Brüstung vorsichtshalber um 80 cm erhöht.

Im Sommer 1932 wurde in der Presse berichtet, dass Philipp Sommer, der Besitzer des Restaurants am Karlstern, den Tierpark im Laufe des Jahres in "eigene Regie" genommen und einen Tierpfleger eingestellt habe (NMZ, 20.8.1932). Die Anlage wurde erweitert und für Kinder Gelegenheit zum Schaukeln und Karussellfahren geschaffen. Gehalten wurden u.a. Braun- und Eisbären, Seelöwen, Füchse, Affen, Rehe, Hirsche und verschiedene Vogelarten.


Eisbär im Tierpark am Karltsern, allerdings in einer Aufnahme nach 1945, Fotonachlass: Steiger, MARCHIVUM

Mit der Gründung des Heidelberger Zoos im Jahr 1933 flackerte eine Diskussion, die bereits in den 1920er Jahre geführt wurde, wieder auf. Es ging um die Frage, ob man auch in Mannheim einen Zoo gründen solle. Allerdings wurde das Projekt nie umgesetzt. Man war mit den beiden Tierparks im Waldpark und am Karlstern zufrieden und wollte von Seiten der Stadt nicht in einen Zoo investieren.

Als der Sohn des bisherigen Betreibers Philipp Sommer 1938 Mannheim verließ, verpachtete Sommer den Tierpark an Paul Bolich, der einen kleinen Wanderzirkus besaß und im Tierpark seine ehemaligen Zirkustiere unterbrachte. Eine der ersten Maßnahmen Bolichs bestand darin, an den späteren Reichsminister und Löwen-Fan Hermann Göring zu schreiben, mit der Bitte um einen Löwen für sein einsames Mannheimer Löwenweibchen. Tatsächlich schenkte Göring ihm einen Löwen. Das Tier wurde in einem Spezialtransportkäfig mit der Bahn aus Berlin gebracht (NMZ, 12.9.1938).

Nach der Bombardierung des Tierparks im Jahr 1941 zog die Familie Bolich 1943 mit ihren restlichen Tieren nach Schönau bei Heidelberg. Doch bereits im August 1945 begann Paul Bolich mit dem Wiederaufbau des Tierparks. Damals hatte er gerade noch einen Affen. Bereits fünf Jahre später waren die Gehege erneut von allerlei Tieren bevölkert. Selbst ein Löwe zog wieder ein.


Löwe im Tierpark am Karlstern nach 1945, Fotonachlass: Steiger, MARCHIVUM

Zwischen Philipp Sommer und seinem Unterpächter Bolich kam es offenbar bereits vor dem Krieg zu Differenzen. 1948 kam es endgültig zum Zerwürfnis, und der Pachtvertrag wurde gelöst. Bolich schloss daraufhin einen eigenen Pachtvertrag mit der Stadt ab. Damit wurde der Tierpark von der Gaststätte abgekoppelt. Nun musste der Tierpark wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen. Dies gelang aber nicht, da in den Sommermonaten nicht genug erwirtschaftet wurde, um die Wintermonate überbrücken zu können. Die Rhein-Neckar-Zeitung berichtete im November 1948 von den verheerenden Zuständen im kaum besuchten Zoo. Einige Tiere seien bereits verhungert und die Exoten seien in Bolichs Wohnung einquartiert worden, um sie vor Kälte zu schützen. Gleichwohl fand der Schreiber, dass Bolich "der rechte Mann" sei, um den Tierpark wiederaufzubauen, wenn er nur finanzielle Unterstützung erhielte (RNZ, 3.11.1948). Tatsächlich ersuchte Bolich die Stadt immer wieder um Darlehen, die auch gewährt wurden. Da Bolich finanziell nicht in der Lage war, die Darlehen zurückzuzahlen, wurden sie ihm von der Stadt erlassen und in Zuschüsse umgewandelt.


Lageplan des Tierparks und der Gaststätte, Maßstab 1:2.000, 1949, MARCHIVUM

Die Zukunft des Tierparks wurde leidenschaftlich diskutiert und ausgiebig in der lokalen Tagespresse besprochen. Während Bolich und Teile der Öffentlichkeit mit Begeisterung vom Tierpark sprachen und immer wieder die Liebe und Hingabe Bolichs für sein Tiergarten-Projekt betonten, wurden verstärkt kritische Stimmen laut: Letztlich sei der Tiergarten in seiner bestehenden Form nichts Halbes und nichts Ganzes. Er sei nicht attraktiv genug, um seine Existenz selbst sichern zu können. Die Enge der Käfighaltung wurde zunehmend kritisiert und mitunter wurde Bolich sogar Tierquälerei vorgeworfen. Auch waren Gebäude und Zäune des Tierparks renovierungsbedürftig und er verfügte über keine öffentlichen sanitären Einrichtungen. Ein Kanalanschluss war dringend von Nöten ebenso wie eine öffentliche Toilette. Auch die Verkehrsanbindung war schlecht und hätte ausgebaut werden müssen, denn der Tierpark lag ca. eine halbe Stunde Fußweg von der nächsten Straßenbahnhaltestelle entfernt. Gerade die Schulen führten an, dass sie mit ihren Klassen gerne den kleinen Zoo besuchen würden, es aber zu weit sei.

Man hätte also einiges Geld in die Hand nehmen müssen, um den Tierpark zu einem modernen und anziehenden Zoo auszubauen. Die Befürworter des Tierparks hielten dem entgegen, dass der "einzelne Zoobesucher … diese Mängel dagegen liebend gern [übersah], wenn er nur ein paar frohe Stunden hier verbringen durfte." (MM, 21.12.1989). Auch der Vorstand des Verbands deutscher Tierparkbesitzer, Hagenbeck (Hamburg), stellte dem Tierpark nach einer Inspektion kein allzu schlechtes Zeugnis aus (AZ, 3.4.1951).


Eingangsbereich des Tierparks, Fotonachlass: Steiger, MARCHIVUM

Anfang der 1950er Jahre ließ die Stadt eine Prüfung des Tierparks vornehmen. Die Stadtwerke fürchteten eine Verunreinigung des Bodens durch die Ausscheidungen der Raubtiere, denn das Gebiet lag in einem für die Trinkwasserversorgung notwendigen Gebiet. Forst- und Gartenbauamt sprachen sich entschieden gegen den Tierpark in seiner bestehenden Form aus, "weil der Tierpark den einfachsten hygienischen Anforderungen nicht entspricht. Auch der ästhetische Eindruck des Tiergartens ist alles andere als schön. Die Tiere sind dortselbst viel zu eng aufeinander gepfercht. In der ganzen Anordnung der Gehege herrscht weder System noch Ordnung. Der bauliche Zustand der Räumlichkeiten ist schlecht." (Schreiben des Gartenbauamts vom 17.1.1953, 13/77, Nr. 2257). Alternativ schlugen sie eine Art Vogelpark mit ausschließlich heimischen Tieren vor. Außerdem kehrte in dieser Zeit Herr Sommer jun. nach Mannheim zurück und bot an, den Tierpark in seiner ursprünglichen Form als Teil des Restaurants am Karlstern fortzuführen. Herr Bolich beschwerte sich daraufhin massiv über die mangelnde Unterstützung seitens der Stadt.


Paul und Käthe Bolich, 1956, Fotonachlass: Steiger, MARCHIVUM

Den kostspieligen Tierpark übernehmen und in eigener Regie modernisieren, wollte die Stadt aber auch nicht. Wobei gerade die Frage, was der Ausbau und die Unterhaltung eines modernen Zoos tatsächlich gekostet hätte, über Jahre heiß diskutiert wurde. Während die Stadt nicht nur die Kosten für den Kauf der Tiere, die Renovierungs-, Personal- und Unterhaltungskosten angab, sondern auch die Kosten für Verkehrsanbindung, Kanalisation und Sanitäranlagen, betonten die Befürworter des Zoos, dass die Verkehrsanbindung und Kanalisation im Zuge der Erschließung der nördlichen Baugebiete ohnehin hätte erweitert werden müssen und sanitäre Einrichtungen an dem beliebten Ausflugsziel im Wald ebenfalls in jedem Fall erforderlich wären. Und so zog sich die leidige Diskussion über Jahre hinweg ohne dass sich etwas an der unguten Situation geändert hätte.

Man gab das Projekt weder auf noch investierte man in den Ausbau, noch reichten die Zuschüsse. Das Dilemma beschreibt ein Schreiben des Gartenbauamts vom 10.10.1953: "Trotz aller dieser Mängel und trotz aller dieser Unzulänglichkeiten fällt es uns aber sehr schwer zu empfehlen, den Pachtvertrag mit Herrn Bolich zu kündigen und den Tiergarten aufzulösen. Die Auflösung des Tiergartens würde in der Bevölkerung sicherlich außerordentlich starken Widerspruch hervorrufen…. Wir können auf der anderen Seite aber nicht empfehlen, einen städtischen Tiergarten anzulegen, weil dies nicht nur mit außerordentlichen Kosten verbunden wäre, sondern, weil der Tiergarten um einigermaßen wirtschaftlich zu sein, auch viel zu sehr außerhalb der Stadt liegen wird." (13/1977, Nr. 2257)

Dass gerade im Winter die Zustände für die exotischen Tiere ungenügend waren, zeigen Fotos von 1956. Die Bolichs wärmten damals Schlangen und Riesenechse mit Wärmflaschen, die sie regelmäßig erneuern mussten.


Leguan auf Wärmflasche, 1956, Fotonachlass: Steiger, MARCHIVUM

Da sie nicht noch einen weiteren Winter überstehen konnten, wurde der Tierpark 1956 geschlossen. Bolich war auch krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, den Tierpark weiterzuführen. Nachdem Bolich erst die Tiere der Stadt erfolglos zum Kauf angeboten hatte, annoncierte er sie in Fachblättern des Artisten-, Varietee- und Schaustellergewerbes: "Krankheitshalber verkaufe ich freibleibend sofort zu jedem annehmbaren Preis: Löwen, Puma, Schakal…". Für die meisten Tiere konnte ein neues zu Hause gefunden werden. Übrig blieben nur ein Löwe, ein Bär und ein Zebu, die erschossen wurden. Eine Spendensammlung und ein vorübergehender Besucheransturm in Folge des im Mannheimer Morgen erschienen Artikels "Zoo am Karlstern: Wer rettet die Tiere?" am 19.10.1956 konnte den Tierpark auch nicht mehr retten.


Mannheimer Morgen, 23.10.1956, MARCHIVUM