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Queere Emanzipationsbewegung der 1970er und 80er Jahre in Mannheim

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farbiges Plakat der SchAM für die Zweite Schwule Woche (Ausschnitt), 1982

Die Verfolgung queerer Menschen endete nicht mit dem Jahr 1945. Erst 1969 wurde der Paragraf 175, der männliche Homosexualität unter Strafe stellte, reformiert. Das Totalverbot männlicher Homosexualität war zwar aufgehoben. Die Vorurteile gegenüber queeren Menschen, die Stigmatisierungen und Diskriminierungen blieben aber bestehen. Die queere Emanzipationsbewegung war noch längst nicht am Ziel. In diesem Blogbeitrag blicken wir in die Entwicklung der 1970er und 80er Jahre in Mannheim.

Die Reform des Paragrafen 175 hätte für die queere Community wie ein Befreiungsschlag sein können, wenn nicht die gesellschaftliche Ächtung weiter bestanden hätte. Rosa von Praunheim versuchte, mit seinem 1971 uraufgeführtem Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" in die Community hineinzuwirken. Der Film rief zur schwulen Befreiung auf und wurde so zur Initialzündung für die queere Emanzipationsbewegung in der Bundesrepublik.

In vielen Städten wurden queere Aktionsgruppen gegründet. In Mannheim entstand 1975 die Schwule Aktion Mannheim, die unter der Abkürzung SchAM in die Öffentlichkeit ging. Sie trat bis zu ihrer Auflösung 2009 durch zahlreiche Aktivitäten hervor. Initiator dieser Gruppe war Napoleon Seyfarth, der in Mannheim Psychologie studierte und zur Gallionsfigur der hiesigen queeren Bewegung wurde. Wie er später in seiner Biografie "Schweine müssen nackt sein" schrieb, sah er den Film Rosa von Praunheims im Mai 1975 im Kino Gloria in Heidelberg und kam danach mit zwei weiteren Mannheimern zum Entschluss, sich für die Community zu engagieren.

Die SchAM etablierte einen Schwulenstammtisch, unterstützte junge Menschen bei ihrem Coming Out und richtete 1984 das Rosa Telefon als Hilfsangebot für Beratungen und Informationen ein. Zudem ging die Gruppe mit Infoständen in die Öffentlichkeit und organisierte 1981 die Schwule Woche mit Straßentheater, Filmaufführungen, Diskussionen, Lesungen und anderen Aktionen. Veranstaltungsorte waren die Jugendzentren im Herzogenried und in O 4, die Alte Feuerwache, das Kino Odeon und die Gaststätte Pumuckl. Doch nicht alle angefragten Institutionen öffneten ihre Türen. Der Saal des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend durfte nicht genutzt werden, weil Stadtdekan Franz Völker die Meinung vertrat, Heterosexuelle sollten nicht mit dem "Problem" Homosexualität konfrontiert werden. Er qualifizierte die Schwule Woche als "Propaganda für das Schwulsein" ab.

Plakat der SchAM für die 2. Schwule Woche, Juni 1982, Illustration: Michael Bidner, MARCHIVUM.

Noch mehr Gegenwind erfuhr die SchAM 1982 kurz vor der Eröffnung der 2. Schwulen Woche. Die Stadtverwaltung, das Kultur- und das Jugendamt, das Reiß-Museum und die evangelische Kirche zogen ihre Unterstützung zurück – ein herber Rückschlag für die SchAM. Erst 1991 initiierte die Gruppe eine weitere Veranstaltung dieser Art, den Schwulen Kulturherbst, der nun mit großem Erfolg stattfand, was zweifellos damit zusammenhing, dass sich die Stadtgesellschaft in den vergangenen zehn Jahren dem Thema Homosexualität stärker geöffnet hatte. In der Kunsthalle traten die Schrillmänner auf, in den sogenannten Katakomben des Mannheimer Schlosses wurde eine Pink Party gefeiert, im Cinema Quadrat liefen zwei Filme mit queerer Thematik.



Logo der SchAM, 1994, MARCHIVUM.

Früh vernetzte sich die SchAM mit den queeren Gruppen anderer Städte, wie zum Beispiel Homo Heidelbergensis in Heidelberg. Man besuchte sich gegenseitig, tauschte sich über die gesellschaftspolitische Arbeit aus und organisierte gemeinsame Veranstaltungen. Dabei bestand innerhalb der SchAM wie auch zwischen den verschiedenen Gruppen nicht nur Einigkeit. Es gab Debatten über die Ziele und den richtigen Weg, sich zu engagieren und in die Öffentlichkeit zu gehen. Gestritten wurde auch darüber, welchen Stellenwert gemeinsame Freizeitaktivitäten einnehmen sollten. In der SchAM gab es zeitweise zwei Gruppierungen, eine eher politisch aktive und eine, die sich mehr für Partys, Kneipen-, Theater- und Kinobesuche interessierte.

In den 80er Jahren wurde der Umgang mit HIV und Aids zu einem wichtigen Thema. Gemeinsam mit der 1985 gegründeten Aids-Hilfe Mannheim-Ludwigshafen machte sich die SchAM zur Aufgabe, aufzuklären, Betroffenen beratend zur Seite zu stehen und der erneuten Stigmatisierung von Schwulen entgegenzuwirken. Einen wichtigen Beitrag dazu leistete das Regenbogenfest, das als Benefizveranstaltung der Aids-Hilfe Mannheim-Ludwigshafen zum ersten Mal 1988 stattfand.

Als Schwule Aktion Mannheim gegründet, war die SchAM eine Emanzipationsgruppe vor allem homosexueller Männer. Zwar bestanden enge Kontakte zu Lesben, mit denen offenbar auch gemeinsame Aktionen durchgeführt wurden. Sehr viel stärker engagierten sich homosexuelle Frauen aber in der Frauenbewegung. 1978 existierte im Frauenzentrum in der Riedfeldstr. 24 eine Lesbengruppe, die sich in den 80ern im Frauencafé zunächst in T 3, 1, dann in C 4, 6 traf. Die Gruppe organisierte regelmäßige Treffen, die dazu dienten sich über verschiedene Themen, bezogen auf das Frau- und Lesbischsein, auszutauschen. 1982 brachte die Lesbengruppe eine Ausgabe des "Lila Klatschmohn" heraus, der Zeitschrift der Frauenbewegung für Mannheim und Ludwigshafen.

Inhaltsverzeichnis der Zeitschrift "Lila Klatschmohn", Sommer 1982, MARCHIVUM.

Viele Jahre später traten auch Trans*, Inter* und bisexuelle Menschen, die lange Zeit im Schatten der Schwulen standen, selbstbewusst und mit eigenen Forderungen in die Öffentlichkeit. Die queere Emanzipation änderte sich, sie wurde vielfältiger und bunter. Neue Gruppen entstanden, und mit dem Christopher Street Day, der in Mannheim erstmals 1997 stattfand, schritt die Bewegung weiter voran.



Plakat für das Zweite Regenbogenfest, 1989, MARCHIVUM.

Über all dies berichtet das Buch "Queer im Leben! Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in Geschichte und Gegenwart der Rhein-Neckar-Region". Das Buch ist in der Schriftenreihe des MARCHIVUM erschienen und mit der beigefügten Film-DVD zum Preis von 29,80 Euro im MARCHIVUM-Shop, im Buchhandel und im Verlag Regionalkultur erhältlich.

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